Blatt-Wechsel in der Ausstellung „Ornament – Ausblick auf die Moderne. Ornamentgrafik von Dürer bis Piranesi“

Plangemäß hat das Kunstmuseum Wolfsburg in der Hälfte der sechsmonatigen Präsentationszeit die ausgestellten Ornamentgrafiken aus vier Jahrhunderten ausgewechselt. Zu allen grafischen Werken der Ausstellung – einhundert an der Zahl – liegen gleichwertige Drucke vor, die jetzt vom Kunstmuseum zum Schutz der Werke ausgetauscht wurden.

showimage Blatt-Wechsel in der Ausstellung "Ornament - Ausblick auf die Moderne. Ornamentgrafik von Dürer bis Piranesi"

Frans Huys nach Cornelis Floris, Groteske Maske, Kupferstich, 1551, 162 x 146 mm

Grafische Arbeiten dürfen nicht länger als drei Monate dem Licht ausgesetzt sein und dies nicht über 50 LUX. Durch den Blatt-Wechsel haben die Besucher der Ausstellung nun die Gelegenheit, eine sinnliche Variation des Themas zu erleben.

Das Kunstmuseum Wolfsburg ist mit seinen thematischen Ausstellungen bekannt für seine regelmäßigen Ausflüge zurück in die klassischen und frühen Perioden der Moderne. Mit Ornament wagt das Haus anhand eines besonderen Grafikthemas – dem Ornamentstich – einen Sprung darüber hinaus. Angefangen mit Albrecht Dürers berühmter Serie der Knoten, sechs eindrucksvoll verzierten Holzschnitten aus der Renaissance, vereint die Ausstellung rund einhundert wertvolle druckgrafische Blätter und einige ornamentierte Gegenstände aus der Zeit vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Ein Großteil der kunsthistorischen Schätze stammt aus der umfassenden Sammlung des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig. Diese Nachzeichnung der Geschichte und Entwicklung des Ornaments als eine Kunstform macht die ungebrochene Aktualität des Ornamentalen insbesondere in der zeitgenössischen Kunst deutlich. Zu sehen sind Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen, unter anderem nach Raffael, von Cornelis Bos und Cornelis Floris, von Daniel Hopfer, Albrecht Dürer und Heinrich Aldegrever, von Stefano della Bella, Christoph Jamnitzer, Benigno Bossi, Giovanni Battista Piranesi, François de Cuvilliés und nach Antoine Watteau. Die Ausstellung wurde von Dr. Julia Wallner (Kunstmuseum Wolfsburg) unter fachlicher Begleitung von Prof. Dr. Thomas Döring und Dr. Regine Nahrwold (beide Kupferstichkabinett Herzog Anton Ulrich-Museum) zusammengestellt.
Faszinierend ist die raumbildende Kraft des Ornaments, das als Motiv kein Davor und kein Dahinter kennt. Dadurch durchdringen sich die Vorstellungen von Fläche und Raum. Für die Entwicklung der Kunst des 20. Jahrhunderts ist dieser Gedanke essenziell. Speziell das Werk des amerikanischen Malers und Bildhauers Frank Stella, das ab September parallel in der großen Halle des Kunstmuseum Wolfsburg in einer großen Retrospektive zu sehen sein wird, schöpft aus der raumbildnerischen Qualität des Ornaments. Um diesem außergegewöhnlichen Dialog der Form zu betonen, wird ein Kabinett innerhalb der Ausstellung den zeichnerischen Skizzen und Studien Frank Stellas gewidmet – dieses ist ab dem 8. September zugänglich.

Die Idee zu dieser Ausstellung entstand vor dem Hintergrund der kommenden Stella-Retrospektive und beide Projekte stehen in einem größeren kunsthistorischen Zusammenhang. Das Ornament galt lange Zeit als Sündenfall der Moderne. Adolf Loos“ berühmt berüchtigte Polemik aus dem Jahre 1908 „Ornament und Verbrechen“ dokumentiert den generellen Bannfluch, mit dem diese einst so universal wirksame Kunstgattung zu Beginn des 20. Jahrhunderts belegt wurde. 2001 fand in der Fondation Beyeler in Basel, dem früheren Wirkungsort des Direktors des Kunstmuseums, die Ausstellung „Ornament und Abstraktion“ statt. Dieses grenzüberschreitende Projekt versuchte erstmals die bisher unterschätzte Bedeutung des Ornaments für die Entstehung und die Entwicklung der abstrakten Kunst umfassend darzustellen. Seither hat sich die Zahl der Untersuchungen zu diesem zentralen Aspekt der Moderne durch viele Publikationen und Ausstellungen fast lawinenartig ausgebreitet. Im Kunstmuseum Wolfsburg wird die Debatte mit einem spezifischen Beitrag erneut aufgegriffen, um ein vertieftes Verständnis für diesen Zusammenhang, aber auch für die Zukunft der abstrakten Kunst im 21. Jahrhundert zu liefern. Die Parallelität der Ornamententwicklung vom 15. bis 18. Jahrhunderte und die eigenwillige Entwicklung vom Minimalismus zum Maximalismus bei Frank Stella spitzt die Frage zu, ob im Werk des Amerikaners nicht die Geschichte der Abstraktion mit der des Ornaments verschmilzt.

