Als eine „Zauberformel, die trügt“, hat der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier, die Debatte um eine stärkere europäische Integration mit Hilfe eines Volksentscheides kritisiert. In einem Interview mit der „Leipziger Volkszeitung“ sagte Papier: „Jede Veränderung der vertraglichen Grundlagen und damit auch jede Erweiterung der Befugnisse der Europäischen Union muss die sogenannte Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes achten. Daran würde auch ein Volksentscheid nichts ändern.“
Der bisherige Integrationsstand sei auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts gewesen und „ist mit dem Grundgesetz für vereinbar erklärt worden“. Aber es bestünden natürlich „absolute Grenzen einer Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union“, sagte der Verfassungsjurist. „Insbesondere darf das demokratische Prinzip des Grundgesetzes nicht berührt werden, weder durch eine Änderung des Grundgesetzes noch durch eine Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union.“ Ein Volksentscheid löste deshalb das Dilemma nicht. „Ganz davon abgesehen, dass dieser Volksentscheid überhaupt erst möglich wäre, wenn zuvor das Grundgesetz so geändert würde, dass ein Volksentscheid überhaupt erst möglich wäre.“ Über einen Volksentscheid „könnten nicht mehr Rechte des Gesetzgebers in Anspruch genommen werden als in den parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren oder über den parlamentarischen Gesetzgebungsakt“, warnte Papier. „Das muss man einfach mal klarstellen. Auch ein Volksentscheid würde an den äußersten Integrationsgrenzen enden.“ Die „augenblickliche Zauberformel Durchführung eines Volksentscheides trügt den Blick“, meinte Papier. Natürlich könnte sich das deutsche Volk mit einem Volksentscheid eine Verfassung neu schöpfen. „Das ist im Artikel 146 auch ausdrücklich angesprochen.“ Der Artikel 146 sage aber nichts darüber, wie diese Neuschöpfung der Verfassung erfolgen solle. „Meine Befürchtung ist, dass sich in diesem Fall aber das deutsche Volk entschließen könnte, alles auf den Prüfstand zu stellen, von der Bundesstaatlichkeit über den Grundrechtekatalog bis hin zu den Funktionen und Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts.“ Es könnte sein, dass es dann kein Halten mehr gäbe. „Es wäre ziemlich naiv anzunehmen, die Neuschöpfung einer Verfassung könnte man einschränken auf die Frage der Grenzen einer noch stärkeren europäischen Integration“, meinte Papier.