Stark Übergewichtige brauchen doppelt so oft Gelenksersatz und haben doppeltes Komplikationsrisiko

15. Europäischer Orthopädie-Kongress EFORT – 4.-6. Juni 2014, London

Adipöse brauchen doppelt so oft künstliche Kniegelenke wie Normalgewichtige, haben aber auch ein doppelt so hohes Risiko für Komplikationen, berichteten Forscher/-innen auf dem EFORT Kongress in London. Der Einsatz patientenspezifischer Schablonen bei Knie-OPs könnte für stark Übergewichtige künftig die Methode der Wahl sein.

London, 4. Juni 2014 – Die Übergewichts-Epidemie ist in der Orthopädie angekommen: Wer heute einen Hüft- oder Knieersatz bekommt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit übergewichtig, berichteten Experten/-innen beim 15. EFORT Kongress in London. Das stellt die orthopädische Chirurgie vor große Herausforderungen. Denn wer allzu viele Kilos auf die Waage bringt, muss eher mit Komplikationen rechnen, zeigen neue Studien. Organisiert wird der Kongress von der European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) gemeinsam mit der British Orthopaedic Association (BOA). Patientensicherheit ist das zentrale Thema dieses wissenschaftlichen Großereignisses, zu dem mehr als 7.000 Teilnehmer/-innen aus aller Welt in der britischen Hauptstadt zusammentreffen.

Mit mehr Kilos zur ersten Knieprothese

Menschen, die heute ihren ersten Knie-Ersatz brauchen, sind tendenziell dicker als Prothetik-Kandidaten/-innen vergangener Jahrzehnte, zeigt eine schottische Langzeitstudie. Verglichen wurden 686 Patienten/-innen, denen zwischen Dezember 1994 und August 1998 eine primäre Knie-Totalendoprothese angepasst wurde, mit 1.408 Patienten/-innen, die diesem Eingriff zwischen Jänner 2009 und November 2012 unterzogen wurden. „Die Patient/-innen in der zweiten Gruppe hatten mit durchschnittlich 32,0kg/m2 einen deutlich höheren BMI als die Patient/-innen der ersten Gruppe – diese brachten es im Schnitt auf 29,4kg/m2,“ berichtete Studienautor Dr. Ewan Barclay Goudie (Victoria Hospital, Kirkcaldy) auf dem EFORT Kongress.

Ab einem BMI von 35 steigt das Risiko

Ab wann ein erhöhter Body-Mass-Index (BMI) problematisch wird, zeigt eine neue Schweizer Studie: „Vor allem Adipöse ab einem BMI von 35kg/m2 sind Risikokandidaten/-innen für Nachoperationen und Infektionen. Sie hatten im Vergleich zu den Patienten/-innen, die unter diesem Wert lagen, doppelt so oft Revisionen nötig und litten zweimal so oft an tiefen Infektionen. Bei Männern wirkte sich der hohe BMI stärker aus als bei Frauen“, berichtete Dr. Matthieu Zingg (Universitätsklinik Genf). Für die Studie waren die Daten von fast 2.500 Knieprothetik-Patienten/-innen ausgewertet worden.

Adipöse brauchen doppelt so oft Knieersatz

Mit den Kilos steigt der Bedarf an Prothesen, wie eine aktuelle nordirische Studie belegt: „Im Vergleich zur nordirischen Gesamtbevölkerung haben adipöse Männer ein doppelt so hohes Risiko, einmal ein künstliches Kniegelenk zu benötigen, bei adipösen Frauen ist das Risiko sogar 2,4-mal so hoch. Das sind alarmierende Zahlen, auf die mit wirkungsvollen Programmen zur Adipositas-Prävention reagiert werden sollte, um den enormen Bedarf an Endoprothetik und die drastische Kostenentwicklung im Gesundheitssystem zu dämpfen“, so Dr. Christopher O’Neill (Musgrave Park Hospital, Belfast). Für die Studie wurde der Body-Mass-Index von 1.000 Personen erfasst, die eine Knietotalendoprothese erhalten sollten. Mehr als 90 Prozent der Studienteilnehmer/-innen waren übergewichtig, während in der nordirischen Allgemeinbevölkerung dieser Wert bei 59 Prozent liegt. 28,5 Prozent der Studienteilnehmer/-innen hatten einen BMI von 25,0-29,9 kg/m2, fast 62 Prozent waren adipös (BMI >30,0kg/m2). Frauen schnitten schlechter ab als Männer.

