Rätselhafte Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Internationale Forscher stellen bei der Häufigkeit ihres Auftretens erhebliche Unterschiede je nach Region und Geschlecht fest. ALS-Patienten dürften besonders oft auch von Krebs betroffen sein, zeigen aktuelle Studien, die beim Europäischen Neurologiekongress in Berlin präsentiert wurden.
Berlin, 21. Juni 2015 – Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Dieser seltenen, noch immer viele Rätsel aufgebenden Erkrankung widmeten sich Experten beim 1. Kongress der European Academy of Neurology (EAN) in Berlin, wo von 20. bis 23. Juni 6.500 Teilnehmer neueste Entwicklungen ihres Fachgebiets diskutieren. ALS gilt bislang als unheilbar und schreitet schnell voran, führt zu vollständiger Lähmung, Ateminsuffizienz, Sprechstörungen (Anarthrie) und schweren Schluckbeschwerden (Dysphagie) und endet in vielen Fällen binnen weniger Jahre tödlich. Nach wie vor ist unklar, warum sie auftritt.
Obwohl sie auf der ganzen Welt verbreitet ist, kommt sie in einigen Regionen gehäuft vor. Das zeigt auch eine aktuelle usbekische Studie, für die das nationale Krankheitsregister der Jahre 2013 und 2014 ausgewertet worden ist. Studienautorin Dr. Dilnoza Mirzaeva von der Medizinuniversität Tashkent berichtete auf dem EAN-Kongress: „Wir fanden 3,4 Fälle jährlich pro 100.000 Einwohner. 70 Prozent konzentrierten sich auf eine bestimmte Region, und zwar das Andijan-Tal, die restlichen 30 Prozent verteilten sich auf andere Gebiete. Außerdem sind mit 60 Prozent deutlich mehr Frauen betroffen als Männer.“ In 80 Prozent der Fälle trat die Krankheit in bulbärer Form auf, nur 20 Prozent entfielen auf eine spinale Ausprägung. Die im Gesundheitsregister dokumentierte Überlebenszeit betrug bei den Betroffenen maximal drei Jahren.
Jüngere haben längere Überlebensdauer
Eine iranische Auswertung von Patientendaten wiederum, die ebenfalls beim EAN-Kongress präsentiert wurde, liefert andere Daten, was die Geschlechterverteilung betrifft: „Von den 59 ALS-Patienten, die im Rahmen der Studie begleitet wurden, waren fast zwei Drittel (64 Prozent) männlich“, so Dr. Reza Boostani von der Medizinischen Universität in Mashhad. Das Durchschnittsalter aller Patienten lag mit 51 Jahren über dem anderer Studien. Bei den 19 Patienten, die bereits verstorben waren, betrug die Krankheitsdauer durchschnittlich 53 Monate. „Dabei scheint das Alter eine wesentliche Rolle zu spielen, wie lange ein ALS-Betroffener noch zu leben hat. Keinen Einfluss auf die Überlebensdauer scheinen dagegen Faktoren wie Geschlecht oder die Ausprägungsform der Krankheit zu spielen“, so Dr. Boostani.
„In den Beiträgen von Boostani et al. und Mirzaeva et al. wird über die sehr interessante Tatsache berichtet, dass die Epidemiologie und Klinik der ALS entgegen der Lehrbuchmeinung nicht uniform sind“, kommentierte Prof. Albert C. Ludolph (Universitätsklinikum Ulm), Vorsitzender des EAN Subspecialty Scientific Panel on ALS and frontotemporal dementia, die aktuellen Daten. „Im Iran und in Usbekistan beginnt die Erkrankung deutlich früher als in der industrialisierten Welt – um das 45. Lebensjahr; das Verhältnis Männer zu Frauen unterscheidet sich und auch der Verlauf der Erkrankung scheint anders zu sein. Die Epidemiologie der ALS sollte weltweit aufgearbeitet werden, um mögliche Ursachen für die Differenzen zu finden.“
ALS-Betroffene haben häufiger Krebs
Eine italienische Studie wiederum legt eine Verbindung zwischen ALS und Krebs nahe, wie Dr. Davide Bertuzzo vom ALS-Zentrum an der Universität Turin auf dem EAN-Kongress in Berlin berichtete: „Unseren Analysen zufolge leiden ALS-Patienten häufiger an Krebs als die Durchschnittsbevölkerung, die Inzidenz von Lungen- und Brustkrebs ist besonders hoch, und zwar für beide Geschlechter. ALS-Patienten mit Krebs haben darüber hinaus einen schlechteren Verlauf der Grunderkrankung und sterben deutlich früher als onkologisch nicht belastete ALS-Patienten.“ Für die Studie waren alle dokumentierten ALS-Fälle in den Regionen Piemont und Valle d’Aosta aus den Jahren 1995 bis 2004 untersucht worden, konkret 1.260 Fälle.
„Die Relation von ALS zu Krebserkrankungen ist umstritten. Es wird von vielen Klinikern eine Suche nach paraneoplastischen Syndromen durchgeführt, die meist fruchtlos bleibt oder zumindest keinen Einfluss auf den Verlauf der ALS hat“, so Prof. Ludolph zu dieser Arbeit. „In dieser epidemiologischen Studie wurde gefunden, dass vor allem Lungen- und Brustkarzinome bei ALS-Patienten häufiger als in der Kontrollgruppe vorkommen. Man kann den Autoren empfehlen, die einzelnen Patienten zu analysieren und die Frage zu überprüfen, ob eine therapeutische Beeinflussung der Krebserkrankung eine Einfluss auf den Verlauf der ALS hat.“
Quellen: EAN-Abstracts Boostani et al, Epidemiology and clinical features of ALS in Iran; Mirzaeva et al, Epidemiological and clinical features of amyotrophic lateral sclerosis in Uzbekistan; Bertuzzo et al, ALS and Cancer: is there a link?
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