EHFG 2012: Mobilisierung für Impfungen im Social Web

Social Media könnten sehr viel zur Impfaufklärung beitragen – doch im
Social Web sind eher die Impfskeptiker/-innen unterwegs. ECDC-Direktor Sprenger
plädiert beim European Health Forum Gastein für eine Gegenoffensive im Internet,
um evidenzbasierte Informationen an die Eltern zu bringen.

Bad Hofgastein, 4. Oktober 2012 – Von der Einladung zur
Masernparty bis zum Mythos, dass der Impfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln
Quecksilber oder Aluminium enthalte und Allergien auslöse – im Internet boomt
die Panikmache gegen Impfungen aller Art. Abnehmer/-innen sind rasch gefunden,
wie eine Studie des European Center for Disease Prevention and Control (ECDC)
aus dem Jahr 2011 zeigt: 80 Prozent der praktischen Ärztinnen und Ärzte
bestätigen, dass ihre Patienten/-innen inzwischen nicht nur mit einem Problem in
die Sprechstunde kommen, sondern auch gleich mit ein paar Seiten
Gesundheitsinfos dazu, die sie im Internet gefunden haben.

Impfskeptiker/-innen übertönen oft seriöse Informationen

Immer mehr Menschen nutzen das Internet als Informationsquelle in Sachen
Gesundheit und konsultieren dabei nicht nur qualitätsgeprüfte Websites
öffentlicher Organisationen, sondern auch Blogs meinungsstarker Einzelpersonen
oder Foren. Sehr zum Leidwesen von Impfexperten/-innen: „Im Internet kursieren
nicht nur viele Fehlinformationen über Impfungen, Gegner/-innen organisieren
regelrechte Kampagnen und schrecken auf fahrlässige Weise Eltern davon ab, ihre
Kinder impfen zu lassen. Evidenzbasierte Fakten über Immunisierung, Impfstoffe
oder Impferfolge haben weniger Chancen, positiv wahrgenommen zu werden. Die
Aggressivität der Impfskeptiker/-innen übertönt alles“, berichtete John
McConnell, Herausgeber der Fachzeitschrift The Lancet Infectious Diseases, beim
European Health Forum Gastein (EHFG). Eine noch nicht veröffentlichte
US-amerikanische Studie lege sogar nahe, dass Versuche, im Social Web aktiv über
bestimmte Impfungen aufzuklären und zur Immunisierung aufzurufen, tendenziell
kontraproduktiv verlaufen können, weil sie von der starken Anti-Impfbewegung
ausgehebelt werden, so John McConnell.

Mehr evidenzbasierte Informationen ins Social Web

Drei von vier Personen, die sich über Masern informieren wollen, finden im
Internet eine Seite, die sich vehement gegen die Impfung ausspricht, zeigt eine
aktuelle Studie der Universität Erfurt. Eine durchschnittliche Verweildauer von
fünf bis zehn Minuten reicht in der Regel, um den Ratsuchenden zu vermitteln,
dass eine Immunisierung mit bedenklichen Nebenwirkungen verbunden sei.

Obwohl sich das Social Web als glattes Parkett für die Impfaufklärung
erweist, will ECDC-Leiter Dr. Marc Sprenger das Internet nicht den Impfgegner
überlassen: „Wir müssen noch stärker und professioneller in sozialen Netzwerken
positionieren. Auch renommierte Gesundheitsinstitutionen sollten offener für
neue, innovative Zugänge sein, um evidenzbasierte Informationen über Nutzen und
Sicherheit von Impfungen an die Eltern zu bringen und so schwere Erkrankungen
und Behinderungen zu verhindern. Vor allem gilt es, das Vertrauen der Menschen
in Impfungen durch unabhängige Expert/-innen und Testimonials zu stärken“, so
Dr. Sprenger beim EHFG.

Ziel verfehlt: Masern kommen wieder

Eine Mischung aus Impfmüdigkeit und Skepsis hat dafür gesorgt, dass die WHO
Europaregion das Ziel verfehlt hat, bis 2010 Masern und Röteln auszurotten. Ob
sie es bis 2015 schafft wie angepeilt, ist angesichts der jüngsten Entwicklungen
fraglich: Die Zahl der Masernfälle hat sich seit 2008 vervierfacht, einige
Staaten verzeichneten 2010 und 2011 zahlreiche Krankheitsausbrüche. „Zwischen
Juni 2011 und Mai 2012 sind mehr als 12.500 Masernfälle im EU- und EWR-Raum
gemeldet worden, wobei sich fast 80 Prozent auf Frankreich, Rumänien, Italien
und Spanien konzentrierten und über 70 Prozent der Betroffenen nicht geimpft
waren. Im selben Zeitraum wurden auch mehr als 22.000 Fälle von
Rötelerkrankungen von 25 Europäischen Staaten gemeldet. Nahezu alle Fälle traten
in Rumänien und Polen auf“, berichtete Dr. Sprenger.

Auf Neuerkrankungen reagieren

Frankreich hat auf die Welle der Neuerkrankungen bereits reagiert und wendet
sich in einer Kampagne speziell an Jugendliche, die noch nicht vollständig
immunisiert sind und nun zur zweiten Impfdosis motiviert werden sollen. „Es ist
entscheidend, dass die Politik rasch Schritte setzt und den plötzlichen
Krankheitsausbrüchen auf den Grund geht, sonst erlebt Europa nicht nur einen
schmerzlichen Rückschritt, sondern exportiert die Masern auch wieder in
Regionen, die sich bereits von dieser Krankheit befreien konnten, etwa Nord- und
Südamerika“, warnte Dr. Sprenger. Auch sei es wichtig, Bevölkerungsgruppen zu
identifizieren und mit maßgeschneiderten Programmen an Impfungen heranzuführen,
die aus verschiedensten Gründen Gesundheitsdienstleistungen nicht nützen, etwa
weil sprachliche, kulturelle oder Bildungsbarrieren vorliegen. „Wir werden nie
eine 100-prozentige Durchimpfungsrate erreichen, aber wir dürfen nicht aufhören,
dafür zu kämpfen, so lange Masern und Röteln nicht ausgerottet sind“, forderte
Dr. Sprenger.

Das EHFG ist der wichtigste gesundheitspolitische Kongress der Europäischen
Union, mehr als 600 Entscheidungsträger aus 45 Ländern diskutieren vom 3. bis 6.
Oktober 2012 bereits zum 15. Mal zentrale Zukunftsthemen der europäischen
Gesundheitssysteme.

Fotos zum diesjährigen European Health Forum Gastein finden Sie unter http://www.ehfg.org/940.html.

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