Schluss mit dem Reformwahn an Schulen

Praktiker fordert Rückkehr der Pädagogik in die Schule

Lehrer haben es satt und Eltern samt Schüler überblicken es kaum noch: Das dauende Gerede über nötige Bildungsreformen. Gesamtschule, Ganztagsschule, G8 oder G9, Methode A oder B? Alles unnützes Gerede und vergeudete Kraft, urteilt Michael Felten, ein Praktiker, der inzwischen auf 30 Jahre Lehrerdasein in den Fächern Mathematik und Kunst an einem Kölner Gymnasium zurückblickt und seinen Beruf immer noch liebt.

Der erfahrene Pädagoge und Autor war am Mittwoch, 8. Februar 2012 auf Einladung des SRH Leonardo da Vinci Gymnasium für Hochbegabte nach Neckargemünd gekommen und hielt sein Plädoyer für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zur Begabtenförderung. Zahlreiche Lehrern und Eltern aus der Rhein-Neckar-Region nahmen an dem Themenabend teil.

„Die Schule könnte besser sein, doch neu erfinden müssen wir sie nicht“, stellte Felten gleich zum Auftakt seines Vortrags klar. Es bedürfe allerdings keiner Strukturdebatte, sondern vielmehr eines genauen Blicks in deutsche Klassenzimmer. Denn weder das Schulsystem noch die didaktische Methode sei entscheidend für die Unterrichtsqualität, allein auf den Lehrer komme es an. „Ein guter Lehrer kann schier Unmögliches erreichen“, zeigte sich der Referent überzeugt.

An fachlicher Qualifikation mangele es den jungen Kollegen heutzutage nicht. Hingegen würden die Kompetenzen im pädagogisch-psychologischen Bereich bei der Ausbildung zu kurz kommen und es werde viel zu wenig über das menschliche Verhältnis zwischen Lehrer und Schülern gesprochen. Genau diese pädagogische Beziehung sei jedoch der Kern allen Lernens und werde dennoch in der Lehrerausbildung unterschätzt. Felten forderte, dass Eigenschaften wie Führungsfreude, Methodenklarheit und Einfühlsamkeit wieder eine angemessene Bedeutung im Lehrerberuf erhalten.

Auch sei es an der Zeit, mit weit verbreiteten „bildungspolitischen Infektionskrankheiten“ aufzuräumen. Dazu zählte der Referent die Euphorie über vermeintliche Vorzüge des selbstständigen Lernens im Rahmen offener Unterrichtsformen, die sich jedoch im Schulalltag meist als untauglich erwiesen. „Hier wird der Weg mit dem Ziel verwechselt“, so Felten. Ein guter Lehrer müsse sich vielmehr trauen, eine Klasse in der Rolle eines Leitwolfs zu führen und zu aktivieren, und mitunter der Unlust der Schüler mit freundlicher Strenge die Stirn zu bieten.

Was heißt das nun konkret für den Unterricht? Lernwirksam, so erklärte der Kölner Pädagoge seinem Publikum, kann eine Schulstunde dann gestalten werden, wenn sie auf dem passenden Vorwissen aufbaut. Anspruchsvolle und gleichsam motivierende Aufgaben führen ebenso zum Ziel wie eine Unterrichtsatmosphäre, die von warmherziger Strenge, Ermutigung und Fehlerfreundlichkeit geprägt ist. Und auch den anwesenden Eltern verdeutlichte der Vortrag, welchen Beitrag sie zu einer besseren Schule leisten können. Ein erster Schritt wäre schon getan, wenn der Abschiedsgruß an das Kind morgens häufiger „Streng Dich an!“ anstatt „Viel Spaß!“ lauten würde.

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