„Made in Germany“ steht für Qualität deutscher Ingenieurleistungen

Interview mit Dr. Olaf Sauer, Stellvertreter des Institutsleiters/Geschäftsfeld Automatisierung Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB)

>> „Herr Dr. Sauer, wie schätzen Sie den Stellenwert des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus im internationalen Vergleich ein?“
>> Dr. Sauer: „Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau rüstet weltweit erfolgreich Produktionsstätten und Fabriken aus. „Made in Germany“ steht seit Jahrzehnten für die Qualität deutscher Ingenieurleistungen. Allerdings stehen die deutschen Maschinenbauunternehmen und ihre Ingenieure zunehmend im internationalen Wettbewerb – mit dem bekannten Druck hinsichtlich Kosten bzw. Preis, Zeit und Qualität. Inzwischen haben beispielsweise chinesische Anbieter einen Teil des Werkzeugmaschinenmarktes gewonnen – vor allem im ‚unteren‘ Segment für Standardmaschinen. Nach den aktuellen Zahlen des VDMA aus dem Jahr 2012 lieferten chinesische Hersteller im Jahr 2011 Maschinen im Wert von rd. 563 Mrd. Euro, deutsche dagegen 221 Mrd. Euro.“

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>> „Der Markt unterliegt einem Wandel. Wird es zukünftig ausreichen, hochproduktive Maschinen und Anlagen anzubieten oder verlangen Kunden nach einem Mehrwert wie beispielsweise produktbegleitende Dienstleistungen? Und wie sollten diese Zusatzleistungen aussehen?“
>> Dr. Sauer: “Ohne die Zusatzleistungen werden deutsche Hersteller nicht mehr auskommen. Diese Zusatzdienste binden Kunden und bieten ihnen zusätzlichen Nutzen über die reine Maschine hinaus. Beispiele sind der Zugriff auf die Anlagen über das Internet zu Wartungszwecken oder für Software-Updates. Aber diese Leistungen sind erst der Anfang. Es ist absehbar, dass Maschinen- und Anlagenbauer APPs rund um ihre Maschinen anbieten, so dass der Betreiber beispielsweise über mobile Geräte zugreifen oder ggfs. sogar die Anlage bedienen kann. Die Maschine könnte beispielsweise selbst Kennzahlen über ihre Verfügbarkeit berechnen. Sicher ist auf jeden Fall, dass diese zusätzlichen Leistungen die globale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus stärken. Dies hat eine Studie des Ifo-Instituts für die Europäische Kommission ergeben: maschinennahe Dienstleistungen sorgen für neue Wertschöpfung und schaffen damit Arbeitsplätze für hochqualifizierte Mitarbeiter. Dienstleistungen rund um die Maschine ermöglichen außerdem neue Geschäftsmodelle, die weniger anfällig sind für Absatzschwankungen und Investitionszyklen.“

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>> „IKT-basierte Leistungen sind der Schlüssel. Wie gut sind die Maschinenbauer darauf vorbereitet?“
>> Dr. Sauer: „Nach unseren Gesprächen mit vielen Maschinenbauern testen bereits einige die IT-basierten Zusatzleistungen. Allerdings leider nicht so systematisch, wie wir uns das nach einem ingenieurmäßigen Vorgehen vorstellen: nach einer Studie unserer Kollegen des Fraunhofer IAO hat nur ein Viertel der Maschinenbauer eine explizite Strategie, welche Internet-basierten Dienstleistungen sie auf- und ausbauen werden. Und nur ein Fünftel der gleichen Unternehmen verfügt über ein passendes Geschäftsmodell. Hier besteht also noch Handlungsbedarf, zumal Software zukünftig zum eigenständigen Bestandteil des Produktportfolios werden wird – mit den Herausforderungen eines professionellen Softwareentwicklungsprozesses, Qualitätssicherung für Software, Modelle für Software-Wartung und –Service bis hin zur Anpassung der Vertriebsorganisation, die IKT-Produkte und deren Nutzen verkaufen kann. Der Prozess, um zu maschinennahen Zusatzleistungen zu kommen, ist vergleichbar mit dem Entwicklungs- und Herstellungsprozess einer Maschine oder Anlage. Insofern ist es für uns schon erstaunlich, dass auf Seiten der Software scheinbar eher nach dem Prinzip ‚Versuch und Irrtum‘ vorgegangen wird.“

