Stefan Verra und Mick Jagger haben durchaus ihre Gemeinsamkeiten. „On Stage“ sprühen beide nur so vor Kraft und Vitalität. Große Gesten, große Klarheit. Absolute Eindeutigkeit. Die Wirkung bleibt nicht aus: Beide wirken mindestens 10 Jahre jünger als sie tatsächlich sind. Stefan Verra ist derzeit eine der schillerndsten Persönlichkeiten auf europäischen Bühnen, wenn es um Körpersprache geht. Ein gefragter Mann.
Klaus Wenderoth: Herr Verra, erzählen Sie uns doch bitte die Geschichte, wie aus Stefan Verra der Körpersprecher Stefan Verra wurde?
Stefan Verra: 3 Aspekte haben mir diesen Weg ermöglicht.
1. Den richtigen Blick dafür habe ich wohl in die Wiege gelegt bekommen. Dazu ist ein wichtiges Faktum, die Körpersprache immer aus etwas Abstand zu betrachten. Wie ein Bergsteiger den Berg aus der Distanz betrachten muss um die Gesamtheit und somit die beste Route zu erkennen. So ist der allumfassende Blick auf der Körpersprache nur aus einer gewissen Distanz möglich. Damit erst vermeidet man das Herumdeuteln an Einzelsignalen. Das führt fast immer in die Irre.
2. Fortbildung und Gespräche mit Menschen, die einen weiteren Blick ermöglichen. Neurologen. Orthopäden, Sportmediziner, Verhaltensforscher, Künstler, …
3. Dinge in Zusammenhang bringen. Das hat mir ermöglicht, Prinzipien der Körpersprache zu erkennen, die so in der Literatur noch nicht vorkommen.
Klaus Wenderoth: 14.000 Besucher allein im vergangenen Jahr. Wie erklären Sie sich das große Interesse an Ihrer Person und Ihrem Thema, der Körpersprache? Was fasziniert so viele Menschen an der nichtsprachlichen Kommunikation?
Stefan Verra: Günter Anders sagte „der Mensch ist größer als er selbst“. Damit meint er, dass wir uns mit unseren Erfindungen selbst zu übermächtig werden. Autos, Flugzeuge Eisenbahn ist vom Menschen erfunden. Allerdings bewegen sich diese Verkehrsmittel zu schnell fort, als das wir das verarbeiten könnten. Wir sind uns mit unseren Erfindungen also selber zu groß geworden.
Und das lässt viele Menschen an Sicherheit verlieren. In weit stärkerem Maße trifft das auf die Kommunikationsmittel zu. Handy und Internet haben unsere Kommunikation in einem Maße verändert, dass wir das auch nur mehr schwer mit unseren Sinnen in Verbindung bringen können. Es wird weit weniger im persönlichen Gespräch kommuniziert. Oft geschieht Kommunikation nur noch in Form von E-Mails, Facebook und SMS. Es ist aber ein menschliches Bedürfnis in der Kommunikation mit möglichst vielen unserer 5 Sinne einen Eindruck vom Gegenüber zu bekommen.
Dieses Bedürfnis wird immer stärker und Menschen erkennen, dass die wahre Bedeutung der Kommunikation nur erkennbar ist, wenn man den wichtigsten Kommunikationskanal richtig deuten kann: Die Körpersprache. Das Thema ist ein riesengroßes für viele Menschen. Ich merke, dass ich erst an der Oberfläche kratze. Das Überraschende ist: Wenn Frauen und Männer bei mir waren, ist es nicht das Übliche: O.k., nun haben wir das Thema Körpersprache abgehakt. Jetzt kommt das Nächste dran. Das Paradoxe ist: Die Menschen erkennen, je mehr sie sich damit beschäftigen, desto mehr wollen sie darüber erfahren.
Und da trifft die 2. Eigenschaft dazu: Mir gelingt es das Thema sehr locker und wenig dogmatisch zu beschreiben. Es gibt keine Regeln was zu tun bzw. was zu vermeiden ist. Sondern ich spiele einfach vor, was eine bestimmte Gestik für Auswirkungen hat. Damit sieht jeder selbst sofort in welcher Situation diese Geste gut und wann er sie eher nicht verwenden wird.
