Olaf Tschimpke, Präsident des Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU), zum neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz
recyclingnews: Der Vermittlungsausschuss des Bundesrates und Bundestages hat sich gestern nach zähem Ringen auf einen Kompromiss zum neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz geeinigt, der morgen dem Bundesrat zur finalen Entscheidung vorliegt. Welche Schulnote geben Sie dem Gesetz und warum?
Tschimpke: Ohne von einer Schulnote zu sprechen, halte ich das Gesetz für nicht ausreichend. Die öffentlichen Reden über die Bedeutung des Recyclings für die heimische Umwelt und Wirtschaft passen leider nicht zu dem schwachen Gesetz, das nun herausgekommen ist. Deutschland ist ein rohstoffarmes Land und wir müssen uns überlegen, wie wir auch morgen noch den Zugang zu Rohstoffen sicherstellen können. Genau daran haben mehrere Ministerien nun jahrelang gearbeitet und dann kommt so ein dünnes Ergebnis dabei heraus. Das Gesetz erfüllt weder die Anforderung der EU-Rahmenrichtlinie, noch genügt es den Anforderungen an ein modernes Kreislaufwirtschaftsgesetz.
recyclingnews: Was kritisieren Sie konkret?
Tschimpke: Als NABU bemängeln wir vor allem, dass keine höheren Recyclingquoten festgelegt wurden und es keine klaren Vorgaben gibt, die Müllverbrennung zu reduzieren. Von diesem Kreislaufwirtschaftsgesetz geht leider keinerlei Impuls für Investitionen in bessere Recyclingstrukturen aus. Die so genannte Verwertungsquote von 65 Prozent erreichen wir in Deutschland schon heute bis auf ein Prozent. Zudem hätten wir uns die Einführung einer echten Recyclingquote gewünscht, also einer Quote für die rein stoffliche Verwertung der Materialen, bei der die Materialien, die in die thermische Verwertung gehen, nicht mitgerechnet werden dürfen. Die Kreislaufwirtschaft könnte aus unserer Sicht ein entscheidender Schlüssel für eine sichere Rohstoffversorgung in Deutschland sein. Dafür hätte die Politik die Weichen allerdings anders stellen müssen.
recyclingnews: Im Streit zwischen Bundesregierung und Bundesländern wurden die ursprünglichen Inhalte des Gesetzes stark verwässert. Worauf führen Sie das zurück?
Tschimpke: Das liegt an der Vielzahl von Interessen. Zum Beispiel gab es das Interesse, die Müllverbrennungsanlagen und Ersatzbrennstoffkraftwerke besser auszulasten und diese Lobby hat sich als sehr mächtig herausgestellt. Uns hat auch gestört, dass die Diskussionen um das Gesetz sehr stark auf die Zuständigkeiten reduziert wurde – sollen es die Privaten bekommen oder die staatlichen Entsorger? Das kann aber doch für die Politik nicht die entscheidende Frage sein! Wir haben immer wieder dafür plädiert, sich auf die Inhalte zu konzentrieren. Der Staat muss die Rahmenbedingungen setzen und das muss er so ordentlich machen, dass in Deutschland so viel wie möglich recycelt wird, die natürlichen Ressourcen dabei geschont werden und das zum volkswirtschaftlich betrachtet günstigen Preis. Genau das ist bei dem Gesetz aber nicht herausgekommen. Die Chance, Deutschland mit dem neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz zum Sekundärrohstoffland Nummer 1 zu machen, wurde leider vertan.
recyclingnews: Liegt es vielleicht daran, dass man dem Thema nicht genug Priorität beigemessen hat?
