Merkel will Schaffung von Arbeitsplätzen in Mittelpunkt der EU-Krisenpolitik rücken

Europa soll sich nach dem Willen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mehr um Arbeitsplätze und die Konjunktur kümmern. Schuldenabbau und Haushaltsdisziplin reichten nicht aus, es gehe jetzt um Wachstum und Beschäftigung, sagte Merkel in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ und anderen europäischen Tageszeitungen (Donnerstagausgabe). Die Kanzlerin beharrte in dem Gespräch darauf, dass sich die Schuldenländer stärker reformieren müssten.

„Es macht keinen Sinn, wenn wir immer mehr Geld versprechen, aber die Ursachen der Krise nicht bekämpfen“, so Merkel. Sie reagierte damit auf Forderungen besonders aus Italien oder vom IWF, wonach Deutschland mehr Solidarität zeigen und den Rettungsfonds aufstocken müsse. „Wir sind solidarisch, dürfen aber auch die Eigeninitiative nicht vergessen“, entgegnete Merkel. „auch wir Deutsche müssen aufpassen, dass uns am Ende nicht die Kraft ausgeht, denn unendlich sind auch unsere Möglichkeiten nicht.“ In dem Gespräch setzte Merkel den Ton für den nächsten EU-Gipfel am kommenden Montag: Arbeitsplätze und Wachstum sollen jetzt in den Mittelpunkt der europäischen Krisenpolitik rücken. Dazu stellte Merkel Geld für europäische Konjunkturprogramme in Aussicht. Die Haushaltstöpfe der EU sollten nach nicht-abgerufenen Mitteln durchforstet werden. Andererseits könne die Konjunktur auch ohne Finanzhilfen etwa durch Reformen am Arbeitsmarkt stimuliert werden, so Merkel. Die Konjunkturprograme sollen nach der Vorstellung Merkels aus den EU-Struktur- und Kohäsisionsfonds bezahlt werden. Diese Fonds sind Teil des EU-Haushalts bis 2013 und summieren sich auf etwa 350 Milliarden Euro. Fast 72,9 Prozent der Mittel sind noch nicht ausgegeben. Merkel sagte, das Geld könne für Mittelständler, Existenzgründer oder die Forschung zur Verfügung gestellt werden. „Deutschland ist bereit, für diese sinnvolle Zwecke die Strukturfonds einzusetzen“, so Merkel. Merkel will außerdem die EU-Partner zu einschneidende Reformen an ihrem Arbeitsmarkt animieren. Das Arbeitsrecht müsse flexibilisiert werden, „gerade dort, wo junge Leute betroffen sind“. Es dürfe außerdem nicht sein, dass „ganze Berufsgruppen nur für eine kleine Gruppe der Bevölkerung zugänglich sind“. zugunsten junger Leute. Außerdem könne der Dienstleistungen „sehr schnell ausgebaut“ und Privatisierungen zugelassen werden. Den Begriff von den „Vereinigten Staaten von Europa“ lehnte Merkel erneut ab. Vielmehr strebe sie eine politische Union an, in der sich die Staaten „Schritt für Schritt in allen Bereichen der Politik“ annäherten, sagte die Kanzlerin. Im Laufe dieses Prozesses würde die Kommission mehr Kompetenzen erhalten, „die dann für die europäischen Bereiche wie eine Art Regierung funktioniert“. Dazu gehöre ein starkes Parlament. Eine „gleichsam zweite Kammer“ bildete der Rat mit den Regierungschefs. Der Europäische Gerichtshof fungiere als Oberstes Gericht. Merkel sprach von der „künftigen Gestalt der poliitschen Union“, allerdings „in einiger Zukunft und nach vielen Zwischenschritten“. Die Kanzlerin nutze das Interview für die Zeitungen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen und Spanien, um über die Stärke Deutschlands zu reden. Sie nehme die Sorgen vor einem dominanten Deutschland ernst, „aber sie sind unbegründet“. Gleichzeitig warnte sie vor Stereotypen und betonte, Europa habe sich gerade durch die Überwindung von Vorurteilen ausgezeichnet. „Die alten Stereotypen können wir begraben“, so Merkel. Europa nannte sie „unser Glück“. Merkel wörtlich: „Das ist mein Kontinent“, das freie Europa sei immer ihr „Traum“ gewesen. Allerdings würden Gefühle alleine nicht ausreichen, um den Menschen Wohlstand und Arbeit zu geben. Merkel machte mehrfach deutlich, dass sie keine Alternative zu ihrem strengen Reformkurs sehe. „Europa ist Innenpolitik“, so Merkel, die betonte, dass man deswegen „nicht mehr nur diplomatisch miteinander umgehen, sondern die Probleme ungeschönt ansprechen“ müsse. Höhere Zahlungen Deutschlands für den europäischen Rettungsschirm lehnte Merkel erneut ab und verlangte stattdessen weiter Reformen in den Schuldenländern. „Es hat keinen Sinn, wenn immer mehr Geld versprechen, aber die Ursachen der Krise nicht bekämpfen“, sagte Merkel. Allerdings stelle sie den Euro-Ländern weiter Deutschlands Solidarität in Aussicht. Zur Zeit sei allerdings „eine gute Balance zwischen Eigenverantwortung und Solidarität“ erreicht. Auf die Frage nach ihrer Vorstellung von Solidarität sagte sie vieldeutig, dass sie den europäischen Partnern helfen wolle, „dass auch sie alle Anstrengungen unternehmen, um ihre Lage zu verbessern“. Merkel machte deutlich, dass sie nicht von den europäischen Verträgen abweichen werde, wonach „kein Land für die Schulden des anderen aufkommen darf“. Außerdem warnte sie davor, dass Deutschland „am Ende nicht die Kraft ausgehen“ dürfe, „denn unendlich sind ich unsere Möglichkeiten nicht“. Ebenfalls lehnte die Kanzlerin eine höhere Gemeinschaftshaftung ab und sagte, „für die augenblickliche Krise sind Eurobonds keine Lösung“. Mehr gemeinschaftliche Haftung sei erst möglich, wenn Europa stärker integriert sein, etwa wenn der Europäische Gerichtshof die nationalen Haushalte kontrolliere. In diesem Sinn verlangt die Kanzlerin eine harte Ausgestaltung des Fiskalpakts, der gerade verhandelt wird. „Wenn man sich hundertmal Schuldenabbau versprochen hat, dann muss das auch eingeklagt werden können“, so Merkel. Deswegen müssten die Institutionen mehr Kontrollrechte bekommen. Merkel warb mehrfach um Verständnis für ihre harte Haltung und sagte, man habe in Europa eine neue Qualität des Umgangs miteinander erreicht, „gleichsam eine europäische Innenpolitik“. Da könne man nicht mehr nur diplomatisch miteinander umgehen sondern müsse die Probleme ungeschönt ansprechen.