Dass alles geschieht mit so viel Humor, dass die Teilnehmerinnen oft nicht wissen, ob sie in einer Comedyshow sind oder in einem Seminar. Dass das Know-how nicht zu kurz kommt, zeigt sich darin, dass ich mit dieser Vortragsart und meinem Know-how auf internationalen Ärztekongressen, Universitäten und Medien regelmäßig als Experte geladen bin.
Klaus Wenderoth: Wir alle senden mit unserem Körper Signale. Bewusst und unbewusst. Ebenso bewusst und unbewusst werden diese Signale von anderen empfangen. Haben wir im Laufe unserer kulturellen Entwicklung viele dieser „natürlichen“ Fähigkeiten eingebüßt?
Stefan Verra: Nein, haben wir nicht. Entwicklungsgeschichtlich ist es so, dass Kinder den besten Blick auf Körpersprache haben. Eine andere Kommunikation versteht es noch nicht. Jedes Kind ist auf das genaue erkennen von Körpersprache von Mutter und Vater angewiesen. Denn nur so erkennt es, ob es noch in Sicherheit ist oder nicht. Was Kinder aber noch nicht können, ist das rationale Denken.
Und je mehr die Ratio im Leben zunimmt, desto mehr verdeckt sie die klare Sicht auf die Körpersprache. Wir müssen also später unsere Ratio manchmal ein wenig hinten anstellen, um die Körpersprache genau erkennen zu können. Als verliebte können wir das perfekt. Da wird jede kleinste körpersprachliche Zuckung sofort hinterfragt. Aber die Ratio ist in dem Moment auch ausgeblendet.
Beim Senden von Körpersprache scheint sich tatsächlich einiges zu ändern. Denn je weniger Bewegung wir im Kindesalter machen, desto weniger Möglichkeiten haben wir später. Zudem kommunizieren Kinder sehr viel über Facebook etc. Dabei ist die Mimik und die Gestik nicht wichtig. Damit fehlt diesen Kindern diese Finesse beim Aussenden und Lesen von körpersprachlichen Signalen.
Das wird zu Problemen führen. Denn ob diese Kinder später mal als kompetent, sympathisch oder zielstrebig eingeschätzt werden hängt von ihrer Körpersprache ab. Wir schätzen uns gegenseitig nämlich vor allem über den visuellen Kanal, also über die Körpersprache ein.
Klaus Wenderoth: Warum ist Körpersprache überhaupt so wichtig und warum sind zum Beispiel Kinder für Sie dabei so wunderbare „Lehrmeister“?
Stefan Verra: Kinder überblenden ihre Körpersprache noch nicht bzw. sehr wenig. Sie wollen noch nicht cool oder kompetent wirken. Damit zeigt ihre Körpersprache genau ihre inneren Vorgänge. Erst mit Kindergarten und Schule lernen sie die eigenen Gefühle zu überblenden und verlieren damit die Vielfalt in ihrer Körpersprache.
Weil es eben nur mehr darum geht, cool oder kompetent zu wirken. Da haben Traurigkeit, Ärger, ausgelassene Freude etc. immer weniger Platz. Das geht so weit, dass manche Erwachsenen die eben genannten Gefühlsregungen nicht mehr im „Repertoire“ haben.
Klaus Wenderoth: Nicht jeder Mensch ist zum Schauspieler geboren. Oder hat Körpersprache Ihrer Meinung nach nur wenig mit Schauspielerei zu tun?
Stefan Verra: Körpersprache hat mit Schauspielerei nur sehr wenig zu tun. Zumindest nicht mehr, als wir es ohnehin oft machen. Wenn wir von einem Geschenk enttäuscht sind, zeigen wir dem Schenker meist trotzdem ein freundliches Gesicht.
Das ist ein Geschick, das den sozialen Zusammenhalt verstärkt. Auch wenn wir uns manchmal unsicher fühlen, überspielen wir das. Allerdings ist Körpersprache nicht ein lebenslanges Schauspielen. Im Gegenteil: Wie oben erwähnt ist es das Ziel öfter jene Gefühle zu zeigen, die in uns schlummern.
Klaus Wenderoth: Ihre Landsleute Elisabeth Motsch und Arno Fischbacher sind Experten für Stil und Kleidung bzw. für die Kraft der Stimme. Ist eine positive Körpersprache der dritte Erfolgsfaktor für eine perfekte Außenwirkung?