Tschimpke: Den Eindruck habe ich nicht. Die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft wird schon gesehen. Der Nachhaltigkeitsrat und zahlreiche Verbände und politische Gremien haben sich damit beschäftigt und wichtige Leitlinien auf den Weg gebracht. Nur: Man startet bei den Lippenbekenntnissen als Tiger und landet dann in der Realität als Bettvorleger. Das ist sehr enttäuschend. Nehmen wir die erheblichen Überkapazitäten im Müllverbrennungsbereich: Solange die Anlagen nicht abgeschrieben sind oder deren Abschaltung finanziert wird, wird man gegen jedes Gesetz zur Anhebung der Quoten für ein echtes Recycling mit allen Mitteln kämpfen. Leider war die Bundesregierung schon auf europäischer Ebene gegen die 5-Stufen-Hierarchie (Anm. Redaktion: 1. Abfallvermeidung, 2. Wiederverwendung, 3. Recycling, 4. sonstige Verwertung, 5. Beseitigung). Das rächt sich jetzt.
recyclingnews: Interessanterweise haben ausgerechnet die Umweltminister der Grünen, Johannes Remmel in Nordrhein-Westfalen und Franz Untersteller in Baden Württemberg, ihre schützende Hand über die Müllverbrenner gehalten. Können Sie sich das erklären und sind Sie als „grüner“ Verband davon nicht enttäuscht?
Tschimpke: Wer welche Interessen vertritt hat meist etwas damit zu tun, wo solche Anlagen stehen. Da rangiert dann das wirtschaftliche und lokale politische Interesse schon mal vor der Parteiphilosophie. Eigentlich sollte man erwarten, dass Rot-Grün beim Thema Ressourcenschonung eine Vorreiterrolle einnimmt. Wenn das wie beim Kreislaufwirtschaftsgesetz nicht so ist, werden wir das genauso kritisieren, wie wir die schwarz-gelbe Koalition kritisieren. Schließlich geht es darum, den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht zu gefährden. Wenn die Politik so weitermacht wie bisher, werden wir die notwendigen Klimaschutz- und Rohstoffziele nicht erreichen, obwohl wir technologisch dazu in der Lage sind.
recyclingnews: Nach dem Gesetzentwurf gehören alle Abfälle, die der Bürger zu Hause wegwirft, weiter dem Staat. Eine Ausnahme gibt es nur für Verpackungen. Ist diese Regelung noch zeitgemäß?
Tschimpke: Zeitgemäß wäre es, das Verursacherprinzip konsequent einzuführen, d.h. die Produzenten für das Recycling bzw. die Rücknahme Ihrer Produkte in die Verantwortung zu nehmen. Die Idee, der Staat sei verantwortlich für den vom Hersteller gemachten Müll, ist aus meiner Sicht ohnehin schon der falsche Ansatz. Eine echte Kreislaufwirtschaft haben wir erst dann, wenn die Hersteller schon bei der Entwicklung eines Produktes auch an die Verwertung am Ende denken. Wenn Industrie und Entsorger das schaffen, muss die Politik auch weniger in das Geschehen eingreifen.
Der Grundgedanke der Abfallvermeidung fehlt in dem neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz völlig. Auf Dauer darf es keinen Abfall geben – es darf nur Rohstoffe geben, die man dann wieder in den Kreislauf zurückführt. Es gibt genügend Studien, dass wir schon heute an unsere Rohstoffgrenzen kommen. Wegwerfmentalität können wir uns schlicht nicht mehr leisten.
recyclingnews: Warum muss es im Bereich der Abfallwirtschaft überhaupt noch ein staatliches Monopol für Haushaltsabfälle geben? Sogar die Kinderbetreuung wurde privatisiert…
Tschimpke: Man darf nicht vergessen, dass in vielen Abfällen immer noch Schadstoffe stecken, die so entsorgt werden müssen, dass Mensch und Umwelt keinen Schaden nehmen. Da kann sich der Staat nicht aus der Verantwortung ziehen. Das heißt aber nicht, dass er die Abfallbeseitigung selbst durchführen muss. Es bleibt derzeit noch sinnvoll, dass der Staat überwacht und teilweise auch die Entsorgungshoheit hat.
recyclingnews: Was glauben Sie, welche Auswirkungen hat das Gesetz auf die Verbraucher, auf den Bürger?