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>> “Wie kann Fraunhofer IOSB beim Thema IKT-Kompetenz unterstützen?“
>> Dr. Sauer: „Das Fraunhofer IOSB hat langjährige Erfahrungen beim Design, der Entwicklung sowie der Auslieferung und Einführung komplexer Software-Systeme in der produzierenden Industrie. Dass die einer Software zugrunde liegende Architektur maßgeblich die Leistungsfähigkeit und Lebensdauer der IT-Lösung bestimmt, haben wir schon in vielen Projekten für die verarbeitende Industrie immer wieder nachweisen und einbringen können. Software-Komponenten, z.B. Portale zum Fernzugriff auf Maschinen und Anlagen, sind heute komplexe und daher professionell zu konzipierende Lösungen, wobei die Codierung des reinen Softwareprogramms daran nur einen kleinen Anteil hat.“

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>> „Können Sie uns einige spezielle IKT-Angebote von Fraunhofer IOSB zur Unterstützung des Maschinen- und Anlagebaus im Segment IKT-Kompetenz erläutern?“
>> Dr. Sauer: „Ich möchte unsere Unterstützung an zwei aktuellen Beispielen verdeutlichen:
–> 1. Produktionsnahe IT-Systeme, die Maschinen und Anlagen im Betrieb mit Auftragsreihenfolgen versorgen bzw. von den Maschinen Daten gemeldet bekommen, entwickeln sich zu Datendrehscheiben in den Fabriken der Zukunft. Mit ihnen müssen sich Maschinen- und Anlagen verbinden – möglichst schnell und effizient. Für den Maschinenbauer heißt dies, seine eigene anlagennahe Visualisierung so zu konzipieren, dass sie schnell an ein übergeordnetes System angebunden und bei Bedarf erweitert werden kann. Über unser Know-how aus der Schnittstellen-Standardisierung, eigenen Visualisierungswerkzeugen und intelligenten Datenablagen für SPS-Bausteine bieten wir Maschinen- und Anlagenbauern konkrete Unterstützung an, um ihre Maschinen an übergeordnete Leit-und MES-Systeme anzubinden, Leitsysteme für verkettete Anlagen zu konzipieren oder ihre eigenen maschinennahen Leitsysteme in die MES-Landschaft ihrer Kunden zu integrieren. Beispielsweise haben wir schon gezeigt, dass die maschinennahe und übergeordnete Visualisierung zum großen Teil generiert werden kann und so Inbetriebnahmezeiten und –fehler reduziert werden.
–> 2. Darauf aufbauend helfen wir dem Maschinenbau, die Maschine-Maschine-Kommunikation (M2M) zu ermöglichen bzw. zu verbessern. Mit der zugehörigen Softwarelösung reagiert die Maschine auf Befehle und erfüllt Aufgaben weitestgehend eigenständig, und – entscheidendes Kennzeichen – sie kann mit anderen Maschinen oder Komponenten in Kontakt treten. Deshalb wird in diesem Zusammenhang vom „Internet der Dinge“ gesprochen. Dazu zählen die Heizungsanlage, die sich von unterwegs aus über ein Mobilgerät bedienen lassen sollte, das Ablesen von Energieverbrauchsdaten einer Produktionsanlage oder ein Infrarotsender, der als Bewegungsmelder automatisch und gezielt ausgewählte Überwachungssysteme einschaltet und den Sicherheitsdienst mit Beobachtungen informiert. Das ‚Internet der Dinge‘ schafft also neue Möglichkeiten für Anwendungen im Maschinenbau wie das Condition Monitoring, die Fernwartung oder das dezentrale Energiemanagement und wird neue Architektur-, Kommunikations- und Informationsmanagementansätze erfordern.“

