Ökumenische Perspektiven für wiederverheiratete Geschiedene in der Orthodoxen und Katholischen Kirche

Theologen aus München, Linz und Bielefeld eröffnen einen ökumenischen Blick auf die in Deutschland nach wie vor zu wenig bekannte orthodoxe Schwesternkirche und leiten daraus Perspektiven für den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen in der Katholischen Kirche ab.

Bielefeld (D)/Linz (A) 27.09.2012. Seit einigen Monaten wird die Frage nach dem Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen nicht nur von den „üblichen Kirchenkritikern“, sondern auf breiter Front in der Katholischen Kirche diskutiert. Jetzt eröffnen die Theologen Dr. Dr. Anargyros Anapliotis, Akademischer Oberrat für Kirchenrecht in  München, und Michael Eckert, Diplom-Theologe und Oberstudienrat in Bielefeld, einen ökumenischen Blick auf die in Deutschland nach wie vor zu wenig bekannte orthodoxe Schwesternkirche, um neue Anregungen mit „alter Tradition“ aufzuzeigen. Damit stehen beide in einer Reihe bekannter Theologen und Kirchenrechtlern, wie zum Beispiel der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, der Berliner Erzbischof Dr. Rainer Maria Kardinal Woelki und der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, die dazu auffordern, den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen in der Katholischen Kirche zu überdenken. In seinem Impulsreferat im Rahmen des Gesprächsprozesses der Deutschen Bischofskonferenz in Hannover griff der Osnabrücker Bischof Bode dieses Thema erneut auf und die Deutsche Bischofskonferenz plant eine Veränderung des Arbeitsrechts. Andere Gruppierungen der Katholischen Kirche gehen einen Schritt weiter: vor ein paar Monaten teilte eine Freiburger Initiative von Priestern und Diakonen mit, dass man wiederverheiratete Geschiedene (gegen bestehendes Kirchenrecht) offen zur Teilnahme an den Sakramenten einlade.

Dr.Dr. Anargyros Anapliotis ist am 02.10.2012 Gastredner auf einem Vortragsabend der Stiftung Pro Oriente, einer katholischen Stiftung zur Förderung der Beziehung zu den Ostkirchen. In Linz wird Dr. Anapliotis zusammen mit Dr. Sorin Bugner, dem Pfarrer der rumänisch-orthodoxen Gemeinde in Linz, darüber informieren, wie es möglich ist, dass die Orthodoxe Kirche einerseits die Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe vertritt, andererseits eine zweite und sogar dritte Ehe von der Kirche ermöglicht wird. Von zentraler Bedeutung ist hierbei das Konzept der Oikonomia, mit dem die Kirche auf die Schwächen der Menschen reagiert und vom Ideal der einen Eheschließung abweicht.  Der Vortrag in Linz findet am Dienstag, 2. Oktober 2012, 19 Uhr, im Priesterseminar Linz, Harrachstraße 7, statt.

Der Bielefelder Theologe Michael Eckert hat zu diesem Thema in den letzten Monaten schon mehrfach in diversen Tageszeitungen Stellung bezogen. Seine Einladung in die Redaktionen verdankt er seiner aktuellen Buchveröffentlichung zu diesem Thema „GOTTES SEGEN FÜR DIE ZWEITE EHE!? Ein katholischer Ausblick auf die orthodoxe Ehetheologie und die Perspektiven für die wiederverheirateten Geschiedenen“. Hierin geht es schwerpunktmäßig um die Möglichkeit der Wiederheirat in der Orthodoxen Kirche: Trotz Sakramentalität und Unauflöslichkeit der Ehe habe die Orthodoxe Kirche einen Weg gefunden, Geschiedenen sogar eine sakramentale (!) Wiederheirat zu ermöglichen. Eckert befragt in seiner Darstellung zunächst Bibel und Tradition, nach der Möglichkeit der Scheidung und Wiederheirat: Auf der einen Seite finden sich biblische und frühchristliche Zeugnisse, die sich auf das radikale Jesuswort berufen, das bereits die Ehescheidung als falsch bezeichnet. Auf der anderen Seite finden sich ebenfalls innerbiblische und frühchristlich bedeutsame Zeugnisse, die neben den Jesusworten stärker die durch Barmherzigkeit geprägten Taten Jesu in den Vordergrund stellen und sich daher für die Möglichkeit der Wiederheirat aussprechen. Sodann verdeutlicht er, dass die orthodoxe Ehetheologie bis heute unterscheidet zwischen der Orthodoxie (strenge Beachtung der Lehre) und Orthopraxie (seelsorgliches Handeln vor dem Hintergrund der göttlichen Barmherzigkeit). In der Untersuchung der liturgischen Form der Eheschließung kann Eckert sodann zeigen, dass die Feier der zweiten Eheschließung zwar weit weniger feierlich gestaltet ist, aber hier dennoch die wesentlichen Elemente enthalten sind, die für eine sakramentale Eheschließung sprechen. Vor dem Hintergrund der Möglichkeit der Wiederheirat in der Orthodoxen Kirche wird ein Ausblick auf die Perspektiven für die wiederverheirateten Geschiedenen in der Katholischen Kirche geworfen.

Mit Interesse wird die weitere Entwicklung dieser Thematik innerhalb der Katholischen Kirche beobachtet.