Robert H. Bensons »Der Herr der Welt« erstmals vollständig ins deutsche übersetzt

Der Chiemgauer Verlag »Edition Auvidarte« legt im Dezember 2012 erstmals eine vollständig übersetzte und neu überarbeitete deutsche Ausgabe des apokalyptischen Romans »Der Herr der Welt« von Robert Hugh Benson (1871-1914) auf.

»Der Herr der Welt« – ein Klassiker der dystopischen Literatur aus dem Jahr 1906 – wurde bisher nur unvollständig ins Deutsche übersetzt. »Ein unhaltbarer Zustand«, befindet Christoph von Zastrow, der den Text des britischen Autors für seinen Verlag im bayerischen Chiemgau nun neu übersetzt und bearbeitet herausgeben wird. »Benson ist für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eine der zentralen Gestalten der britischen Literaturgeschichte«, sagt von Zastrow. Anders jedoch als etwa George Orwell oder Aldous Huxley sei der katholische Geistliche heute nur noch einem kleinen, literaturkundigem Publikum bekannt: »Benson wurde nach der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts schlicht vergessen.«

Dabei hätte es Bensons Roman über die letzten Tage der Welt durchaus verdient, gleichrangig neben Orwells »1984« oder Huxleys »Schöne neue Welt« als visionärer Text über die zerstörerischen Kräfte der Moderne im Gedächtnis auch deutscher Leser zu bleiben. Denn in vielen Passagen des Romans übertrifft Bensons visionäre Kraft seine Nachfolger bei weitem. Er beschreibt klarer als diese den innersten Konflikt der Moderne – die Suche nach einem übergeordneten Zusammenhang in einer Gesellschaft, die ausschließlich auf ihre eigenen Kräfte vertrauen will.

Klarer als Orwell und Huxley erkennt Benson die Gefahren der Moderne. Mit beängstigender Hellsichtigkeit verleiht er seiner Romanfigur, dem Weltpolitiker Julian Felsenburgh, genau jene Suggestionskraft, die später Adolf Hitler oder Benito Mussolini zur Macht verhelfen wird. Mit ebenso erschreckender Deutlichkeit warnt Benson lange vor dem Ersten Weltkrieg vor den Grundlagen dieser Kraft: Personenkult, massentaugliche Inszenierungen und rhetorisches Geschick.

Die neu übersetzten Passagen von Bensons wichtigstem Werk erlauben den deutschen Lesern, sich zudem einen weiteren, bisher übersehenen Aspekt des Romans zu erschließen.

Hatten Bensons deutsche Übersetzer doch bisher gerade bei den mystischen und eifernd katholischen Passagen des Werks gekürzt, so geben diese mit der Neufassung einen neuen Zugang zu Bensons Hauptwerk frei. Im überbordenden Glaubenseifer seines Protagonisten Percy Franklin, der im Roman zum letzten Papst Silvester III heranreift, tritt einhundert Jahre vor Osama bin Laden und George W. Bush erstmals der Typus eines neuen, religiösen und gleichzeitig politischen Eiferers hervor.

Mit der Hingabe an Gebet und Liturgie, das Auflösen in die suggestive Bilderwelt der katholischen Kirche, versucht Percy Franklin, der apokalyptische Stellvertreter Gottes, dem weltabgewandten Absolutheitsanspruch seines Herrn bis hin zur eigenen Vernichtung gerecht zu werden. Bis zum Erlöschen dieser Bilderwelt, das in der Logik eines christlichen Eiferers nichts anderes sein kann als das Weltende, der Tag des Jüngsten Gerichts eines Johannes des Täufers.

Mit der feinfühligen psychologischen Ausarbeitung seines Protagonisten hat Benson für den Leser am Anfang des 21. Jahrhunderts so etwas wie eine Blaupause geschaffen für die innere Mechanik eines modernen Glaubenseiferers. Einer politischen Kraft wie sie gut 100 Jahre nach Erscheinen seines Romans das Weltgeschehen bestimmen soll – als islamischer Fundamentalismus oder im Wiedererstarken radikaler christlicher Bewegungen weltweit.

»Orwell oder Huxley können wir heute nur mehr als Kritiker ihrer Zeit verstehen. Benson dagegen ist uns näher,« sagt Herausgeber von Zastrow: »Er schreibt im ‚Herrn der Welt’ über uns, über unsere heutige Zeit und unsere Kämpfe.«