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>> „Wie wird die Digitalisierung die Produktion zukünftig verändern?“
>> Dr. Sauer: „Nach allen Beobachtungen am Markt wird die zunehmende Digitalisierung die bisherigen Engineering-Prozesse im Maschinenbau Schritt für Schritt umkrempeln: einige Innovatoren haben damit begonnen, ihre Maschinen und Anlagen quasi aus sich selbst beschreibenden mechatronischen Komponenten zusammen zu ’stöpseln‘. Diese mechatronischen Komponenten bestehen aus Geometrie-, Kinematik- und Logik-, d.h. Steuerungs-Anteilen, die von Projekt zu Projekt aus einer Bibliothek wieder verwendet werden. Dies wird das Engineering und die Inbetriebnahme von Maschinen erheblich beschleunigen. Aktuelle Untersuchungen des VDMA belegen diesen Trend: der wertmäßige Anteil an Mechanik einer Maschine nimmt kontinuierlich ab – der Software- und Automatisierungsanteil dagegen steigt. Wir unterstützen Maschinen- und Anlagenbauer beim Aufbau zukunftsorientierter IT-Architekturen, sowie bei der Auswahl geeigneter IT-Technologien, -Werkzeuge und –Funktionalitäten. Aus unserer Erfahrung ist dies allein aber nicht ausreichend – wie die Entwicklung einer Maschine erfordert die Softwareentwicklung einen ingenieurmäßigen Entwicklungsprozess mit definierten Phasen, Freigabemechanismen, Projektmanagement und Dokumentation. Darum helfen wir Maschinenbauern auch dabei, die Organisation einer professionellen Softwareentwicklung speziell auf das einzelne Unternehmen zu zuschneiden.“

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>> „An welchen zukunftsweisenden Projekte und Innovationen arbeiten Sie derzeit?“
>> Dr. Sauer: „Für uns ist das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 von größter Bedeutung, das unter anderem die folgenden zwei Herausforderungen lösen möchte:

–> 1. Herausforderung Interoperabilität:
Produkte, Produktionsanlagen und –prozesse, deren Steuerungen und überlagerte Anwendungen werden zukünftig verstärkt Internet-Technologien nutzen. Allerdings entwickeln sie sich unabhängig voneinander – insofern benötigt die produzierende Industrie für morgen und übermorgen Methoden, Werkzeuge und Softwarekomponenten zur Synchronisierung dieser drei essentiellen Bereiche von Produktionsunternehmen und der sie unterstützenden IT-Systeme PLM, Digitale Fabrik und MES. Damit ein durchgängiger Datenaustausch zwischen Maschinen und IT-Systemen funktioniert, werden Standards zur sicheren Kommunikation in der Fabrik benötigt: ein akzeptierter und in der Verbreitung befindlicher Kommunikationsstandard in Produktionsunternehmen ist OPC-UA. Auch innerhalb einer Maschine und Produktionsanlage ist Interoperabilität gefragt: Mechatronische Elemente sind die Komponenten von Produktionsanlagen; damit enthalten sie die Grundinformationen über die Geometrie, die Kinematik sowie die Logik der Anlage. Da jede mechatronische Komponente software-relevante Anteile in Form von eingebetteten Systemen oder Steuerungscode enthält, stellen sich auch hier Fragen der Interoperabilität und des durchgängigen Datenmanagements.
–> 2. Herausforderung Datenkomplexität:
In den Datenbeständen produktionsnaher IT-Systeme und solchen aus dem Betrieb von Anlagen, beide gespeist durch die Sensordaten, liegen Schätze, die noch gehoben werden können – um damit Einsparungs- oder Verbesserungspotentiale auszuschöpfen. Mit der zunehmenden Komplexität moderner Produktionsanlagen wächst auch der Bedarf nach einer automatischen Erkennung von Anomalien, von Verschleiß und von Anlagenfehlern. Moderne Data Mining-Verfahren bieten erste Lösungsansätze, um der neuen Datenflut Herr zu werden. Damit nicht jeder Nutzer mit allen Informationen, die die einzelnen Systeme einer Fabrik liefern, ‚überschüttet‘ und überfordert wird, müssen die Informationen rollenbasiert und verteilt bereitgestellt werden können. Jeder Nutzer erhält dann die Informationen, die er benötigt, um seine Aufgabe vollständig erfüllen zu können. Dafür muss es möglich sein, dass jede Fachdisziplin mit der ihr zugeordneten Rolle ihre eigene Sicht erzeugt, die auch konsistent zu denjenigen der anderen Disziplinen visualisiert und verändert werden kann.
Unser Anliegen bei all diesen Anstrengungen ist es, den Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland zu erhalten und zu stärken. Deutschland braucht eine starke industrielle Basis für künftige turbulente Zeiten, denn wer die Produktionsausrüstung herstellt und liefert, bewahrt damit auch die Wertschöpfung mit diesen Ausrüstungen im eigenen Land.“