Neues Operationsverfahren für Adipöse

Orthopädische Chirurgen/-innen sollten künftig maßgeschneiderte patientenspezifische Schablonen als Führung verwenden, wenn sie Adipösen eine Knieprothese anpassen, und die Größe von Komponenten, Achsstellung und Rotation gemäß den üblichen chirurgischen Prinzipien justieren, so die Empfehlung des australischen Chirurgen Prof. Warwick Bruce und des britischen Chirurgen Dr. Rahij Anwar auf dem EFORT Kongress. „Patientenspezifische Schablonen stellen eine große technologische Verbesserung im Vergleich zu konventionellen Methoden der Knie-Totalendoprothetik dar. Sie steigern die Genauigkeit, reduzieren Blutverlust und Operationszeit und helfen zudem, die Größe von Schnitten und Implantaten bei Patienten/-innen mit großem BMI richtig zu bemessen. Mit patientenspezifischen Schablonen kann zudem die mechanische Achse verlässlich wiederhergestellt werden“, so Dr. Anwar. Ein internationales Forschungsteam hat die neue Methode in Sydney in 47 Fällen überprüft. Das Einsetzen von Knie-Endoprothesen bei stark übergewichtigen Menschen ist heikel: Die anatomische Einschätzung gestaltet sich deutlich schwieriger und das große Weichgewebe-Volumen kann die ordnungsgemäße Anbringung von Standardschablonen behindern. Das führt unter Umständen zu einer abnormalen mechanischen Achsstellung. Bei dieser Patientengruppe kann es eher zu Blutungen oder einer längeren OP-Dauer kommen.

Hintergrund EFORT
Die European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) ist die Dachorganisation nationaler orthopädischer Fachgesellschaften in Europa. EFORT wurde 1991 im italienischen Marentino gegründet. Heute gehören ihr 45 nationale Mitgliedsgesellschaften aus 42 Ländern und elf assoziierte wissenschaftliche Organisationen an.

EFORT ist eine Non-Profit Organisation. Das Ziel der Mitgliedsgesellschaften ist es, den Austausch von wissenschaftlichem Fachwissen und von Erfahrungen in der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen des muskuloskelettalen Systems zu fördern. EFORT organisiert einen jährlichen Kongress, Seminare, Kurse, Foren und Konferenzen in ganz Europa. Ferner werden Grundlagenforschung und klinische Forschung initiiert und unterstützt.

Quellen:
EFORT Abstract Goudie et al.: Are They Getting Fatter? Changing Trends In Total Knee Arthroplasty; EFORT Abstract O’Neill et al.: The Effect Of BMI On Requirements For TKA Within The Northern Ireland Population; EFORT Abstract Zingg et al.: Influence Of Obesity On Revision And Infection Rates After Primary Total Knee Arthroplasty; EFORT Abstract Anwar et al.: Total Knee Arthroplasty Using Patient Specific Guides In Patients With A Body Mass Index Of 35 And Above: Our Experience In 47 Knees.

Info:
15th EFORT Congress 2014 – Medienkontakt: Dr. Birgit Kofler, B&K Kommunikationsberatung; E-Mail: kofler@bkkommunikation.com; Mobil: +43 676 6368930; Tel. Wien: +43 1 3194378 13; Tel. Berlin: +49 30 700159676