Nirgends kann man die Veränderung der universellen Sprache der Form und ihrer Abstraktion besser nachvollziehen als in der Entfaltung des Ornaments. Das Ornament war vor der Moderne der ästhetische Bereich, in dem das Ungegenständliche seine Formexperimente entfalten konnte und in dem sie neben der Hochkunst, auch eine eigene Geschichte, eine „Kunstgeschichte ohne Namen“ (Heinrich Wölfflin) entwickelte. Ab der Renaissance wird diese Geschichte im autonomem Genre des Ornamentstichs nun zunehmend auch von Namen, von z.T. prominenten Entwerfern und Stechern, wie Albrecht Dürer, geschrieben. Über die Jahrhunderte hinweg bildete sich im Ornamentstich eine eigene Stilgeschichte heraus, die ihre Ausprägungen in der sogenannten Groteske, im Beschlag- und Rollwerk, der Maureske, im Schweifwerk, der Kartusche, im Knorpelwerk, im Bandelwerk und der berühmten Form der Rocaille, einer charakteristisch geschwungenen doppelten S-Form, im Rokoko findet. Die Ornamentgrafik – das gedruckte Blatt ist von Beginn an aufs engste mit der Geschichte des Ornaments verbunden – kann sowohl reine Ornamente als auch jede Art der Anwendung von Ornamenten auf Gebrauchs- und Kunstgegenständen zeigen: vom Pokal und Schmuckanhänger über den Bilderrahmen, die Tapete und den Bucheinband bis hin zum Kamin oder Möbelstück, zur Wand- oder Deckengestaltung. Hier zeigt sich die universelle Kraft des Ornamentalen, das bis ins 18. Jahrhundert hinein ganze Dekorationsprogramme umfasste, die vor allem in der höfischen Kultur – etwa am Hofe Ludwigs des XIV. – eine große Rolle spielten.

Der Begriff „Ornament“ ist vom lateinischen „ornamentum“ abgeleitet und bedeutet unter anderem „Zierde“ oder „Schmuck“. Gegenstand der Ornamentgrafik sind Muster und Vorlagen für Ornamente, die im Kunsthandwerk (von Malern, Schreinern, Töpfern, Gold- und Silberschmieden) und in der Architektur ihre Anwendung fanden. In der Architektur kommen Ornamente als Säulen, Vasen oder Baluster, als Friese, an Kapitellen, an den Stirnseiten von Pilastern und innerhalb gerahmter Flächen vor.

Das experimentelle Feld der Ornamentik ermöglichte immer wieder überraschende und innovative, manchmal auch sonderbare bildhafte Erfindungen. Besonders in der Ornamentform der Groteske, die sich im 15. Jahrhundert in Italien nach dem Vorbild antiker römischer Wanddekorationen entwickelte, tummeln sich in einem architektonischen oder pflanzlichen Rahmenwerk oft Gestalten aus der antiken Mythologie oder Kinder mit Tieren, Früchten, Fratzen und skurrilen Mischwesen – halb Mensch, halb Tier oder halb Tier, halb Pflanze.
Zu den Motiven der Ornamentik gehören Termen (Pfeiler, die nach oben in eine menschliche Gestalt übergehen), Kandelaber (eine vielgliedrige Stütze, die einem Pflanzenstängel nachgebildet ist; auch Kerzenkandelaber), Vasen, Festons (Blumen- und Fruchtgirlanden), Trophäen, Füllhörner, Tierschädel, Delphine, Greifen, Sphingen, Eroten und Putten, Rosetten, Masken und Kartuschen. Dazu kommen als pflanzliche Ornamente Palmetten, Akanthus und andere Ranken und Blätter. Diese antiken Ornamente wurden von den Künstlern immer wieder nachgebildet, aber auch variiert und zu neuen Gestaltungen transformiert.

Die Ornamentik war immer auch ein Gebiet, in dem sich die künstlerische Fantasie über die zweckmäßige Kunstform hinaus – und befreit vom engen Kanon der Hochkunst – entfalten konnte. Der Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl hat 1889 herausgefunden, dass das Ornament jenseits seiner Schmuckfunktion auch eine autonome Kunstgattung mit eigenständigen Entwicklungsgesetzlichkeiten darstellt. Er hat so schon damals die theoretischen Grundlagen für die Verbindung der Ornamentgeschichte und mit der Geschichte der gerade abstrakt werdenden Kunst geliefert.

Die Ausstellung ist noch bis zum 6. Januar 2013 zu sehen.

Eine Kooperation mit dem Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig

Die Ausstellung wird unterstützt durch „Allianz für die Region“.
Weitere Ausstellung: Frank Stella – Die Retrospektive. Werke 1958-2012 (08.09.2012 – 20.01.2013)

Bildrechte: Foto: Claus Cordes, Bildarchiv Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig

Das Kunstmuseum Wolfsburg wurde im Jahr 1994 eröffnet und kann bereits heute auf eine einzigartige Geschichte mit einer Vielzahl maßgeblicher Ausstellungen und Veranstaltungen zurückblicken. Es ist in kurzer Zeit gelungen, das Haus regional zu verankern und gleichzeitig international Beachtung zu finden. Das Museum ist der Kunst aus Gegenwart und Moderne gewidmet und es vereint die verschiedensten Medien, angefangen von Malerei, über Skulpturen und Fotografie, Video und neue Medien bis zu Mode und Design. Das imposante, modernistische Gebäude im Zentrum der Stadt gelegen, präsentiert auf 3500 qm Ausstellungsfläche sowohl wechselnde Ausstellungen als auch Werke aus der Sammlung.

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