Volumen- oder Randschicht- Wärmebehandlung – Verfahrens- und Anlagentechnik

Von Matthias Rink, Dr. Bernd Edenhofer und Dr. Markus Reinhold, Ipsen International GmbH, Kleve, Deutschland

Ob eine Volumen- oder Randschicht-Wärmebehandlung die für die angestrebte Bauteileigenschaft kostengünstigste Methode darstellt, hängt von einer Vielzahl an Einflussfaktoren ab. Dazu zählen für den gegebenen Einsatzzweck unter anderem die Bauteilgröße, die spezifische Oberflächenkonturierung, die Notwendigkeit einer Volumenhärtung im Vergleich zu einer partiellen Oberflächenwärmebehandlung und natürlich der Werkstoff selbst.

Es gibt dabei keine pauschale Entscheidung für das ein oder andere Verfahren oder eine bestimmte Anlagentechnik, wie dies in einigen Veröffentlichungen mitunter suggeriert wird.

Für eine gesamtheitliche Behandlung der Frage Volumen- oder Randschichtwärmebehandlung gilt es darüber hinaus, die betriebsinterne Wertschöpfungskette und Fertigungstiefe in die Gesamtkostenkalkulation mit einzubeziehen. Beispielsweise die firmenspezifischen Produktionsfaktoren und Stundensätze sowie die Supply Chain des Produktentstehungsprozesses des zu wärmebehandelnden Bauteils.

 >> Verfahrensentscheidung
aus Sicht der Wärmebehandlung

In diesem Beitrag soll zunächst die Entscheidungssystematik der Wärmebehandlung bei bekanntem Werkstoff im Fokus stehen. Dies liegt darin begründet, dass die Materialkosten in vielen Fällen die Gesamtbauteilkosten maßgeblich definieren und somit der Werkstoff für die Wärmebehandlung als vergleichsweise kostengünstiger Prozessschritt der Herstellungskette fest vorgegeben ist. Nach DIN EN 10052 heißt Wärmebehandeln „ein Werkstück ganz oder teilweise Zeit-Temperatur-Folgen zu unterwerfen, um eine Änderung seiner Eigenschaften und/oder seines Gefüges herbeizuführen. Gegebenenfalls kann während der Behandlung die chemische Zusammensetzung des Werkstoffs geändert werden“. Daraus ergibt sich unmittelbar, dass die funktionale Anforderung an das wärmebehandelte Bauteil bei gegebenem Werkstoff die zweite wesentliche Vorgabe ist. Wenn unterschiedliche Eigenschaften zwischen Rand und Kern erzielt werden sollen, werden bevorzugt thermochemische Wärmebehandlungsverfahren oder thermische (Randschicht-) Wärmebehandlungen eingesetzt. Dies unterstreicht die Vielzahl an thermo- chemischen Verfahren im Vergleich zur Randschichthärtung, wobei in Bezug auf die Umsätze / Stückzahlen der jeweiligen Randschicht-Wärmebehandlungen das Flammhärten und Elektronenstrahlhärten von untergeordneter Bedeutung sind. Industriell bedeutender sind dagegen das Induktionshärten, z.B. für große Zahnräder und das Laserstrahlhärten z.B. für Bleche mit kleineren zu härtenden Konturen. Die Gruppe der thermochemischen Diffusionsbehandlungen hat aufgrund ihrer Vielzahl an unterschiedlichen Prozessen eine führende industrielle Bedeutung und zudem eine sehr lange Tradition. Dies liegt auch an der über Jahrzehnte optimierten, robusten Anlagentechnik und der damit verbundenen vergleichsweise preiswerten Einstiegsanlagen für den breiten Mittelstand begründet. Die Möglichkeiten, Bauteileigenschaften gezielt zu verbessern, sind dabei bei den thermochemischen Verfahren sehr hoch. So lassen sich gezielt lokal unterschiedliche Festigkeiten einstellen. Dies kann verschiedene Bereiche der Bauteiloberfläche betreffen, oder es werden verschiedene Eigenschaften im Rand und Kern erreicht. So muss z. B. die Oberfläche bei Dieseleinspritzdüsen eine Härte von ca. 60 HRC aufweisen, wobei der Kern aus Gründen der Zähigkeit eine niedrigere Härte aufweisen muss, üblicherweise < 40 HRC. Die Bauteileigenschaften lassen sich zudem durch gezielte Veränderungen der chemischen Legierungszusammensetzung beeinflussen – ein großer Vorteil gegen- über dem Randschichthärteverfahren. Die Vielschichtigkeit dieser Verfahren unter Berücksichtigung der metallurgischen wie verfahrenstechnischen Aspekte erfordert jedoch eine weit differenziertere Betrachtung beider grundlegender Wärmebehandlungsverfahren.

