Ungarn führt die Möglichkeit der Überprüfung sämtlicher Polizeibeamter auf ihre „Vertrauenswürdigkeit“ ein – unter Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien
Die neue Rechtslage
Ungarn – früher hieß das Land einmal „Republik Ungarn“, seit Inkraftreten des neuen Grundgesetzes zum 01.01.2012 nunmehr nur „Ungarn“ – hat zum Jahresbeginn die Möglichkeit eröffnet sämtliche Ordnungshüter, aber auch Feuerwehrleute und Bürgerwehren dahingehend zu überprüfen, ob deren Angehörige „vertrauenswürdig“ seien. Hierzu soll deren Lebensführung überprüft werden können.
Dabei sollen die Polizeibeamten ohne richterliche Erlaubnis durchleuchtet werden dürfen unter Einbeziehung deren familiären Hintergrunds. Hierbei soll bis maximal dreimal pro Jahr untersucht werden können, was die Beamten während ihrer Freizeit tun, welche Lokale sie besuchen, welchen freundschaftlichen Umgang sie pflegen, wie sich ihre finanziellen Verhältnisse gestalten, mit welchen Krediten sie belasten sind, wie sie ihren Verpflichtungen genügen etc.
Der Verlauf der Untersuchungen braucht den Betroffenen nicht mitgeteilt zu werden, über das Ergebnis werden sie nicht unterrichtet, selbst im Falle eines anschließenden Entfernens aus dem Dienst brauchen ihnen diese Daten nicht zugänglich gemacht zu werden.
Die Bedenken gegen das neue Gesetz
Nach neuen Presseveröffentlichungen („népszava“ vom 26. Januar 2012) soll es nach Auslegung des Innenministeriums im Sinne des neuen Gesetzes schon ausreichen, wenn ein Polizeibeamter „freundschaftliche Beziehungen“ zu einem Nachbarn pflegt, gegen den ein Strafverfahren geführt wird. Das heißt also, wenn ein Kriminalbeamter beispielsweise drei Kinder hat, die regelmäßig mit den Nachbarskinder spielen wie Kinder es nun einmal tun, und die Väter sich beim Bier am Gartenzaun oder beim Grillen über die Kinder und deren Ergehen und Verhalten „freundschaftlich“ austauschen, der Vater der Nachbarskinder aber zufällig Unternehmer ist, dem gefälschte Waren untergeschoben worden sind und gegen den daher wegen Verstoßes gegen das Urhebergesetz ermittelt wird oder der dem – in Ungarn üblichen – Generalverdacht der Steuerhinterziehung unterliegt, so soll dies schon ausreichen, um von der mangelnden „Vertrauenswürdigkeit“ des Beamten auszugehen und diesen daher aus dem Dienst zu entfernen? Ohne dass dieser von der Untersuchung weiß und zu seiner Entlastung vortragen kann, dass man sich lediglich über die neuesten Tretroller-Modelle oder die letzten Fußball-Ergebnisse und die aktuellen Eskapaden von Lothar Matthäus ausgetauscht habe, er aber von dem Unternehmen des Nachbarn keinerlei Kenntnisse hatte? Ist dies die Unschuldsvermutung á la Ungarn?
Das neue Gesetz ist in seiner Weite und mit seinen mangelnden Rechtsschutzmöglichkeiten eines Rechtsstaats unwürdig, fällt somit aber in die Reihe mit den neuesten Errungenschaften der ungarischen Regierung.
Hierbei scheint es die ungarische Regierung auch nicht zu stören, dass die Europäische Kommission bereits scharf gegen die Herabsenkung der Pensionsgrenze der Richter vorgeht, die eingeführt wurde unter dem Vorwand – für zwei Jahre – Ungleichheiten bei den Pensionsgrenzen beseitigen zu wollen. Tatsächlich ging es hier ganz offensichtlich, die Führungsebene der Richterschaft zu säubern und Platz zu schaffen, um die eigenen Leute bei der Justiz unterzubringen oder diese in gehobene Positionen zu hieven.
Wie stets bleibt wohl letztlich nur der Weg nach Straßburg zum Europäischen Gericht für Menschenrechte
Da in Ungarn kaum noch Möglichkeiten bestehen, gegen Gesetze effektiv vorzugehen, nachdem die Befugnisse des Verfassungsgerichts begrenzt und dieses mit neuen, der regierenden FIDESZ-Partei nahestehenden Leuten besetzt wurde, bleibt wohl wiederum nur der Weg nach Straßburg zum dortigen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieses Gericht hatte aber bereits letzte Woche signalisiert, dass es dem Ansturm aus Ungarn kaum gewachsen ist. So hatten sich ca. 8.000 Beschwerdeführer mit einer Menschenrechtsbeschwerde nach Straßburg gewandt, was aber natürlich nur zu einer Überlastung und somit wiederum zu einer allzu langen Verfahrensdauer führen kann.
Da aber andere Rechtsschutzmöglichkeiten kaum noch zur Verfügung stehen, bleibt der Gerichtshof in Straßburg die letzte Hoffnung. Auch unsere Büro bereitet derzeit vier weitere Beschwerden ein. Um eine effektive Vertretung der Mandanten in Straßburg aber nicht zu gefährden, wird das Führen von Massenverfahren unsererseits auch weiterhin abgelehnt.
Es muss gelten, mit den Möglichkeiten der Menschenrechtsbeschwerde umsichtig und sachkundig umzugehen, da sonst auch diese letzte Chance der Mandanten vertan wird.
Die Rechtsanwaltskanzlei von Dr. Donat Ebert befindet sich in Budapest und ist spezialisiert auf die Vertretung von Mandanten in grenzüberschreitenden Fällen, insbesondere im Bereich des Erb-, Straf- und Europarechts. Dr. Donat Ebert ist zugelassen sowohl in Deutschland als auch in Ungarn und vertritt seine Klienten vor den Gerichten ohne regionale Beschränkung in beiden Ländern
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