Tschimpke: Wir erwarten keine fühlbaren oder messbaren Auswirkungen für den Verbraucher – weder im Positiven, noch im Negativen. Wenn Sie auf die Gebühren anspielen, das wäre Kaffeesatzleserei…
recyclingnews: Es gibt ja das Versprechen von der kommunalen Seite, dass die Müllgebühren sinken, wenn sie weiterhin den Zugriff auf die Wertstoffe im Abfall behalten…
Tschimpke: Mit Kaffeesatzleserei meine ich eben die Aussagekraft dieses Versprechens. Denn allein die Kosten für die Abfuhr von Restmüll in Deutschland sind so unterschiedlich, dass jede Verallgemeinerung nur dazu dient, den Bürger zu verunsichern. Im Übrigen kann es ja auch durchaus im Umweltinteresse sein, wenn die Gebühren gezielt steigen, um etwa Abfälle zu vermeiden, besser zu sortieren und damit mehr zu verwerten.
recyclingnews: Das Bundeskartellamt hat massiv auf die Öffnung des Marktes für Wertstoffe aus dem Abfall gedrungen – das sei schon EU-rechtlich geboten. Hat es Sie überrascht, dass das von den handelnden Politikern einfach beiseite gewischt wurde?
Tschimpke: Das Kartellamt hat im Prinzip gesagt, dass sie den Wettbewerb für verzerrt halten, das europäische Gesetz sehe eine Warenverkehrsfreiheit für alle handelbaren Wirtschaftgüter vor, also auch Sekundärrohstoffe. Ich halte diese Position für den Abfallmarkt für ziemlich naiv. Wir brauchen beides – einen staatlichen Ordnungsrahmen und einen Wettbewerb um das beste Recycling.
recyclingnews: Der NABU hat bereits 2009 eine Studie zu den Überkapazitäten im deutschen Müllverbrennungsmarkt veröffentlicht. Danach fehlen den deutschen Anlagen bis 2015 über acht Millionen Tonnen Material. Ist das Problem kleiner geworden? Was muss passieren?
Tschimpke: Das Problem nicht ausgelasteter Müllverbrennungsanlagen haben wir nach wie vor. Je mehr wiederverwertet und recycelt wird, desto größer werden die Überkapazitäten. Erfreulich ist aber, dass nach unserer Studie zumindest keine neuen Anlagen geplant werden oder Pläne auf Eis gelegt wurden. Wenn es nach uns geht, sollte die Politik einen Großteil der Anlage schließen. Nochmal: Das gilt auch für von der Energiesteuer befreite und damit subventionierte private EBS-Kraftwerke, die im Übrigen mit furchtbar schlechter Rauchgasreinigung arbeiten.
recyclingnews: Nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz plant die Regierung ein weiteres, sogenanntes Wertstofftonnen-Gesetz. Sollte man die Wertstofftonne jetzt nicht lieber so umfassend und schnell wie möglich einführen anstatt wieder jahrelang über ein neues Gesetz zu streiten?
Tschimpke: Natürlich kann man die Wertstofftonne auch auf der Basis der Verpackungsverordnung einführen. Wo das aktuell geschieht oder schon geschehen ist, sind die Ergebnisse gut. Dennoch halten wir eine vernünftige Regelung für sinnvoll, insbesondere um die Idee der Produzentenverantwortung zu verankern. Dafür braucht es eine gesetzliche Regelung, das funktioniert freiwillig nicht.
recyclingnews: Noch eine Frage zum Schluss: Trotz aller Kritik an dem neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz – Deutschland ist und bleibt im Recycling führend in der Welt. Was haben wir in Deutschland besser gemacht als andere Länder?
Tschimpke: (schmunzelt) Das Geheimnis sind wir. Ohne seine starke Umweltbewegung wäre Deutschland in dem Bereich nicht so fortschrittlich, wie wir heute dastehen. Allein unser Verband hat inzwischen 500.000 Mitglieder. Im öffentlichen Bewusstsein ist das Thema Verantwortung für Abfälle und Rohstoffe in Deutschland schon gut verankert. Deshalb muss man auch aufpassen, dass man die Gesetze nicht am Bürger vorbei durchdrückt. Die Deutschen trennen ihren Müll, weil sie erwarten, damit etwas Gutes für die Umwelt zu tun. Das muss dann auch gewährleistet sein. Noch sind wir als Deutschland Weltmeister in Recyclingtechnologie, aber wir sind auf dem besten Weg, diesen Vorsprung zu verkleinern. Andere Länder holen jedenfalls kräftig auf.
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