 >> Randschichthärten

Wesentlichste Eigenschaft der Rand- schichthärteverfahren ist, dass das Bauteil in der Randschicht gehärtet, aber dabei in seiner elementaren Zusammensetzung chemisch nicht verändert wird. Der Fokus liegt daher auf der reinen thermophysikalischen Erhöhung der Randhärte des Bauteils. Damit nach der Randschichthärtung die erforderliche Festigkeit erreicht wird, muss der Stahl daher bereits einen entsprechend hohen Kohlenstoffgehalt haben. Dieser Kohlenstoffgehalt liegt typischerweise zwischen 0,3 % und 0,8 %. Mit diesen Kohlenstoffgehalten wer- den die Zerspanung und das Umformen bereits deutlich komplizierter bzw. kostenintensiver im Vergleich mit der Weichbearbeitung der Einsatzstähle. Das Erwärmen bei der Randschichtwärmebehandlung erfolgt z. B. durch Induktion, Laserstrahlung oder Flammen. Die Austenitisierungstemperatur ist beim Randschichthärten normalerweise höher als beim Ofenhärten. Diese kann bei Kenntnis der Wärmgeschwindigkeit aus den ZTA (Zeit-Temperatur-Austenitisierungs)-Schaubildern entnommen werden. Besonders wichtig bei der Regelung des Prozesses ist die Kenntnis der Bauteiltemperatur, dies kann nur kontaktlos mittels Pyrometer realisiert werden. Dabei muss das System Bauteiloberfläche/Pyrometer gut abgestimmt sein, sonst kommt es aufgrund von falschen Temperaturmesswerten zu Fehlwärmebehandlungen. Hier hat die Wärmebehandlung im Ofen deutliche Vorteile, da die Ofentemperatur direkt über Thermoelemente geregelt wird, und je nach Ofenbauart es möglich ist, die Bauteiletemperatur direkt zu messen. Die Randschichtwärmebehandlung hat aber auch Vorteile, denn bei einer geeigneten Automatisierung ist ein „Single-Piece-Flow“ realisierbar. Außerdem können wie erwähnt, neben sehr großen Werkstücken auch partielle Wärmebehandlungen realisiert werden. Allerdings müssen die Wärmebehandlungssysteme für jedes Bauteil speziell angelernt werden, d. h. bei der induktiven Wärmebehandlung muss der Induktor geometrisch angepasst gewechselt werden und bei der Lasererwärmung muss die Geometrie sowie die jeweilige Verweildauer (in Abhängigkeit von Materialstärke und Werkstoff) bereits im System abgespeichert sein. Für eine flexible Wärmebehandlung müssen die Umrüstzeiten daher sehr kurz gehalten werden. Bei komplizierten Bauteilen mit Verschneidungen und Bohrungen ist die Erreichung einer einheitlichen absoluten Wärmebehandlungstemperatur auf der Oberfläche nicht möglich. Dabei spielt das Verhältnis von Oberfläche zum darunterliegenden Volumenkörper eine große Rolle. Dies führt zum Beispiel bei Zahnrädern zu einer Abnahme der Einhärtetiefe von Zahn- spitze über Zahnflanke bis zum Zahnfuß. Durch Anwendung sehr kurzer Erwärmzeiten verbunden mit hoher elektrischer Generatorleistung (von bis zu 1000 kW und sogar darüber) und speziellen der Zahnform angepassten Induktoren lässt sich der Geometrie-Volumeneffekt vermindern. Auch die Entwicklung von Zwei-Frequenzgeneratoren hat sich hier positiv ausgewirkt und z.B. die Radienhärtung von Kurbelwellen ermöglicht. Die Reproduzierbarkeit von Bauteil zu Bauteil kann je nach Optimierung des Gesamtsystems auf das Bauteil jedoch durchaus an die einer thermochemischen Wärmebehandlung heranreichen. Die Abkühlung nach dem Erwärmen kann durch wässrige wie gasförmige Medien erfolgen oder durch „Eigenkühlung“ da nur lokal erwärmt wird. Die Randschichthärteverfahren haben dabei Vorteile im Bereich der Energie- kosten, wenn besonders große Bauteile wie beispielsweise Zahnkränze nur sehr lokal an den Zahnflanken gehärtet werden sollen, da in diesem Fall auf die Volumenerwärmung des Bauteils verzichtet werden kann. Die reine, kurzzeitige Erwärmung der Randschicht ohne thermische Beeinflussung des Kernes wirkt sich positiv auf die

Maßhaltigkeit der Werkstücke aus. Durch die Ausbildung der martensitischen Randschicht kommt es zwar zu einer geringen Volumenzunahme, aber das Formänderungsverhalten des gesamte Bauteils, sprich der Verzug, bleibt aufgrund der nur lokalen Erwärmung äußerst gering.

