Özdemir: Grüne sollen bei Urwahl der Spitzenkandidaten auf Professionalität der Bewerber achten

Grünen-Chef Cem Özdemir ermahnt seine Partei im laufenden Urwahl-Verfahren zur Bestimmung der Spitzenkandidaten für 2013, dass man die Professionalität der Bewerber berücksichtigen müsse: „Es will gut überlegt sein, wen man in den Wahlkampf schickt, in den die anderen Parteien ja auch Profis schicken“, sagte Özdemir im Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ angesichts der Tatsache, dass auch elf Basis-Kandidaten antreten neben den Spitzenpolitikern Jürgen Trittin, Renate Künast, Claudia Roth und Katrin Göring-Eckardt. Was diese „Spitzenleute betrifft“, so Özdemir weiter, „ist ja klar, dass die sich große Kompetenz, entsprechendes rhetorisches Vermögen und viel Erfahrung erarbeitet haben“. Özdemir erinnerte dabei daran, dass er Vorbehalte gegenüber dem Mitgliederentscheid hatte: „Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass ich mir auch ein anderes Verfahren hätte vorstellen können.“

Zwar habe er sich bereits im Sommer 2011 „dafür ausgesprochen, das Instrument einer Urwahl zur Findung von Spitzenkandidaten in unsere Satzung aufzunehmen, das gab es nämlich gar nicht.“ Doch im Frühjahr 2012 „war ich auch skeptisch, ob solch ein Verfahren nicht Kraft kostet, die wir eigentlich für die Auseinandersetzung mit der Bundesregierung brauchen“. Gleichwohl sei der Beschluss für eine Urwahl „notwendig und richtig“ gewesen. Über die SPD und deren Entscheidung zur Nominierung von Peer Steinbrück sagte Özdemir: „Jetzt liegen die Karten auf dem Tisch. Wir werden deutlich machen, warum es in einer möglichen Koalition aus Grünen und SPD vor allem starke Grüne braucht, um die Energiewende voranzubringen, Europas Zukunft erfolgreich zu gestalten und die Situation von Kindern zu verbessern.“ Über die Energiepolitik, wo die Grünen jahrelang heftige Auseinandersetzungen mit Steinbrück geführt hatten,sagte Özdemir: „Die SPD hat bei dem Thema dazugelernt.“ Zudem betonte Özdemir, dass auch frühere Erfahrungen mit der SPD „ermutigend“ seien. „Denn auch wenn wir uns mit den Sozialdemokraten des Öfteren gestritten haben, so war stets klar, dass wir gemeinsam einen eindeutigen Kurs hin zu den Erneuerbaren Energien einschlagen.“ Dadurch habe man „Investitionssicherheit für die Wirtschaft“ geschaffen. „Hingegen zerstört Schwarz-Gelb derzeit durch die Verhinderung der Energiewende jede Art von Investitions- und Planungssicherheit“, sagte Özdemir. „Wenn Sie heute die Energiekonzerne fragen, wie wir in rot-grüner Zeit mit ihnen verhandelt haben und wie heute Schwarz-Gelb mit ihnen umgeht, dann ist die Antwort eindeutig: Rot-Grün war ein wesentlich verlässlicherer Partner.“ Scharfe Kritik richtete Özdemir gegen Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU), bei dem er wesentlich weniger Engagement als beim früheren Umweltminister Norbert Röttgen sieht: „Herr Röttgen war viel ernsthafter an der Energiewende interessiert als Herr Altmaier, ebenso ist es bei der Suche nach einem atomaren Endlager. Peter Altmaier hat die ergebnisoffene Standortsuche auf der Basis wissenschaftlicher Kriterien aufgegeben“, sagte Özdemir. Wenn Altmaier nun zu einem weiteren Gespräch über das Endlagersuchgesetz einlade, so seien die Grünen „gespannt, ob die einseitige Festlegung auf Gorleben jetzt endlich vom Tisch kommt und ein Schloss dran gemacht wird“. Empört zeigte sich Özdemir über den Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss. „Es war ein starkes Stück, als sie sagte, sie verstehe nicht, warum Gorleben nicht zu Ende erkundet würde.“ Dies sei „das krasse Gegenteil“ von dem, „was bei den Bund-Länder-Gesprächen über die Endlagersuche verabredet wurde: Dass man erst einmal andere Standorte prüft, bevor man in Gorleben vollendete Tatsachen schafft.“ Im Streit über die Beschneidung stellt sich Özdemir klar auf die Seite der jüdischen und muslimischen Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen wollen: „Ich sage unzweideutig, dass Juden und Muslime das Recht auf Beschneidung ihrer männlichen Kinder haben sollten, wenn diese nach klaren medizinischen Standards durchgeführt und das Kindeswohl dabei beachtet wird“. In der Diskussion seien „alle gut beraten, sich die Argumente der anderen Seite ohne Schaum vor dem Mund anzuhören“. Dazu gehöre auch, „dass man die Beschneidung von Jungen nicht in einem Atemzug mit der schrecklichen Genitalverstümmelung von Mädchen nennt. Kein Vater und keine Mutter wollen sich sagen lassen, sie würden ihre Kinder misshandeln, das gilt auch für jüdische und muslimische Eltern“, sagte Özdemir. Die Eckpunkte von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zur Regelung der Beschneidung nannte Özdemir „eine gute Diskussionsgrundlage“, über die man nun mit Kinderschutzverbänden, Ärzten und Religionsgemeinschaften sprechen müsste. Dabei aber, so Özdemir, müsse man bedenken, dass Kinder in Deutschland sehr viel größere Probleme hätten als die Beschneidung. „Auch wenn ich all jene sehr ernst nehme, die die Rechte des Kindes betonen, und man mich als Erzieher, Sozialpädagogen und Vater nicht zum Kinderschutz überreden muss, will ich doch eines festhalten: Das Thema Beschneidung steht nicht oben auf der Liste der Probleme, mit denen die Kinder in diesem Land zu kämpfen haben. Oben stehen Vernachlässigung, Gewalt, Benachteiligung sowie Gesundheits-, Ernährungs- und Bildungsdefizite. Daran will ich gerne erinnern, da diese Beschneidungsdebatte ja mitunter mit viel Eifer geführt wird.“