Die deutschen Familienunternehmer appellieren an den Bundestag, den dauerhaften europäischen Rettungsschirm ESM entgegen der Planung der Bundesregierung Ende Juni nicht zu beschließen. Dies berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ auf Basis der „Zweiten Berliner Erklärung“, die der Redaktion vor der Veröffentlichung vorlag. Darin werden die Volksvertreter aufgefordert, den ESM „in der vorliegenden Form nicht passieren zu lassen“.
Verfasser der Erklärung ist die „Stiftung Familienunternehmen“, in der viele Mittelständler von Weltgeltung organisiert sind. Damit würde, so argumentieren die Familienunternehmer, zusätzlich zu den bereits bestehenden Verpflichtungen weiteres Kapital und Garantien in Höhe von 700 Milliarden Euro eingesetzt, ohne dass die deutschen Interessen ausreichend berücksichtigt wären. Der ESM-Vertrag war auf dem EU-Gipfel vom 21. Juli 2011 beschlossen worden, er soll bis Mitte 2012 von den Parlamenten der einzelnen Staaten ratifiziert werden und würde nach einem Jahr paralleler Geltung den provisorischen Rettungsschirm EFSF ersetzen, der im Juni 2013 auslaufen soll. Wesentliche Maßnahmen des ESM sind Notkredite und Bürgschaften für überschuldete Mitgliedsstaaten. Das Ganze sei so kompliziert, klagen die Familienunternehmer, dass auch viele Abgeordnete den Überblick über den Umfang der eingegangenen Verpflichtungen und Garantien längst verloren hätten, „sodass sie das hochkomplizierte Vertragswerk aus der Feder einer amerikanischen Großkanzlei gern vom Tisch haben wollen, koste es, was es wolle. Das darf nicht sein“, sagt der Stuttgarter Rechtsanwalt Brun-Hagen Hennerkes, Gründer und Vorstand der Stiftung, die etwa 350 der größten Unternehmen im Familienbesitz vertritt. Die neue Erklärung verweist besonders auf eine bisher kaum beachtete Bestimmung des Vertragsentwurfs, die der milliardenschweren Institution Immunität verleiht: Gerichten soll es verwehrt sein, auf Personal, auf Vermögen und auf Unterlagen des ESM zuzugreifen, es sei denn, Gremien des Rettungsschirms selbst würden einen solchen Zugriff ausdrücklich gestatten. Für die Familienunternehmer heißt das: „In Luxemburg entsteht eine riesige Black Box, welche die Euro-Retter persönlich jeder Verantwortung entzieht, obwohl diese über enorme finanzielle Risiken zu entscheiden haben. Wer die Folgen seines Tuns nicht zu fürchten hat, der lässt schnell die erforderliche Sorgfalt außer Acht.“ Der Deutsche Bundestag dürfe seine Instrumente zur Kontrolle nicht aus der Hand geben, zumal hier Größenordnungen in Höhe von 50 Prozent des Bundeshaushalts und darüber hinaus zur Disposition stünden, heißt es in der Erklärung: „Warum sollte sich der deutsche Steuerzahler einem nicht mehr umkehrbaren Haftungsautomatismus unterwerfen?“ Die Familienunternehmer beschuldigen die „Europolitiker“, Risiken der Rettungsmaßnahmen klein zu reden. Diese würfen Kritikern außerdem vor, Gespenster zu sehen – „zu Unrecht: Wenn Griechenland insolvent wird oder den Euro aufgibt, dann drohen Deutschland aus dem Verrechnungssystem der europäischen Zentralbanken (Target-2-Salden) Milliarden-Verluste. Hoffentlich wird in der Politik bald die Einsicht darüber reifen, dass etwaige Negativsalden mit vollwertigen Sicherheiten unterlegt werden müssen.“ Auch die Diskussion um mögliche Eurobonds alarmiert die Unternehmer. Sie loben ausdrücklich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die hier „bisher gottlob hart geblieben ist: keine Vergemeinschaftung der Schulden. Damit bewegt sie sich auf einer Linie mit der großen Mehrheit der deutschen Wähler.“ Denn mit den Eurobonds würde ein zerstörerisches Prinzip Einzug in die Europäische Union halten: Verzehrt werde von jedem nach seinem eigenen Gusto, für die Zeche würden jedoch alle haften. Im Gespräch mit der Zeitung flankierten einige der Unternehmer ihre gemeinsame Erklärung. „Seit zwei Jahren graben wir Deutsche uns immer tiefer in den Sumpf der europäischen Umverteilung: Griechenland-Hilfe, vorläufiger Euro-Rettungsschirm EFSF und jetzt der ESM“, klagte etwa Mathias Stinnes. Und Carl-Jürgen Brandt treibt um, dass „die Eurozone auch eine Wertegemeinschaft ist. Wenn also Staaten nicht in der Lage sind, ihre Haushalte zu sanieren oder es nicht wollen, dann darf die übrige EU nicht ohne Gegenleistung unbegrenzt in die Haftung genommen werden.“ Pharma-Unternehmer Edwin Kohl sagte, „eine bedingungslose Rettung des Euro brächte Europa an den Rand des Scheiterns. Das hieße: Man will den Euro um jeden Preis retten – und wenn der Preis Europa sein sollte.“ Damit thematisieren die Unternehmer erstmals auch einen Ausstieg aus dem Euro. Eine wichtige Erkenntnis der Krise sei doch, heißt es in der Erklärung, dass nicht jedes Mittel recht sein dürfe, um den Euro zu retten. Mögliche Alternativen, bis hin zum Austritt einzelner Länder aus der Eurozone, dürften nicht länger tabuisiert werden. „Notfalls ist ein geordneter Rückzug aus dem Euro für ein friedliches Miteinander besser als der wie ein dauerhafter Sprengsatz wirkende Verbleib einzelner Mitglieder.“