 >> Thermochemische Randschichtbehandlung

Mit der thermochemischen Wärmebehandlung können unterschiedlichste Randschichteigenschaften und Funktionsschichtdicken eingestellt werden. Für die üblichen thermochemischen Diffusionsbehandlungen wie Nitrieren, Nitrocarburieren und Aufkohlen sowie Carbonitrieren werden die Werkstücke in Öfen durchwärmt. Durch die geeignete Einstellung der Temperatur, Atmosphäre und Behandlungsdauer lassen sich die Materialeigenschaften gezielt optimieren. Durch die Einlagerung von chemischen Elementen, wie z.B. Stickstoff oder Bor, lassen sich Randschichten mit ganz speziellen Eigenschaften erzeugen, die in ihren Verschleißeigenschaften und ihrem Korrosionswiderstand randschichtgehärteten Bauteilen weit überlegen sind. Aus diesem Grund finden sich zahllose Anwendungen der thermochemischen Wärmebehandlungsverfahren in der Luft- und Raumfahrt, der Medizintechnik, der Nahrungsmittelindustrie und der Werkzeugfertigung, während das Randschichthärten mit den thermochemischen Wärmebehandlungsverfahren nur in den Bereichen Maschinenbau, Fahrzeug- und Getriebebau konkurrieren kann. Die dabei interessanten Wärmebehandlungskosten insbesondere die des Einsatzhärtens gilt es fallabhängig zu betrachten. Sollen zum Beispiel Bauteile aus dem Werkstoff 16MnCr5 mit einer Einsatzhärtungstiefe von 1 mm wärmebehandelt werden, so muss insbesondere die Ofengröße im Zuge der Durchsatzoptimierung berücksichtigt werden – das dritte wesentliche Entscheidungskriterium nach Werkstoff und der funktionalen Zielsetzung der Wärmebehandlung: Bei einer Mehrzweckkammerofenanlage der Größe 17 (900*1200*900 mm3, 1500 kg), ergeben sich zum Beispiel bei einem Nettogewicht von 800 kg/pro Charge und einem Jahresdurchsatz von 678 t/pro Jahr Wärmebehandlungskosten von ca. 0,56 €/kg. Wobei etwa 250 T€ Fixkosten und etwa 125 T€ Betriebskosten pro Jahr anfallen. Die Betriebskosten sind insbesondere Energiekosten abhängig. Die Kosten der Weichbearbeitung betragen, in erster Linie bei der Verwendung von Einsatzstählen, häufig weniger als 15 % der Herstellkosten, da der Kohlenstoffgehalt im Bereich zwischen 0,1 % bis etwa 0,3 % liegt. Bei der thermochemischen Wärmebehandlung lassen sich durch anwendungsspezifische Anlagen- und Verfahrenskonzepte die Stückkosten sehr gut optimieren: So kommen je nach Durchsatz und geforderter Flexibilität z.B. Ein- oder Zweikammeranlagen, verkettete (automatisierte) Systeme oder sogar kontinuierliche Anlagen für die Großserienproduktion zum Einsatz. Die Erwärmung der Anlagen kann elektrisch oder mittels fossiler Brennstoffe wie Erdgas oder LPG erfolgen. Es wer- den unterschiedlichste Schutz- bzw. Reaktions-/Prozessgase eingesetzt. In Atmosphärenöfen übliche Atmosphären sind in Tabelle 1 dargestellt: Zusätzlich können auch Gase wie Stickstoff und Argon als Schutzgase oder auch Vakuum zum Schutz der Bauteiloberfläche eingesetzt werden. Ein großer Vorteil thermochemischer Wärmebehandlungsanlagen wie z.B. Kammeröfen, Pusher oder Niederdruckaufkohlungsöfen ist die Variabilität im Abschreckmedium: Als Abschreckmedien können z.B. Härteöle, Salzschmelzen oder verschiedene Gase wie Stickstoff oder Helium zum Einsatz kommen. Die Wahl hängt primär vom Material, der Bauteilgröße und Bauteilgeometrie ab. Im Zusammenspiel mit modernen Wärmebehandlungsanlagen erreichen die thermochemischen Wärmebehandlungen sehr geringe Streubreiten in den Ergebnissen: Dies kann erreicht werden, da die Temperaturgleichmäßigkeit dieser Anlagen zwischen typischerweise +/- 3 bis 7 °C während der Hochtemperaturphase