Fliegt der Abmahnindustrie der Gerichtsstand fort?

Es ist kein Geheimnis, dass es Gerichte in Deutschland gibt, die den Rechteinhabern tendenziell eher positiv gesinnt sind und solche, die eine Klage gegen einen Internetanschlussinhaber nicht ohne weiteres durchgehen lassen. Das Amtsgericht Frankfurt am Main zählte zu den Gerichten, an denen Rechteinhaber gerne klagten. Das mag sich mit der neueren Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt vom 13. Februar 2012 (Aktenzeichen 31 C 2728/11) ändern. Der „fliegende Gerichtsstand“ steht auf dem Prüfstand.

1. Fliegender Gerichtsstand

Dieser technische Begriff aus dem Prozessrecht besagt, dass bei einem Anspruch aus unerlaubter Handlung (auch) bei demjenigen Gericht geklagt. Er war Werden kann, in dessen Bezirk die unerlaubte Handlung begangen worden ist. Diese Regelung weicht also von dem Grundsatz ab, dass das Gericht angerufen werden muss, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Wohnsitz hat. Der Gerichtsstand „fliegt“ dann, wenn sich die unerlaubte Handlung an verschiedenen Orten also Bezirken auswirkt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein gefälschtes Marken-T-Shirt bundesweit vertrieben wird. Der Rechteinhaber kann sich dann ein Gericht in dem Bezirk aussuchen, indem das gefälschte Marken-T-Shirt erhältlich ist.

2. Die Gerichtsentscheidung

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hatte zu entscheiden über die Klage eines Rechteinhabers und dessen vermeintlichen Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren und eines Anspruches auf Schadensersatz nach der so genannten fiktiven Lizenzgebühr. Das Gericht nahm jedoch zu den Ansprüchen selbst überhaupt nicht Stellung. Die Klage scheiterte bereits an der Zulässigkeit, da das Amtsgericht Frankfurt sich als örtlich unzuständig sah. Es schlug also hier bereits einen komplett anderen Weg ein, als es bisherige Gerichtsentscheidungen vorher taten.

Das Amtsgericht Frankfurt vertritt in seiner Entscheidung die Auffassung, dass die Grundsätze des „fliegenden Gerichtsstandes“ dort einer Einschränkung bedürften, wo die Anwendung des „fliegenden Gerichtsstandes“ dazu führen würde, „dass die örtliche Zuständigkeit jeden ordentlichen Gerichts der Bundesrepublik Deutschland gegeben wäre, obwohl ein örtlicher Bezug zu dem angerufenen Gericht sich nicht feststellen ließe“. Das Amtsgericht erkennt richtig, dass die Anwendung des „fliegenden Gerichtsstandes“ in dem Fall von Tauschbörsen dazu führen würde, dass die klagende Partei sich ein Gericht frei auswählen könne, „was faktisch zu einem Wahlgerichtsstand am Sitz oder Wohnort der Klägerseite führt“, was sachlich nicht zu rechtfertigen wäre.

Weder sei die für den „fliegenden Gerichtsstand“ erforderliche Sachnähe in den Fällen der Verwendung von Tauschbörsen gegeben. Allerhöchstens an dem Ort der vermeintlichen Bereithaltung des Downloadangebots (regelmäßig der Wohnsitz des Internetanschlussinhabers) sei diese Sachnähe gegeben, nicht aber an dem Ort, an dem der Rechteinhaber die Beweisführung betreibt. Vielmehr sei der Grundregel der Zivilprozessordnung zu folgen, wonach die Klage dort zu erheben ist, wo die beklagte Partei ansässig ist. Das Wohnsitzprinzip soll einen Ausgleich für den Vorteil der Klägerseite darstellen, die das ob und den Zeitpunkt sowie die Art des Klageangriffs bestimmt.

Das Amtsgericht Frankfurt führt noch weitere schlagkräftige Argumente gegen die Anwendung des „fliegenden Gerichtsstandes“ auf Tauschbörsenfälle an, die jedoch den Rahmen dieses Artikels sprengen. Interessant ist jedoch, dass das Amtsgericht sich nicht gescheut hat, sich in die Situation des Beklagten, also des Internetanschlussinhabers hinein zu denken, wenn es ausführt, dass bei Anwendung des „fliegenden Gerichtsstandes“ der Beklagte wegen des geringen Streitwertes oder seiner Unerfahrenheit mit gerichtlichen Auseinandersetzungen verleitet sein könnte, „den Kopf in den Sand zu stecken, also ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen zu lassen, oder die klagende Partei weitestgehend zu befriedigen, anstatt sich dieser an dem möglicherweise weit entfernten Gerichtsstand zu stellen oder dafür einen auswärtigen Rechtsanwalt zu beauftragen“.

3. Konsequenz

Es wird sich nun zeigen, ob weitere Gerichte den sehr nachvollziehbaren Argumenten des Amtsgerichts Frankfurt am Main folgen. Setzt sich die Ansicht des entscheidenden Gerichts auch bei anderen Richterinnen und Richtern des Amtsgerichts Frankfurt durch, geht der Abmahnungsindustrie ein ihr grundsätzlich zugeneigter Gerichtsstand verloren. Wenn auch weitere Gerichte sich der Ansicht des Amtsgerichts anschließen, werden mögliche Klagen zukünftig an den Wohnsitzen der Internetanschlussinhaber erhoben werden müssen. Das würde eine interessante Perspektive eröffnen, da dann auch von dem Mainstream der rechteinhaberfreundlichen Gerichte abweichende Entscheidungen zu erwarten sind.

Markus Timm
Fachanwalt für IT-Recht
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