Visualisierte Weinkultur sinnlich erleben
BOZEN | Moderne Architektur erlebt in den letzten Jahren in der Weinbranche einen regelrechten Boom. Auch in Südtirol setzen immer mehr Weingüter, Kellereien und Vinotheken mit überlegten, gestalterisch anspruchsvollen Bauten moderne Akzente und schaffen damit einen eigenen unverwechselbaren Stil. Man hat erkannt, dass die gestiegene Qualität der Südtiroler Weine ihren Ausdruck auch in einer neuen zeitgemäßen Präsentation nach außen finden muss. So gibt es in Südtirol zahlreiche Beispiele von Weingütern und Kellereien, die den Genuss von Wein mit dem an der Baukunst verbinden – ohne dabei reiner Selbstzweck zu sein. Ein Besuch der einzelnen Betriebe lohnt sich!
Südtirol ist ein Weinbauland voller Tradition. Da ist es nicht verwunderlich, dass in der neuen Architektur die Verschmelzung von Alt und Neu eine wichtige Rolle spielt. Alte Bausubstanz wird durch neue Elemente fortgeführt und bereichert. Das ist es gerade, was den besonderen Reiz der neuen Baukunst ausmacht. Bei der Umgestaltung von Salon, Rezeption und Terrasse im denkmalgeschützten Pacherhof in Neustift bei Brixen war es oberste Priorität, die neuen Elemente stil- und respektvoll in das Gesamtensemble einzubringen. In der Kellerei St. Michael Eppan an der Südtiroler Weinstraße ergänzt ein zeitgenössischer Bau das imposante Jugendstil-Gebäudes aus dem Jahr 1909 auf perfekte Art und Weise. Die neue Vinothek „Zeit für Wein“ gleicht einem wahren Sinnesparcours. „Ein erstklassiger Wein braucht ein stilvolles Ambiente, um seine Wirkung standesgemäß entfalten zu können“, erklärt Kellermeister Hans Terzer die Motivation für den Neubau.
Auch das winecenter der Kellerei Kaltern ist in den alten Baubestand aus dem Jahr 1911 integriert. In dem L-förmigen Neubau – einem Projekt der Wiener Architekturgruppe feld72 – begegnen Besucher auf verschiedenen Ebenen dem Produkt Wein. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Verkostung in der über dem Verkaufsraum schwebenden Lounge? Auf dem Weinhof Kobler in Margreid kann man die Weine ebenfalls in außergewöhnlicher Atmosphäre probieren. Der neue Verkostungsraum wurde vom Architekten-team Lukas Mayr und Theodor Gallmetzer wie eine Schublade in das traditionelle Wohnhaus ge-schoben und überzeugt mit geradlinigem Design. Absolutes Highlight ist eine Hebescheibe, mit der sich der Raum nach außen erweitern lässt.
Neue Anziehungspunkte – die Weinarchitektur prägt die Weinkulturlandschaft mit
Sehr gekonnt verbindet auch das kleine Bistrot „Le verre capricieux“ des Weinguts Elena Walch Neu und Alt. Auf der Innenseite in Glas ausgeführt, lehnt sich das Bistro an die massive Natursteinmauer, die das Weingut umgibt, und öffnet sich zum ebenfalls neu gestalteten Garten hin. Der junge Architekt David Stuflesser hat damit einen wunderschöner Rahmen geschaffen, um einen guten Tropfen zu genießen. Das Weingut Falkenstein am Vinschger Sonnenberg besticht ebenfalls mit einer beeindruckenden Architektur – es wurde in den Hang hineingebaut und verbindet auf diese Weise das Notwendige mit praktischem Nutzen: Die Hanglage bot keine andere bauliche Lösung, die aber jetzt für eine natürlich Klimatisierung des Kellers sorgt.
Der Umbau des Weinkellers von Schreckbichl wurde nicht nur als Bau-, sondern auch als Kunstprojekt verstanden. So erinnert der Holzteil der Fassade in Material und Gestaltung an Eichenholzfässer. Die Paneele aus schwarzem Streckmetall, die im Anklang an die ursprünglichen Gebäude der Sechziger Jahre eingesetzt wurden, symbolisiert hingegen die modernere Seite der Weinherstellung. Verbindendes Element sind Installationen aus poliertem rostfreiem Stahl in beiden Gebäuden – dem ursprünglichen und dem neuen.
Eine traumhafte Aussicht auf die Meraner Weinberge erwartet Besucher in der Panorama-Önothek der Kellerei Merlan Burggräfler. Hier war der Architekt Werner Tscholl am Werk, der wie kein anderer für die Weinarchitektur in Südtirol steht und unter anderem auch die Kellerei in Tramin geplant hat. „Es ging darum, an der bestehenden Kellerei unter bestmöglicher Nutzung des vorhandenen Geländes weiter zu bauen“, sagt er über das Projekt „Durch das Abnehmen des Satteldachs entstand neuer „Baugrund“, auf dem ein eingeschossiger verglaster Pavillon errichtet wurde. Das alte Gebäude wurde samt seiner Fresken erhalten, das neue ist ein weitum sichtbarer Anziehungspunkt.“
Bei der Erweiterung der Kellerei Girlan ließ man sich in der Linienführung und Formgebung des Baus von der umgebenden Hügellandschaft inspirieren. Es wurde mit natürlichem Baumaterial und erdigen Farbtönen gearbeitet, um den Neubau möglichst stimmig in die Dorfstruktur zu integrieren. In Montan hat man hingegen das Weingut Pfitscher unter dem Motto „Tradition wahren, Neues wagen“ sogar aus der Dorfmitte verlegt – mitten in die Weinberge. Dabei achtete man nicht nur darauf, dass sich die neue Kellerei trotz aller Modernität perfekt in die Landschaft einfügt, sondern auch auf eine energieeffiziente Bauweise. Dafür wurde das Gut mit dem Siegel „KlimaHaus Wine“ ausgezeichnet.
Weinarchitektur in Südtirol – Symbiose aus Funktion und Ästhetik
Diese Beispiele zeigen, dass die Architektur beim Südtiroler Wein eine durchaus prägende Rolle einnimmt. Nicht nur große Kellereigenossenschaften, sondern auch kleinere Winzer haben sich mit ihrer modernen Architektur ein zeitgemäßes Erscheinungsbild gegeben. Die kompromisslose Moderne bringt dabei die ebenfalls kompromisslose Weinqualität zum Ausdruck und kommt ohne protzige Großmannssucht aus. Es sind vielmehr gekonnte Lösungen, die den Bedingungen und der Atmosphäre des Ortes gerecht werden, an dem gebaut wurde. Neben der Ästhetik sind es aber auch die „inneren Werte“ der neuen Südtiroler Weinarchitektur, die sie so prägend für das Weinland Südtirol machen. So kann in vielen Kellerneubauten der elektrische Kühlbedarf verringert sowie ganz bewusst die Schwerkraft bei der Weinbereitung genutzt und damit weitestgehend auf elektrische Pumpen verzichtet werden. Das kommt wiederum der Weinqualität zu Gute – womit sich der Kreis zur Weinarchitektur schließt.
14. August 2013
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