liegt und in der Niedertemperaturphase (z. B. Anlassen) zwischen +/- 3 bis 5 °C. Je nach Abschreckverfahren resultieren daraus typische Streubreiten von Bauteil zu Bauteil innerhalb einer Einsatzhärtungscharge von beispielsweise +/- 1 bis 1,5 HRC (nach dem Entspannen) und +/- 1,5 bis 2 HRC innerhalb mehrerer Chargen. Um diese guten Werte zu erreichen, muss aber ein geeigneter Stahl in reproduzierbarer Materialqualität zum Einsatz kommen. In der Automobilproduktion, insbesondere bei der Getriebe-/Zahnradherstellung oder der Herstellung von Treibstoff-Einspritzdüsen sind thermochemische Wärmebehandlungen alternativlos: Einsatz- gehärtete Bauteile haben Oberflächen mit einem erhöhten Verschleißwiderstand, einen zähen Kern und das ganze Bauteil zeichnet sich durch eine erhöhte Biegewechselfestigkeit aus. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den zunehmenden Anwendungen in der Vakuumtechnik zu: Bei der Herstellung von Bauteilen wie Dieseleinspritzdüsen muss die Randschichtschädigung durch die Wärmebehandlung so gering wie möglich gehalten werden. Andernfalls würde die erforderliche Dauerschwingfestigkeit nicht erreicht werden, welche die Lebensdauer respektive die nötige Lastwechselzahl definiert. In solchen Fällen spielen Vakuumverfahren Ihren Vorteil aus, da sie ohne sauerstoffhaltige Prozessgase die ansonsten funktional unbedeutenden kleineren Schädigungen der Randschicht aufgrund von Randoxidationen nahezu vollständig unterdrücken. Vakuumprozesse haben jedoch noch einen weiteren Vorteil – bei geeigneten Werkstoffen lassen sich die Wärmebehandlungszeiten weiter verkürzen. Dies ist möglich da die Diffusionsprozesse bei höheren Temperaturen (< 1080 °C) deutlich schneller ablaufen und auch die Kohlenstofflöslichkeit höher ist. Gegebenenfalls muss nach dem Aufkohlen eine Einfachhärtung, zur Kornrückfeinung, nach geschaltet werden. Das Abschrecken erfolgt bei Vakuumprozessen meistens mittels Gasabschreckung, wenn höhere Abschreckgeschwindigkeiten erforderlich sind, werden auch Anlagen mit Ölabschreckung verwendet. Sowohl atmosphärische Prozesse wie auch Vakuumprozesse kommen aufgrund Ihrer Volumen-Durchwärmung insbesondere bei Klein- und Großserien zum Einsatz, da der Energieeinsatz für nur „100 Teile am Tag“ in der Regel zu hoch ist. Für typische Produktions- aufgaben sind diese Verfahren in den Punkten Qualität, Durchsatz, Zuverlässigkeit und den daraus resultierenden Stückkosten jedoch global mit weitem Abstand führend.

>> Fazit

Um das richtige Wärmebehandlungskonzept für jedes Bauteil zu erkennen, müssen auch die vor und nachgeschalten Produktentstehungsprozesse mit in die Gesamtkostenoptimierung einbezogen werden. Fachkompetente Bewertungen beinhalten dabei neben dem zu wärme- behandelnden Material, der Losgrößen und Bauteil-Dimensionen vor allem eine Vollkostenrechnung aus Investitions- wie auch Betriebskostensicht. Als Kernaussage lässt sich aus unserer Erfahrung als Anlagenbauer für viele verschiedenartige Wärmebehandlungsanlagen sagen, dass Randschichtbehandlungen vor allem von Kleinserien und der partiellen Härtung von großen Bauteilen eine wirtschaftliche Anwendung finden können. Bei der Massenproduktion hat sich die thermochemische Wärmebehandlung in vielen Fällen als optimal erwiesen. Hier können viele Bauteile kostengünstig mechanisch gefertigt und anschließend mit einer reproduzierbaren Qualität in vollautomatischen Anlagen wärmebehandelt werden. Die Bauteile weisen dann auf Innen- und Außenflächen sowie in Bohrungen gleichmäßige Wärmebehandlungsergebnisse auf.