Neues Meldegesetz: Unsicherheit für Bürger und Unternehmen

Potsdam, 08. Juli 2012. Das neue Bundesmeldegesetz steht „kurz vor seiner Taufe“. Nachdem der Bundestag das Gesetz – fast unbemerkt – verabschiedete, soll nun noch der Bundesrat (die Länderkammer) darüber befinden. Letzteres könnte sich als schwierig erweisen, denn § 44 des neuen Gesetzes ermöglicht es, dass die öffentliche Hand die im Melderegister erhältlichen Daten Dritten (v.a. Adresshändlern) gegen eine Gebühr zur Verfügung stellt. Das löst nun politischen Protest aus. Abseits dieses politischen Protestes setzt der Gesetzgeber mit § 44 des Bundesmeldegesetzes sowohl die betroffenen Bürger als auch die agierenden Unternehmen großen Unsicherheiten aus. ilex, eine auf das Datenschutzrecht spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei, zeigt die Fallstricke der Regelung auf und erklärt, warum auch Adresshändler mit dem Gesetzesentwurf unzufrieden seien sollten.

1. Der neue Gesetzesentwurf

Das Melderecht war lange Zeit „Ländersache“. Dass heißt, dass das Meldewesen (die Ämter, die gespeicherten Daten usw.) durch Gesetze geregelt wurde, die die Bundesländer erlassen haben. Hierbei mussten sich die Länder, wenn sie eine Meldegesetz beschlossen, im Rahmen des Melderechtsrahmengesetzes halten; das war eine bundesrechtliche Regelung zu den Leitplanken des Meldegesetzes.

Mit der sog. Förderalismusreform I änderten sich die Verhältnisse im Melderecht. Gemäß Artikel 73 Absatz 1 Nr. 3 des Grundgesetzes ist nunmehr ausschließlich der Bundesgesetzgeber für das Meldewesen zuständig (sog. ausschließliche Gesetzgebungskompetenz).

Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung ein Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens (MeldFortG) entworfen (vgl. BT-Drs. 17/7746). Dieser Entwurf wurde im Bundestag nochmals veränderten und beschlossen (vgl. BT-Drs. 17/10158).

2. § 44

§ 44 des neuen Gesetzes regelt die Frage, wer Auskünfte aus den Meldedaten bekommt. Es liegt auf der Hand, dass die Werbewirtschaft und die Adresshändler an den Daten ein sehr großes Interesse haben, sodass der Gesetzgeber diesen Unternehmen ein Auskunftsrecht einräumt.

Der Entwurf der Bundesregierung sah zunächst vor, dass die Herausgabe der Daten an diese Unternehmen die Einwilligung der betroffen Personen voraussetzt. § 44 Absatz 3 Nr. 2 lautete: „Die Erteilung einer einfachen Melderegisterauskunft ist nur zulässig, wenn die Auskunft verlangende Person oder Stelle erklärt, die Daten nicht zu verwenden für Zwecke a) der Werbung oder
b) des Adresshandels, es sei denn die betroffene Person hat in die Übermittlung für jeweils diesen Zweck eingewilligt.
“ Entscheidend war hier also, dass die Betroffenen der Hausgabe zustimmen mussten (Einwilligungslösung).

Im Bundestag wurde jedoch etwas anderes beschlossen. Der nun verabschiedete § 44 Absatz 4 sieht in dieser Konstellation eine Widerspruchslösung vor. Dort heißt es, dass die Abfrage von Adress- oder Werbeunternehmen nur unzulässig ist, „wenn die betroffene Person gegen die Übermittlung für jeweils diesen Zweck Widerspruch eingelegt hat. Dies gilt nicht, wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden.

Die Unterschiede sind offensichtlich. Während ursprünglich eine Herausgabe der Daten an Adresshändler nur mit Zustimmung der Betroffenen zulässig war, müssen die Betroffenen nunmehr aktiv werden und dem widersprechen. Überdiesist dieser Widerspruch unbeachtlich, wenn die Adresshändler schon Informationen über den Betroffenen haben – was sehr häufig der Fall sein könnte.

3. Verfassungsrechtliche Bedenken

Der nunmehr beschlossene Entwurf begegnet einem politischen Sturm der Entrüstung. Letzterer soll hier nicht wiedergegeben, geschweige denn kommentiert werden. Denn abseits der politischen Auseinandersetzung ruft der aktuelle § 44 des Bundesmeldegesetzes verfassungsrechtliche Implikationen hervor. Diese können noch nicht abschließend dargestellt werden. Daher folgt ein kurzer Überblick:

Zunächst stellt sich die Frage, ob der Bund für § 44 überhaupt eine Gesetzgebungskompetenz hat. In Deutschland verhält es sich so, dass grundsätzlich die Bundesländer Gesetze erlassen dürfen. Der Bund ist hierzu nur dann berechtigt, wenn das Grundgesetz ihm diese Möglichkeit ausdrücklich zuweist. Der Bund will sich auf Artikel 73 Absatz 1 Nr. 3 des Grundgesetzes berufen. Danach gilt: „Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über die Freizügigkeit, das Paßwesen, das Melde– und Ausweiswesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung.“ Es liegt auf der Hand, dass zahlreiche Regelungen des vorliegenden Bundesmeldegesetzes das Meldewesen betreffen. Doch gilt dies auch für den (Achtung! zugespitze Formulierung) „Verkauf von Daten an die Wirtschaft„? Es darf durchaus bezweifelt werden, dass die – in einigen Fällen nicht verhinderbare – Weitergabe von Meldedaten an Adresshändler wirklich noch dem Meldewesen, das seinem Sinn und Zweck nach eine amltiche Registrierung sicherstellen soll, zuzuordnen ist. Doch im Zweifel könnte hier eine andere Bundeskompetenz bemüht werden (Recht der Wirtschaft?), wobei auch hier Restzweifel bestehen bleiben.