Stefan Verra: Alles gehört zusammen. Allerdings muss man die Reihenfolge und unser Hirn betrachten. Da ergibt sich folgendes: Zuerst nehmen wir visuelle Informationen auf, danach erst kommen auditive und haptische Reize. Zudem geht über den visuellen Kanal nahezu 90% aller Umweltinformationen in unser Hirn. Sie sehen also schon, wie sehr wir von der Körpersprache „erst“-beeinflusst werden.
Klaus Wenderoth: Lassen Sie uns über Ihre Seminare reden, in denen Sie Ihr Wissen weitergeben. Wie sind diese Seminare aufgebaut und welche Ziele kann ich, als Besucher und Teilnehmer, realistisch erreichen?
Stefan Verra: Ich sehe mich als Wachmacher. Das Ziel ist, dass die Menschen nach einem Vortrag oder Seminar mit unheimlich viel Bewusstsein für ihre eigene Körpersprache und für die Signale ihrer Mitmenschen durchs Leben gehen. Wir senden nämlich ständig die Signale aus. Allerdings sind sie uns meist nicht bewusst – und wundern uns dann, warum wir anders ankommen, als wir eigentlich wollen.
Zudem ist die Körpersprache die einzige Kommunikationsform, die nie die Klappe halten kann. Des Weiteren geht es mir nie um Verbote oder Unbedingtheiten. Die Vielfalt muss das Ziel sein. Denn es gilt das Gesetz der erforderlichen Vielfalt (Law of requisite variety).
Derjenige mit den meisten Veränderungsmöglichkeiten ist der Bestimmende in der jeweiligen Situation. Das heißt, ich fördere, gemeinsam mit den Teilnehmern, die Vielfalt wieder zuzulassen. Verbote würden genau das Gegenteil bewirken: Sie würden die Vielfalt in uns noch mehr hemmen. Gehemmt sind wir aber ohnehin schon genug.
Klaus Wenderoth: Schön wäre zuletzt noch ein Beispiel von Ihnen. Eine Story, bei der deutlich wird, wie eine bewusste Körpersprache eine ganz entscheidende Rolle und Bedeutung hatte. Fällt Ihnen dazu vielleicht etwas ein?
Stefan Verra: Ich war eingeladen beim Geschäftsführer eines großen deutschen Unternehmens. Sie hatten von mir gehört und wollten für ihre Kunden eine unterhaltsame Körpersprache-Veranstaltung organisieren. Ich kannte den Herrn nur vom Namen und hatte kein Bild von ihm. Als ich für ein Vorgespräch anreiste, war ich schon gespannt, wie er denn nun sei.
Ich wartete im Meetingraum als ich plötzlich laut polternde Schritte dem Raum näherten. Die Türe würde aufgerissen, schnellen Schrittes stürmte der Mann auf mich zu. Seine Hand schnellte vor und er umfasst meine Hand vollständig – und drückte sehr stark zu. Zudem drückte er meine Hand nach unten und drückte zusätzlich mit seinem Daumen so auf mein Handgelenk, dass meine Hand deutlich unter seiner Hand war. Das war ein deutlicher 1. Eindruck.
Um es kurz zu machen: Die Verhandlung hat ganze 10 Minuten gedauert. Dann war der Deal perfekt. Die Kundenveranstaltungen laufen nun seit mehreren Jahren. Die Körpersprache hat bei mir Folgendes ausgelöst: Der Herr ist schnell. (Schnelle Schritte, stürmisches Tür öffnen,…) Er ist dominant. (Er ist auf mich zugekommen, er hat meine Hand nach unten gedrückt, sehr fester Händedruck, seine Daumenposition hat mir keine andere Möglichkeit gelassen,…) Und er will selber entscheiden. (Er hat entschieden, wann er den Raum betritt, er ist auf mich zugekommen,…) Und genau das habe ich in meiner Kommunikation mit ihm berücksichtigt.
Nur mehr in Stichworten habe ich mit ihm gesprochen. Die wichtigsten „Hardfacts“ habe ich ihm ganz nüchtern aufgezählt. In „Bullet-Point-Manier“. Das ist gut bei ihm angekommen. Er hatte das Gefühl ich kann schnell zum Punkt kommen, wirke kompetent und habe viel Energie. (Dieses Urteil hat er mir nachträglich verraten.) Hier hat wieder gegolten: Die Körpersprache des Gegenübers zeigt immer an, wie er will, dass wir mit ihm kommunizieren sollen.
Vielen Dank für das spannende Interview Herr Verra!
Dieses und weitere Interviews finden Sie im Expertenblog http://www.KlausWenderoth.de
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