Führende Ökonomen: Deutschland entgeht trotz Euro-Krise Rezession

Führende Ökonomen erwarten, dass die deutsche Volkswirtschaft in diesem Jahr eine Rezession vermeiden kann – trotz der sich verschärfenden Krise in der Euro-Zone und obwohl die Frühindikatoren weltweit nach unten zeigen. Allerdings sind die Forscher weit weniger optimistisch als noch vor wenigen Wochen und rechnen mit einem geringeren Wirtschaftswachstum als bisher angenommen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Tageszeitung „Die Welt“ (Montagausgabe) unter führenden Konjunkturexperten.

Obwohl in den vergangenen Wochen Indikatoren wie der Ifo-Geschäftsklima-Index und der Einkaufsmanagerindex eingebrochen sind, rechnen die Ökonomen nicht mit einem drastischen Konjunktur-Einbruch. „Ich erwarte derzeit keine Rezession für Deutschland“, sagt Oliver Holtemöller, Konjunkturchef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. „Die deutsche Volkswirtschaft schrammt leicht an einer Rezession vorbei“, sagte auch Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, der Zeitung. Auch Joachim Scheide, Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, hält die Rahmenbedingungen weiterhin für günstig: „Für eine Rezession müssten sich die Daten noch einmal verschlechtern, und das über einige Monate.“ Andreas Rees, Chefvolkswirt für die Euro-Zone bei der italienischen Bank Unicredit, sieht es ähnlich: „Die schlechten Zahlen aus dem zweiten Quartal sind stark negativ überzeichnet.“ Von elf befragten Top-Ökonomen aus Instituten und Banken erwarten neun hierzulande keine Rezession. Zwei der Befragten sind etwas skeptischer. „Unausweichlich ist eine Rezession nicht“, sagt etwa Roland Döhrn, Konjunkturchef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung. Allerdings sind sich die Befragten einig, dass die wirtschaftliche Entwicklung stark davon abhängt, wie sich die Schuldenkrise in der Euro-Zone in den kommenden Monaten entwickelt. „Eine Rezession im Euro-Raum ist wahrscheinlich. Deutschland dürfte aber um eine Rezession herumkommen, sofern nicht die Unsicherheit über die Zukunft des Euro weiter zunimmt“, sagt Kai Carstensen, Konjunkturchef des Münchener Ifo-Instituts. Der Konjunkturoptimismus, der noch vor wenigen Wochen unter Ökonomen herrschte, ist weitgehend verschwunden. Stattdessen haben die Volkswirte angesichts der gedämpfteren Stimmung in den Unternehmen und den schwächeren Daten aus der Wirtschaft nur noch bescheidene Erwartungen an das Wachstum. „Eigentlich müsste die sehr wettbewerbsfähige deutsche Wirtschaft in diesem Jahr mindestens um zwei Prozent wachsen“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. „Realistisch ist allerdings nur ein Plus von 0,5 Prozent. Denn spätestens seit Mitte letzten Jahres hat die Staatsschuldenkrise eine so bedrohliche Qualität angenommen, dass sie sich wie Mehltau auf die Konjunktur legt.“ Michael Hüther, Präsident des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln, sieht Probleme für die Exportwirtschaft: „Die konjunkturelle Entwicklung wird vorübergehend schwächer sein, weil derzeit fast alle Regionen der Weltwirtschaft schwächeln.“ Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, warnt: „Die wirtschaftliche Dynamik wird im zweiten und dritten Quartal schwächer werden.“ Lediglich Carsten-Patrick Meier, Geschäftsführer des privaten Instituts Kiel Economics, hält sogar ein Plus von 1,5 Prozent in diesem Jahr noch für möglich.