Wenn sich an den gegenwärtigen Rahmenbedingungen nichts ändert, steht Deutschland ein akuter Personalengpass im Gesundheits- und Pflegewesen bevor. Dann werden bis zum Jahr 2030 mindestens 404.000 Fachkräfte fehlen, hat die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) in der Studie „112 – und niemand hilft“ ausgerechnet, die der „Welt“ (4. Oktober) vorliegt. Bereits 2020 wären in den medizinischen Berufen dann 33.000 Vollzeitstellen unbesetzt, 2030 sogar 76.000. „Noch dramatischer wird sich die Personalsituation bei den Pflegekräften entwickeln“, sagt Michael Burkhart, Partner bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC und Leiter des Bereichs Healthcare und Pharma.
2020 fehlen demnach insgesamt gut 212.000 Vollzeitkräfte im Pflegebereich, 2030 bereits knapp 328.000. Circa 18 Prozent aller benötigten Stellen – in Vollzeitäquivalenten gerechnet – könnten 2030 dann nicht besetzt werden, 2011 waren es erst knapp acht Prozent. Die Studie geht davon aus, dass die Nachfrage nach Gesundheits- und Pflegeleistungen aufgrund der Alterung der Bevölkerung erheblich steigen wird, das Arbeitskräfteangebot unter den gegebenen Bedingungen jedoch weit dahinter zurückbleibt. Das grundlegende Problem sei, dass das vorhandene Potenzial an Fachkräften nicht gut genug ausgeschöpft werde. Die Zahl der Arbeitskräfte könne vor allem durch eine Stellschraube beeinflusst werden – die sogenannte Teilnahme-Quote. Die ist in den Gesundheits- und Pflegeberufen gering, weil viele, die als Fachkräfte ausgebildet sind, wegen privater Verpflichtungen oder der unattraktiven Arbeitsbedingungen den Beruf gewechselt haben. „Die Teilnahme-Quote stellt den größten Hebel dar, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen“, sagt Burkhart. Viele Ärztinnen beendeten die Laufbahn nach der Geburt eines Kindes, oder sie arbeiten Teilzeit. Dass mehr Fachkräfte in ihrem Beruf arbeiten und länger, könne durch bessere und flexible Kinderbetreuung gewährleistet werden. Zudem müsse der Arztberuf in Krankenhäusern attraktiver gestaltet werden, genauso wie die Bezahlung von Pflegekräften. Die Situation sei aber keinesfalls aussichtslos: In dem „optimistischen“ Szenario der Studie, das aber nur „unter erheblichen Anstrengungen“ erreichbar sei, könnte 2030 ein fast ausgeglichenes Verhältnis von Fachkräfteangebot und -nachfrage erreicht werden. Dazu müssten erheblich mehr Fachkräfte in ihrem Beruf Vollzeit arbeiten: Die Teilnahme- und Vollzeitquote müsse über alle Berufsgruppen hinweg in der Summe einheitlich um zehn Prozent erhöht werden, das Renteneintrittsalter müsste um zwei Jahre und die Netto-Jahresarbeitszeit im Pflegewesen um 20 Prozent steigen. Das würde allerdings eine Wochenarbeitszeit von 49 Stunden bedeuten – oder eine Sechs-Tage-Woche.