EFORT 2013: Europäischer Orthopädiekongress mit 7.500 Teilnehmern/-innen in Istanbul
Eigenblutspenden vor einer Knie- oder Hüftgelenksimplantation sollten anämischen Patienten/-innen vorbehalten sein, forderten Experten/-innen auf dem EFORT Kongress in Istanbul. Eine aktuelle Studie zeigt, wie wertvolle Ressourcen eingespart werden können.
Istanbul, 8. Juni 2013 – „Patienten/-innen, die vor der Operation nicht unter Blutarmut leiden, brauchen auch keine Eigenblutspende vor einer primären Knie- oder Hüftimplantation. Diese Routinemaßnahme ist medizinisch längst nicht in allen Fällen indiziert und führt oft nur zu einer erhöhten Transfusionsrate. Gleichzeitig werden viele Eigenblutkonserven aufgrund mangelnden Bedarfs postoperativ verworfen. Stattdessen sollten wir uns auf das Blutmanagement bei Patienten/-innen konzentrieren, deren präoperativer Hämoglobinwert zu niedrig ist“, forderte Prof. Friedrich Böttner (Hospital for Special Surgery, New York, USA) beim Kongress der Europäischen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie (EFORT) in Istanbul, wo derzeit 7.500 Experten/-innen aktuelle Entwicklungen des Fachgebiets diskutieren. Mit seiner Empfehlung bricht Prof. Böttner mit der verbreiteten Praxis, im Zuge jeder Hüft- oder Knieimplantation vorsichtshalber mindestens eine Konserve Eigenblut bereitzuhalten. Die präoperative Eigenblutspende hat sich als Behandlungsstandard durchgesetzt, um Fremdbluttransfusionsrisiken zu minimieren. Wie die neue Studie von Prof. Böttners Forschungsteam zeigt, geht es jedoch auch anders.
„Untersucht wurde mit unserer prospektiven Arbeit, inwieweit sich ein gezielter Einsatz von Blutspenden auf die gesamte Transfusionsrate auswirkt. Wie häufig brauchen zum Beispiel nicht-anämische Patienten/-innen tatsächlich eine Fremdbluttransfusion, falls sie sich nicht mit Eigenblut vorsorgen? Und wie viele Konserven Blut brauchen im Gegensatz Patienten/-innen mit einem präoperativen Hämoglobinwert von weniger als 13,5g/dL?“, so Prof. Böttner. Zu diesem Zweck analysierte das New Yorker Forschungsteam zwischen 2009 und 2012 die Daten von mehr als 429 primären Knieprothesenimplantationen. Nur den anämischen Patienten/-innen wurde angeraten, eine Konserve Eigenblut zu spenden. Knapp die Hälfte von ihnen (98 von 233) folgten diesem Rat. Die Mehrheit der nicht-anämischen Gruppe, 185 Patienten/-innen, spendete kein Eigenblut.
Kaum Blutbedarf für nicht-anämische Patienten/-innen
Nur 13 der 185 nicht-anämischen Patienten/-innen (5,9 Prozent) benötigten tatsächlich eine Fremdbluttransfusion während oder nach dem Eingriff. Signifikant mehr waren es bei den blutarmen Studienteilnehmern/-innen: 33 Prozent der Patienten/-innen aus der anämischen Gruppe, die kein Blut gespendet hatten, brauchten mindestens eine Fremdblutkonserve – das waren 44 von 135 Patienten/-innen. Die anämische Gruppe (98 Patienten/-innen), die eine Eigenblutspende geleistet hatte, benötigte diese auch tatsächlich in 71 Prozent der Fälle. Die Eigenblutspende erwies sich bei anämischen Patienten/-innen als sehr effektiv und senkte den Bedarf an Fremdblut auf neun Prozent. „Unsere Resultate decken sich mit denen anderer Forschungsarbeiten. Es liegt auf der Hand, dass von routinemäßigen Eigenblutspenden bei der primären Knie- und auch Hüftendoprothetik Abstand genommen werden kann. Gezielter Einsatz von autologen Blutkonserven machen bei beiden Eingriffen aber dann Sinn, wenn Patienten/-innen unter Anämie leiden und deshalb ein erhöhtes Transfusionsrisiko gegeben ist. Ersparen kann man den Patienten/-innen die Eigenblutspende, wenn der präoperative Hämoglobinwert vor einer Hüftendoprothesen-Implantation über 12,5 g/dL und vor einer Knieendoprothesen-Implantation bei über 13,5 g/dL liegt.“
Gezielter Einsatz von Blutkonserven
Die Orientierung an diesen Blutwertmarkern könne problemlos in das klinische Behandlungsprotokoll jeder Einrichtung aufgenommen werden. Der gezielte Einsatz von teuren Blutkonserven würde nicht zuletzt auch Blutbanken und Gesundheitsbudgets deutlich entlasten, betonte Prof. Böttner.
Ein wohlüberlegter Einsatz von Ressourcen ist nicht zuletzt aufgrund des stark zunehmenden Bedarfs an Knieprothesen dringend geboten. Bedingt durch die demografische Entwicklung benötigen immer mehr Menschen ein künstliches Kniegelenk. In Dänemark haben sich laut einem OECD-Bericht die Knieimplantationen zwischen 2000 und 2010 verdreifacht, in Spanien mehr als verdoppelt und in Frankreich ist ihre Zahl im gleichen Zeitraum um 60 Prozent gestiegen. Auch wenn es bei den Implantationen große lokale Unterschiede gibt, spricht der erhobene EU-21-Durchschnitt Bände: Im Jahr 2005 wurden noch 89 Knieprothesen pro 100.000 Einwohner/-innen und Jahr eingesetzt, fünf Jahre später waren es schon über 109.
Hintergrund EFORT
Die European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) ist die Dachorganisation orthopädischer Fachgesellschaften in Europa. EFORT wurde 1991 im italienischen Marentino gegründet. Heute gehören ihr 42 nationale Mitgliedsgesellschaften aus 43 Ländern und sechs assoziierte wissenschaftliche Organisationen an.
EFORT ist eine Non-Profit Organisation. Das Ziel der Mitgliedsgesellschaften ist es, den Austausch von wissenschaftlichem Fachwissen und von Erfahrungen in der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen des muskuloskelettalen Systems zu fördern. EFORT organisiert europäische Konferenzen, Schulungen, Kurse, Foren und Kongresse. Ferner werden von EFORT Grundlagenforschung und klinische Forschung initiiert und unterstützt.
Quellen: EFORT Abstract 3714: Targeted Preoperative Autologous Blood Donation in total knee arthroplasty: The Hospital for Special Surgery Blood Preservation Center experience; Eurostat Database: http://dx.doi.org/10.1787/888932704627; OECD (2012): „Health at a Glance“, OECD Publishing http://www.oecd-ilibrary.org/docserver/download/8112121ec037.pdf?expires=1367064994&id=id&accname=guest&checksum=576F319F323CD54D470676CAEDA8C769; The Orthopedic Surgery Transfusion Hemoglobin European Overview (OSTHEO), 2004