„Wer nur mit Navi fährt, kennt seine Stadt nicht mehr“

Einschnitte – Einblicke live in der Anatomie: Orthopädie – Chirurgie – Reha-Technologie

(Stuttgart/Tübingen) – Die aktuelle Veranstaltung der Workshop-Reihe „Einschnitte – Einblicke“ fand diesmal wieder live in der Klinischen Anatomie in Tübingen statt. Am anatomischen Präparat veranschaulichten leitende Mediziner verschiedener Fachrichtungen den Medical Need, diesmal mit dem Schwerpunktthema „Orthopädie – Chirurgie – Reha-Technologie“. Der Workshop vermittelte den teilnehmenden Medizintechnikern spannende Einblicke und führte wieder zu konkreten Forderungen an die Entwicklung von Instrumenten und Verfahren.

Sie haben schon Tausende dieser Eingriffe durchgeführt und doch beobachteten die Mediziner aufmerksam, wie der Kollege unten im OP der Klinischen Anatomie in Tübingen das Skalpell führte. Denn bei „Einschnitte – Einblicke“ zeigen Ärztliche Direktoren ganz offen, was bei Operationen nicht reibungslos funktioniert. Oder wie Prof. Dr. Arnulf Stenzl, Ärztlicher Direktor der Klinik für Urologie und Direktor des Interuniversitären Zentrums für Medizinische Technologien Stuttgart-Tübingen (IZST) der Universitäten Tübingen und Stuttgart, bei der Begrüßung formulierte: „Als wir dieses Experiment begonnen haben, wollten wir etwas ganz Neues schaffen. Keine üblichen Vorträge mit gegenseitigen Beweihräucherungen, sondern etwas, das uns alle wirklich voranbringt.“

Am OP-Tisch standen diesmal der stellvertretende Ärztliche Direktor der BG Klinik Tübingen, PD Dr. Andreas Badke, Dr. Jörg Richter, Ärztlicher Direktor des Zentrums für Sportorthopädie und spezielle Gelenkchirurgie in der Orthopädischen Klinik Markgröningen sowie Prof. Dr. Philip Kasten, Leiter des Orthopädisch Chirurgischen Zentrums Tübingen. Im Hörsaal darüber diskutierten Gastgeber Prof. Dr. Bernhard Hirt, Ärztlicher Direktor des Instituts für Klinische Anatomie und Zellanalytik, mit Prof. Dr. Tina Histing, Ärztliche Direktorin der BG Klinik Tübingen, Prof. Dr. Andreas Nieß, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Sportmedizin, Universitätsklinikum Tübingen sowie Prof. Dr. Nikolaus Wülker, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Orthopädie, Universitätsklinikum Tübingen.

Dr. Badke eröffnete den Workshop mit einem Wirbelbruch: Er will die Fraktur stabilisieren, indem er Schrauben in den Wirbelkörper eindreht. Um Lage der Fragmente sowie der Implantate zu überprüfen, würde er in der Regel während des Eingriffs Röntgenbilder erstellen, was aber mit einer erheblichen Strahlenbelastung für das OP-Team verbunden ist. Der komplizierte Aufbau für das minimalinvasive bildgebende Verfahren verwundert Moderator Prof. Hirt: „Die zahlreichen kleinen Schrauben und Winkel erinnern mich an Fischertechnik.“ Es ist eine Herausforderung, damit die Bildgebung zu steuern, um die Implantate millimetergenau zu platzieren und in der Regel müssen die Tools während einer OP immer wieder nachjustiert werden. Die Mediziner in der korrespondierenden Diskussionsrunde sind sich einig: Minimalinvasive Navigation ist in vielen Punkten noch nicht optimal gelöst. Automatisierung und Robotik kann hier vieles aber nicht alles lösen, denn Erfahrung und Intuition sind nicht vollständig zu ersetzen. „Wer nur mit Navi fährt, kennt seine Stadt nicht mehr“, so ein treffender Kommentar.

Dann zeigte Dr. Richter einen Routineeingriff am Knie. Für die Arthroskopie im Zusammenhang mit der Behandlung eines Risses des vorderen Kreuzbands muss Wasser ins Gelenk geleitet werden. Immer wieder ein Ärgernis im OP: den Wasserdurchfluss ohne großen Aufwand optimal zu steuern. Dr. Richter zeigte außerdem verschiedene Instrumente, um das Kreuzband entweder wieder am Knochen anzunähen oder eine Sehne zu transplantieren (Kreuzbandplastik). Weil er mit den bestehenden Steckverbindungen nie ganz zufrieden war, hat er selbst bereits eine Schraube entwickelt, die exakt seinen Vorstellungen und Anforderungen entspricht. Eine klare Ansage an die Teilnehmer, überwiegend Entwickler aus Medizintechnikunternehmen, die live dabei waren, um Ideen für Instrumente zu sammeln.

Schließlich operierte Prof. Kasten eine Schulter. Er demonstrierte anschaulich, dass auch die Haltung eine erhebliche Herausforderung sein kann: Um die Schulter in die optimale Position für den Eingriff zu bringen, fixierte er sie über Umlenkrollen und ein Gewicht aus dem Fitnessstudio. Kein so unübliches Vorgehen in den Operationssälen: Weil die perfekte Lösung aus der Industrie fehlt, basteln die Krankenhäuser eigene Vorrichtungen. Um den Defekt arthroskopisch zu reparieren, verwendete Prof. Kasten Faden-Ankersysteme, mit denen verletzte Kapsel- oder Bandanteile wieder vernäht werden können und erklärte, vor allem an die Medizintechniker gerichtet, dass die Ankerfixierungen aus seiner Sicht noch nicht perfekt zu Ende entwickelt seien.

Schließlich lud Mitveranstalter Dr. Klaus Eichenberg von der BioRegio STERN Management GmbH die Teilnehmer zur Fortsetzung von Einschnitte – Einblicke im kommenden Jahr ein, dann mit dem Thema „Digitalisierung – Fusion – KI in der Chirurgie“: „Es ist eine weltweit einmalige Veranstaltung, und so wie sich die Mediziner und Medizintechniker hier begegnen, ist es wirklich Wirtschaftsförderung im engsten und besten Sinne,“ so Dr. Eichenberg.

Die Workshop-Reihe wird veranstaltet vom Interuniversitären Zentrum für Medizinische Technologien Stuttgart – Tübingen (IZST) der Universitäten Tübingen und Stuttgart, der BioRegio STERN Management GmbH und dem Verein zur Förderung der Biotechnologie und Medizintechnik e. V.

Nächster Workshop Einschnitte – Einblicke mit dem Thema:
Digitalisierung – Fusion – KI in der Chirurgie
Online im Dialog: am 25. Januar 2023
Vor Ort im Dialog: am 28. Juni 2023

Über die BioRegio STERN Management GmbH:
Die BioRegio STERN Management GmbH ist Wirtschaftsentwickler für die Life-Sciences-Branche. Sie fördert im öffentlichen Auftrag Innovationen und Start-ups und trägt so zur Stärkung des Standorts bei. In den Regionen Stuttgart und Neckar-Alb mit den Städten Tübingen und Reutlingen ist sie die zentrale Anlaufstelle für Gründer und Unternehmer.
Die BioRegion STERN zählt zu den großen und erfolgreichen BioRegionen in Deutschland. Alleinstellungsmerkmale sind die bundesweit einzigartige Mischung aus Biotechnologie- und Medizintechnikunternehmen sowie die regionalen Cluster der Automatisierungstechnik, des Maschinen- und Anlagenbaus.

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