Ilmenau ist eine Kleinstadt in Thüringen. Genauer: 33 Kilometer südwestlich von Erfurt. Ilmenau ist Universitätsstadt, hat ca. 26.000 Einwohner und 7.000 Studenten. Und seit März 2009 auch wieder: Ein eigenes Stadt- und Monatsmagazin. Titel der Periodika: „der NEUE Geheimrat“. In einer Zeit, in der viele Printmedien einfach (oder auch nicht einfach) „eingestampft“ werden, fallen mutige Verleger natürlich auf. Zum Beispiel: Nico Debertshäuser.
Klaus Wenderoth: Herr Debertshäuser, wie hat Ihr Umfeld reagiert als Sie 2009, mitten in der Wirtschaftskrise, von Ihrer Idee für ein gedrucktes Stadtmagazin erzählten?
Nico Debertshäuser: Das direkte Umfeld war natürlich lange informiert und freute sich genauso wie ich mich auf die Umsetzung des Konzepts. „Wie lange werden die“s wohl machen?“, waren dann Fragen der ersten Leser.
Klaus Wenderoth: Wie war der Anfang und: Waren und sind Sie Geschäftsführer, Journalist, Fotograf und Mediengestalter in Personalunion?
Nico Debertshäuser: Anfangs entstand das Magazin im Trio. Ein Schulkamerad, mit dem ich viele Jahre schon dieses Projekt „ausgebrütet“ habe, hat den journalistischen Teil übernommen. Meine Frau kam rasch dazu und übernahm den Vertrieb und zeitweise das Layout.
Mittlerweile haben sich die Reihen gelichtet und ich bin der „Mann für alles“, wobei ich auf sehr engagierte freie und angestellte Autoren und Fotografen zählen kann.
Klaus Wenderoth: Wie begeistern Sie, im 3. Jahrtausend und in einer zunehmend digitalisierten Welt, die Menschen in Ilmenau für ein Magazin in gedruckter Form?
Nico Debertshäuser: Von einer Publikation, die alle 4 Wochen erscheint, erwarten die Leser tiefgründige Recherchen und Themen, die nicht alltäglich sind. In der digitalen Welt will der Nutzer alles und das möglichst sofort wissen. Diese Themen lasse ich links liegen.
Das wissen auch unsere Leser und genießen es, sich für eine Lektüre Zeit zu nehmen und tatsächlich auch darin blättern zu können. Auch, wenn gerade kein W-LAN oder eine Steckdose verfügbar ist (schmunzelt). Dennoch plane ich, das Magazin auch in der digitalen Welt zu beheimaten.
Klaus Wenderoth: Als Verleger des „Geheimrats“ haben Sie nicht nur Leser, sondern auch Inserenten. Ist es schwer, Anzeigenkunden zu gewinnen? Welche aktuelle Entwicklung beobachten Sie in diesem Bereich?
Nico Debertshäuser: Wir sind sehr nah an den Menschen hier. Auch an den Werbenden. Sie bekommen direkte Rückmeldungen über ihre Inserate und kommen über das Magazin miteinander ins Gespräch. Das höre ich oft. Daher kann ich die Entwicklung der Branche zum Glück nicht bestätigen.
Klaus Wenderoth: Natürlich „lebt“ auch Ihr Journal von lebendig erzählten und spannenden Inhalten. Wie kommen Sie an die guten Storys?
Nico Debertshäuser: Diese Frage wird uns oft gestellt. Teilweise entdecken wir diese Geschichten selbst, indem wir als Autoren mit offenen Augen und Ohren unterwegs sind. Teilweise kommen Menschen auch auf uns zu, bieten Geschichten an. Man weiß uns zu „benutzen“ (lacht).
Klaus Wenderoth: Zwischenfrage: Was meinen Sie damit?
