Rückwärts-Rechtsschutz: Werbewirksam oder überflüssig?

Bisher müssen Rechtsschutzversicherte eine mehrmonatige Wartezeit akzeptieren, wenn sie eine neue Rechtsschutzversicherung abschließen. Bis der Versicherungsschutz greift, verlangen die meisten Versicherer eine Karenzzeit. Damit möchte sich die Gesellschaft vor Vertragsabschlüssen schützen, die nur deshalb getätigt werden, weil sich ein drohender Rechtsstreit abzeichnet. Jetzt gehen die ersten Anbieter neue Wege und bieten einen Rückwärtsschutz an. Selbst Versicherungsexperten sind über diese Neuerung überrascht. Die Einschätzungen zur Sinnhaftigkeit und Kundenfreundlichkeit gehen auseinander. Bisher gab es nur Rechtsschutzversicherung ohne Wartezeit (https://www.rechtsschutzversicherungen-testsieger.de/rechtsschutzversicherung-ohne-wartezeit/), die einen sofort und ohne Karenzzeit versicherte, jedoch nicht Rückwirkend.

 

Ein eisernes Prinzip verliert an Bedeutung

Durch den Rückwärtsschutz erhalten Versicherte eine Absicherung, wenn der Schaden bereits geschehen ist. Das bedeutet, man kann eine Versicherung für einen Schaden abschließen, der in der Vergangenheit liegt. Mit dieser Akquise-Aktion möchten einige Gesellschaften gezielt Kunden ansprechen, die sich selbst als sichere und vorsichtige Autofahrer einschätzen, denn der neue Tarif gilt nur im Bereich Verkehrsrechtsschutz. Es scheint, als wolle man damit verstärkt Kunden gewinnen, die im Normalfall keinen Rechtsschutz abschließen, weil sie davon ausgehen, dass sie ihn als vorsichtige Fahrer nicht benötigen. Das eiserne Prinzip der Karenzzeit wird also über Bord geworfen, so hat es den Anschein. Glaubt man den Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft, haben mehr als 60 Prozent der Haushalte in Deutschland keinen Rechtsschutz abgeschlossen. Das Potenzial ist also enorm, möchte man glauben. Offenbar gehen die Versicherer davon aus, dass hier ein großer Bedarf besteht, denn nur so lässt sich das neue Angebot erklären. Doch die Reaktionen am Markt sind unterschiedlich.

 

Die Konkurrenz zeigt sich erstaunt

Die Gesellschaften, die diesem neuen Trend folgen, wollen damit gezielt auf Kundenakquise gehen. Man möchte Neukunden bevorzugt behandeln und eine vertrauensvolle Basis aufbauen. So glaubt man, ein langfristig orientiertes Vertragsverhältnis einzugehen. Selbst wenn sich bereits ein Schaden abzeichnet, weil der Versicherungsfall schon vor dem Abschluss des Vertrags eingetreten ist, scheint sich dieses Vorgehen zu lohnen, so glauben die Versicherer. Und auch das Cross-Selling-Potenzial wird als außerordentlich hoch bewertet. Man geht offenbar davon aus, dass die rückwärtsgerichtete Rechtsschutzversicherung als Türöffner fungieren kann, um dem Kunden im Lauf der Zeit weitere Versicherungslösungen zu empfehlen. Doch die Konkurrenz ist skeptisch. Zwar betrachtet man den Ansatz als innovativ, doch es gibt bisher nur wenige Gesellschaften, die diesem Vorstoß folgen und ähnliche Tarife auf den Markt bringen.

 

Versicherungsexperten sind wenig überzeugt

Fragt man Branchenkenner, sind diese offenbar wenig angetan von der neuen Tariflösung. Man geht sogar davon aus, dass die scheinbar innovativen Versicherungslösungen zu verstärkter Verärgerung der Kunden führen könnten. Das liegt daran, dass die Versicherungsbedingungen bei genauem Hinsehen einige wichtige Leistungsausschlüsse enthalten, die der Versicherte kennen muss. So ist der Sofort-Verkehrsrechtsschutz erheblich teurer als herkömmliche Policen. Außerdem muss der Vertrag mit einer Laufzeit von drei Jahren abgeschlossen werden. Die Rückwärtsdeckung erstreckt sich ausschließlich auf Schadensersatzansprüche und ihre Durchsetzung aus einem Verkehrsunfall oder aus einer Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr. Der Kunde muss eine Selbstbeteiligung von 150 Euro zahlen, sofern er einen eigenen Anwalt einschaltet und keinen Rechtsexperten aus dem System des Versicherers nutzt. Außerdem umfasst der rückwärtsgerichtete Zeitraum lediglich drei Monate, um die Anhäufung von Verkehrsdelikten auszuschließen. Diese Einschränkungen tragen nicht zu einer positiven Einschätzung durch Versicherungsfachleute bei.