In Deutschland sind bereits mindestens 973 Kinder in Babyklappen oder bei anonymen Geburten zur Welt gebracht worden. Das geht aus einer Studie des Deutschen Jugendinstituts im Auftrag des Bundesfamilienministeriums hervor, aus deren Zusammenfassung die Tageszeitung „Die Welt“ in ihrer Samstagausgabe (14. Januar) zitiert. „Zwei Drittel der Fälle (652 Kinder) wurde anonym geboren, knapp ein Drittel (278) wurden in eine Babyklappe gelegt und weitere 43 Kinder wurden den Mitarbeitern der Anbieter anonym übergeben“, heißt es in dem Text.
Dauerhaft anonym blieben 314 dieser Kinder. Die Hälfte der Kinder aus Babyklappen und rund ein Drittel der Kinder aus anonymen Geburten wurden schnell in Adoptivfamilien vermittelt. Für 376 wurden laut den beteiligten Jugendämtern Adoptionsvormundschaften errichtet, 45 davon wurden durch leibliche Eltern zurückgenommen. Befragt wurden bei der Studie 591 Jugendämter, von denen sich 466 beteiligten Von den 344 angeschriebenen Trägern der Angebote von Babyklappen oder anonymen Geburten beteiligten sich 272 an der Befragung. Allerdings konnten die Träger nur zu einem Teil der Kinder Angaben über deren weitere Schicksal machen. „Bei den Anbietern und Trägern fehlen für ein gutes Fünftel der anonym abgegebenen Kinder Informationen über deren Verbleib“, schreiben die Autoren. Sie vermerken, es gebe „sehr große (Qualitäts-)Unterschiede innerhalb der Trägerlandschaft“. Was den Streit über den Sinn der anonymen Angebote betrifft, so verzichtet die Studie auf Wertungen, stellt aber fest, dass die Betreiber selbst nicht mehr glauben, sie könnten Leben retten. Anfangs, so die Autoren, hätten die Träger vor allem „die Verhinderung der Tötung neugeborener Babys“ im Sinn gehabt. Doch heute setzten die Träger sich „damit auseinander, dass die Zielgruppen, die bei der Einrichtung der Angebote vielfach im Fokus standen (Prostituierte, Drogenabhängige, sehr junge Mädchen, Frauen, die ihre Neugeborenen töten oder aussetzen), nicht erreicht werden“, heißt es in dem Text. Zugleich ergaben die im Rahmen der Studie durchgeführten Interviews mit früheren Nutzerinnen anonymer Angebote, dass es für sie sehr belastend war, in die Anonymität zu entschwinden. „Die Lebenssituation, die zu der Abgabe des Kindes geführt hat, verändert sich durch die Nutzung eines Angebotes zur anonymen Kindesabgabe nicht“, schreiben die Autoren. Festgehalten wird auch, dass den Kindern die Kenntnis ihrer Herkunft sehr erschwert wird. Außerdem gebe es Missbrauch: „Es wurden Fälle dokumentiert, in denen tote oder behinderte Kinder in eine Babyklappe gelegt wurden“, und nicht alle Kinder waren Neugeborene. Offenbar, so die Autoren, wurden „Babyklappen dahin gehend zweckentfremdet, dass sie als Instrument der kurzfristigen Inobhutnahme genutzt wurden, um akute Krisen- oder Überlastungssituationen zu bewältigen.“ Gleichwohl hält die Studie fest, dass sich die betroffenen Frauen in großer Not befinden. Eindeutig gegen anonyme Angebote sprechen sich die Autoren nicht aus, konzentrieren sich aber auf Forderungen nach mehr Hilfen für Schwangere in Not. Für die politische Diskussion über nur „vertrauliche Geburten“ mit einem bloß zeitweisen Verbergen der mütterlichen Identität relevant ist der Hinweis, dass einige Nutzerinnen anonymer Angebote kein vollständiges Inkognito verlangen: „In diesem Kontext“, so der Text, „steht der Befund, dass einige Frauen von Dritten, d. h. nicht von einer Mitarbeiterin des Anbieters oder einer Hebamme, zur Geburt begleitet wurden“. Im engeren Sinne muss in diesem Fall von selektiver oder eingeschränkter Anonymität gesprochen werden. Im Zusammenhang mit den genannten Motiven der institutionellen Rahmenbedingungen, die zu einer anonymen Kindesabgabe motivieren, kann dieser Befund andeuten, dass womöglich nicht eine vollständige Anonymität notwendig ist, um dem Bedarf der Frauen gerecht zu werden. Naheliegend ist es, davon auszugehen, dass die Nutzerinnen vor allem die Geheimhaltung vor bestimmten Personen beabsichtigen. Eine gesetzliche Regelung „vertraulicher Geburten“ hatte der Deutsche Ethikrat in einer Stellungnahme vor zwei Jahren gefordert und zugleich mehrheitlich die Schließung von Babyklappen empfohlen. Die bayerische Justizministerium Beate Merk (CSU) lässt intern derzeit dazu ein gesetzliches Modell für vertrauliche Geburten diskutieren, ohne Babyklappen oder anonyme Geburten verbieten zu wollen. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) will nach Informationen der „Welt“ noch in dieser Legislaturperiode Konsequenzen aus den Befunden der Studie mit den Koalitionsfraktionen besprechen.