Nico Debertshäuser: Lokalprominenz weiß um ihren Stand. Es macht einen Unterschied, ob man seine Geschichte der Tageszeitung oder mir anbietet. Je nachdem, was man gerade erreichen will: eine schnelle Informationsweitergabe oder die hintergründige, umfassende Geschichte. Aufgrund der Druckqualität ist das Stadtmagazin nichts für den Papierkorb. Es wird aufgehoben – über Jahre. Man wird sozusagen ein Teil der Stadtgeschichte, wenn ein Beitrag im Magazin veröffentlicht wurde.
Klaus Wenderoth: Wie verstehen Sie Ihre Rolle als Verleger? Hofberichterstattung oder auch mal kritische Töne in Richtung Lokalpolitik? Gibt es einen Spagat zwischen Meinungsmache und Kommerz? Riskieren Sie auch schon mal den Verlust eines Anzeigenkunden oder Lesers?
Nico Debertshäuser: Für diese Frage danke ich Ihnen sehr, denn darüber habe ich mir vor dem Start im März 2009 sehr viele Gedanken gemacht. Sie kennen den Ausspruch nach Voltaire: „Und bin ich auch nicht deiner Meinung, so werde ich doch alles dafür tun, damit du sie sagen kannst.“ Darum geht es mir im Kern – erst wenn tatsächlich so viele wie mögliche Meinungen abgebildet sind, entsteht das ganze Bild. Vorher ist es nur Meinungsmache. Dafür gebe ich mich nicht her! Auch, wenn wir dadurch schon Leser verloren haben.
Lokalpolitisch halte ich es ein wenig wie die Schweiz – das Magazin verhält sich neutral. Wir kommentieren nicht jede Stadtrats- oder Ausschußsitzung. Das ist ein Feld für die beiden hier erscheinenden Tageszeitungen. Dennoch sind wir nicht unpolitisch: der Oberbürgermeister hat in jeder Ausgabe Platz, um Lokalpolitik aus seiner Sicht darzustellen; zusätzlich schreibt der direkt gewählte Ilmenauer Bundestagsabgeordente Tankred Schipanski Beiträge über seine Arbeit, auch als Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss. Das gefällt nicht jedem und doch sind die Beiträge exklusiv für „Geheimrat“ – das lesen Sie nur bei uns!
Klaus Wenderoth: Warren Buffet, einer der reichsten Männer der Welt, kaufte sich in diesem Jahr 63 Lokalzeitungen. Was denken Sie, warum er das getan hat und warum glauben Sie an die Zukunft der lokalen Zeitungen und Magazine?
Nico Debertshäuser: Ein verbrieftes Existenzrecht hat keiner – weder Zeitungen noch Magazine wie „der NEUE Geheimrat“. Nur wenn man sich klar positioniert, ein klares Profil entwickelt und seine Nische findet, wird man auch Leser haben.
Je „globaler“ unsere Welt wird, desto mehr interessieren sich die Menschen für das, was vor ihrer Haustür passiert. Und das ist wirklich spannend! Darin liegt die Chance im Fortbestehen lokaler Printmedien. Alle anderen, überregionalen Informationen sind über Internet, Radio oder TV viel schneller transporiert als über Printmedien.
Klaus Wenderoth: Würden Sie heute, nach den Erfahrungen der letzten drei Jahre, noch einmal ein Stadtmagazin gründen? Sehen Sie vielleicht sogar noch Entwicklungspotential?
Nico Debertshäuser: Bevor 2009 die erste Ausgabe in den Handel kam, stand für mich eine Frage im Raum: Was vermisst Du als Leser? All das, was ich selbst gern lesen möchte, findet sich heute im Ilmenauer Stadt- und Monatsmagazin wieder. Würde ich es einstellen, würde nicht nur mir etwas fehlen. Somit ist die Antwort Ja. Allerdings würde ich heute manches anders machen. Das Potential ist vorhanden. Auch digital! Das schließt sich nicht aus.
Vielen Dank für das Interview und den „Rollentausch“ Herr Debertshäuser!
Dieses und weitere Interviews finden Sie im Expertenblog http://www.KlausWenderoth.de
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