Spannender ist die Frage, ob der § 44 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das gemäß der Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes gesichert ist, verletzt. Nach diesem Grundrecht darf jeder über die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung seiner personenbezogenen Daten selbst entscheiden. Ausnahmen sind nur auf Grund eines Gesetzes, das ein überwiegendes Allgemeininteresse schützt möglich.

§ 44 wäre ein solches Gesetz; es stellt sich aber die Frage, ob dieses Gesetz nicht unverhältnismäßig stark das informationelle Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigt.

Schon der legitime Zweck wird – zumindest in der öffentlichen Debatte – in Zweifel gezogen. Warum sollten Adresshändler ein schützenswertes Interesse an den Meldedaten haben? Dass ihr Interesse wirtschaftlicher Natur ist, kann nicht bezweifelt werden. Doch reicht dies wirklich aus?

Weitere Zweifel bestehen bei der Frage der Angemessenheit der Regelung. Hier ist durchaus zu beanstanden, dass die Schutzmechanismen, die § 44 vorsieht, nur sehr schwach sind.

Angesichts der Sensibilität der Meldedaten erscheint eine Widerspruchslösung als äußerst schwaches Schwert. Insbesondere fällt auf, dass das Bundesdatenschutzgesetz für andere Datenquellen in § 28 Absatz 3 des Bundesdatenschutzgesetzes eine Einwilligungslösung vorsieht, wenn es um die werbliche Nutzung geht. Zuzugeben ist aber, dass auch die Einwilligungslösung in § 28 BDSG sehr stark aufgeweicht wurde. Soweit sich der Gesetzgeber hier auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG Az. 6 C 05.05) berufen möchte, vermag dies nicht aus sich heraus zu überzeugen. Denn das Bundesverwaltungsgericht hatte dort über die konkrete Frage der Auskunftssperre zu befinden; nicht aber über das neue Bundesmeldegesetz und dessen Implikationen.

Entscheidend dürfte aber sein, dass der Widerspruch in den Fällen unbeachtlich sein soll, in denen „die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden„. Hat der Adresshändler also bereits Daten über den Betroffenen, kann er sich immer wieder von neuem bedienen, ohne dass ein Widerspruch des Betroffenen hieran noch etwas ändern würde. Mit anderen Worten: Der Betroffene muss womöglich ein Leben lang dulden, dass seine Meldedaten herausgegeben werden. Eine solche Entwertung des Widerspruchs ist nicht mehr mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar. Denn es berührt den Kern dieses Grundrechts, nämlich die Datenhoheit des Einzelnen. Diese kann zwar durch Gesetz eingeschränkt werden, wobei ein absoluter Verlust dieses Kerns aber nicht möglich sein dürfte.

Überdies stellt sich – abseits von der verfassungsrechtlichen Betrachtung – die Frage, ob eine solche Entwertung des Widerspruchsrechts mit der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr vereinbar sind. Dessen Artikel 14 sieht ein Widerspruchsrecht vor, wobei nicht ersichtlich ist, dass ein gesetzlicher Ausschluss des Widerspruchsrechts möglich sein sollte.

4. Fazit

Insgesamt können weder die Bürger noch die Adresshändler noch die Werbewirtschaft mit § 44 des Bundesmeldegesetzes zufrieden sein. Die Unzufriedenheit der Bürger wird derzeit in der politischen Debatte thematisiert.

Für die Unzufriedenheit der Adresshändler gilt dies nicht. Dennoch sollten Adresshändler und Unternehmer, die sich dieser Adresshändler bedienen, ebenfalls über den Gesetzesentwurf genau nachdenken. Wem nützt es denn, dass hier eine womöglich verfassungswidrige Regelung geschaffen wird? Selbst wenn das Gesetz in Kraft tritt und die Behörden entsprechende Auskünfte erteilen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis erste Verfassungsbeschwerden eingehen. Möglicherweise wird das Gesetz dann aufgehoben (dies kann niemand mit Sicherheit wissen!). Und dann müssen alle Datenströme korrigiert und zurückgeführt werden, so dies überhaupt noch möglich ist. Dieser Aufwand trifft dann zunächst die Wirtschaft, die sich dann zahlreicher Widerrufs- und Löschungsansprüche ausgesetzt sieht.

Daher sollten auch Unternehmen darauf Acht geben nur solche Gesetze für sich zu verwenden, die eine längere Halbwertzeit haben. Dass Interesse der Werbewirtschaft ist durchaus nachvollziehbar.

Dr. Stephan Gärtner
Rechtsanwalt

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