Industrie legt Prüfsteine für Energiewende vor

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) will bereits in wenigen Tagen „Prüfsteine“ für eine erfolgreiche Energiewende in Deutschland vorlegen. Der Industrieverband hatte zu diesem Zweck beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim einen Kriterien-Katalog zur Bewertung von Energiepolitik in Auftrag gegeben, der der Tageszeitung „Die Welt“ (Donnerstagsausgabe) vorliegt. Die mehrere hundert Seiten starke Studie mit dem Titel „Indikatoren für die energiepolitische Zielerreichung“ identifiziert insgesamt 26 Kriterien, mit denen der Erfolg der Energiepolitik messbar gemacht werden kann.

Der BDI als Auftraggeber der Studie wolle damit der Politik helfen, „den Fortgang der deutschen Energiewende anhand transparenter, öffentlich verfügbarer Daten zu überwachen“, erklärte dazu ein Sprecher des Verbandes in Berlin. Bei der Auswahl des Forschungsteams bewies der BDI gutes Gespür: Der Leiter des Forschungsbereichs Umwelt- und Ressourcenökonomik am ZEW, Andreas Löschel, wurde inzwischen von der Bundesregierung auch zum Leiter der Monitoring-Gruppe für die deutsche Energiewende ernannt, die ihren ersten Zwischenbericht noch im Herbst dieses Jahres vorlegen soll. In seiner Indikatoren-Studie für den BDI orientierte sich das Wissenschaftlerteam am Zieldreieck der Energiepolitik: Umweltverträglich, sicher und wirtschaftlich soll die Strom- und Gasversorgung danach sein. „Mit wenigen Kennzahlen kann ein Eindruck darüber vermittelt werden, inwieweit diese drei Ziele tatsächlich erreicht werden“, sagte Löschel der „Welt“: „Wir haben versucht, einen transparenten, nachvollziehbaren Ansatz zu entwickeln, nach dem geeignete Indikatoren zur energiepolitischen Zielerreichung ausgewählt werden können.“ In monatelangen Untersuchungen und zwei Experten-Workshops haben die Wissenschaftler mehr als 100 mögliche Kriterien diskutiert, nach denen man die Sicherheit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit der Energieversorgung bewerten kann. Das Ergebnis ist eine „Shortlist“ der 26 am besten geeigneten Indikatoren für insgesamt 19 Aspekte des Zieldreiecks. Diese Daten können nach Einschätzung der Experten „energiepolitisch relevante Ziele und Entwicklungen beobachtbar und vergleichbar“ machen. „Sie dienen als Vergleichsmaßstab, geben Hinweise auf unerwünschte Entwicklungen und können Aufmerksamkeit auf den Fortgang der Energiewende jenseits vom Fortschritt bei einzelnen Maßnahmen lenken“, heißt es in der Studie. Allerdings, schränkt Löschel ein, gebe es zu vielen der identifizierten Kriterien noch keine nationalen und internationalen Daten. Auch konzeptionell bleiben offene Fragen, zum Beispiel wie verschiedene Schäden zu gewichten sind, oder wie Wettbewerbseffekte korrekt bewertet werden können. „Um diese Wissenslücken zu füllen, gibt es noch einen erheblichen Forschungsbedarf.“ So klammere die Studie aufgrund von systematischen Problemen bei der Datenerhebung auch die Frage aus, wie stark die soziale Umverteilung aufgrund der Erneuerbare-Energien-Umlage sei. Um die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung zu bewerten, schlägt die Studie des ZEW ein Set von neun Kriterien vor. Dazu gehören einige bereits gut verfügbare Daten wie etwa die Höhe der energiebedingten Emissionen von Treibhausgasen, Luftschadstoffen und Schwermetallen. Auch die Menge der hochradioaktiven Abfälle aus Atomkraftwerken ist bereits bekannt. Bislang keine offiziellen Daten gibt es aber zu Aspekten, die für die Umweltverträglichkeit der Versorgung ebenfalls entscheidend sind, so etwa zu den energiebedingten Wasser- und Bodenemissionen oder zur Flächen-Inanspruchnahme des Energiesystems, was etwa zur Bewertung von Bio-Energien wichtig wäre. Auch zum Material- und Ressourcenverbrauch einzelner Energie-Lieferanten gibt es keine vergleichbaren Informationen. Die Sicherheit der Energieversorgung – der nächste Punkt im Zieldreieck der Politik, könne laut ZEW-Studie anhand von 12 Indikatoren umfassend bewertet werden. Dabei geht es sowohl um die unterbrechungsfreie Versorgung als auch um die unfallfreie Versorgung mit Energie. Messbar werden diese Dimensionen durch bereits verfügbare Daten über Preisschocks an den Weltmärkten für Kohle, Öl und Erdgas oder Angaben über die Kapazität der Gasspeicher. Die Blackout-Gefahr oder „Netzsicherheit“ kann unter anderem durch den „System Average Interruption Index“ erfasst werden, der den Ausfall der Stromversorgung in Minuten pro Jahr angibt. Bislang nicht verfügbar seien aber ebenso wichtige Daten zur Spannungsqualität im Stromnetz oder zur Unfallsicherheit. Daten über die „Minimale verbleibende gesicherte Leistung im Jahresverlauf“ lägen zwar für die Vergangenheit nicht vor, würden aber für das Jahr 2012 erstmals erhoben. Zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Energieversorgung betrachtet die ZEW-Studie vier Teilaspekte: die Wettbewerbsintensität, die Informationsverfügbarkeit, die externen Kosten sowie die Regulierungskosten der deutschen Energieversorgung. So schlagen die Wissenschaftler vor, Veränderungen in der Abweichung der deutschen Energiepreise vom europäischen Durchschnittspreis als Indiz für die Kosteneffizienz zu nehmen. Ebenso könne die Differenz zwischen Endkunden- und Großhandelspreisen für Strom, Gas und Kraftstoffe ein Indikator für Wirtschaftlichkeit sein. Auch Daten zur Lieferantenwechselquote bei Strom und Gas lägen bereits vor. Allerdings liegt gerade zu den wichtigsten Aspekten der Wirtschaftlichkeit noch überhaupt kein statistisches Material vor, schränkt die ZEW-Studie ein: So gebe es zu den „externen Kosten der Energieversorgung“ keine verlässlichen, unstrittigen Angaben. Auch Regulierungskosten, die so fundamentale Aspekte wie die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie bestimmen, können nicht angemessen quantifiziert werden. Um den großen Bedarf der Politik an verlässlichen Maßzahlen zu decken, müsse noch „großer Forschungsaufwand“ betrieben werden, sagte Löschel.