Gewerkschaften stellen Bundesregierung vernichtendes Zeugnis aus

Die Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Michael Sommer und Frank Bsirske, haben der Bundesregierung Versagen auf ganzer Linie vorgeworfen. „Streit und personelle Kapriolen dominieren das Erscheinungsbild dieser Koalition. Vor allem die schwindsüchtige und unberechenbare FDP destabilisiert eine Regierung, die nie wirklich Tritt gefasst hat“, sagte Sommer der Onlineausgabe des „Handelsblatts“.

Denn es seien in erster Linie die um ihr Überleben kämpfenden Liberalen, die überfällige Reformen blockierten – sei es die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns oder der Finanztransaktionssteuer. Die Arbeitsleistung der Bundesregierung bestehe lediglich darin, dass bei den Schwachen gespart werde, die Reichen und Vermögenden dagegen geschont würden. Auch aus Sicht von Verdi-Chef Bsirske waren die ersten zwei Regierungsjahre von Schwarz-Gelb vom Prinzip „oben entlasten, unten belasten“ geprägt. „Dieses Kernmotiv der FDP hat den Kurs dieser Regierung weitgehend bestimmt – beginnend bei den Steuerbeschlüssen inklusive des Mehrwertsteuergeschenks für Hoteliers, über Einschnitte bei Arbeitslosen bis hin zu einem wirtschaftspolitischen Austeritätskurs, der jetzt allen Staaten in der EU verordnet werden soll und auch hierzulande geradewegs in Richtung Rezession führt“, sagte Bsirske. In dieser Zeit habe sich ein Armutslohnsektor entwickelt, der in der EU seinesgleichen suche: 1,2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würden mit Stundenlöhnen unter fünf Euro abgespeist. Und das vermeintliche Jobwunder gehe einher mit „systematisch vorangetriebener Entsicherung von Beschäftigten durch Leiharbeit, sachgrundloser Befristung, Zwangsteilzeit und Minijobs“. Als Konsequenz fordern Sommer und Bsirske eine grundlegende Neuausrichtung der Regierungspolitik. 2012 müsse das „Jahr des sozialen und demokratischen Europas“ werden, sagte DGB-Chef Sommer. „Wenn Europa sich als Antwort auf die Krise weiterhin den Finanzmärkten unterwirft, Spardiktate durchdrückt und soziale Errungenschaften über Bord wirft, verliert das europäische Integrationsprojekt die Unterstützung seiner Bürgerinnen und Bürger.“ Das Krisenmanagement und die Europapolitik bräuchten deshalb mehr demokratische Legitimation und eine Stärkung der sozialen Gerechtigkeit. Deutschland müsse dabei mit gutem Beispiel vorangehen: durch die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns von mindestens 8,50 Euro pro Stunde, die Durchsetzung des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in der Leiharbeit und der wirksamen Bekämpfung von Altersarmut. Verdi-Chef Bsirske forderte von der Bundesregierung, in ihrem europapolitischen Kurs umzusteuern und „antizyklisch“ für eine Belebung des Wachstums zu sorgen. Dazu gehöre eine deutliche Lohnsteigerung, um die Binnenkonjunktur anzukurbeln, sowie eine Stärkung der öffentlichen Investitionen in Bildung, Umwelt und Infrastruktur. „Das nötige Geld wäre vorhanden, wenn endlich unten entlastet und oben belastet würde“, sagte Bsirske. Denn bei der Besteuerung großer Erbschaften und Vermögen sei die Bundesrepublik eine Steueroase, und bei der tatsächlichen Besteuerung von Kapital und Unternehmensgewinnen ein Niedrigsteuerland. „Wir können uns gerade angesichts der drohenden Rezession nicht leisten, dass wir bei der tatsächlichen Besteuerung von Kapital und Unternehmensgewinnen gemessen am Bruttoinlandsprodukt um zwei Prozentpunkte unter dem EU-Durchschnitt liegen und so auf jährlich 54 Milliarden Euro verzichten“, sagte der Verdi-Chef.