Mehrere Parteienforscher haben die Grünen davor gewarnt, die Mitglieder per Urabstimmung die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl bestimmen zu lassen. „Urabstimmungen sind immer ein risikoreicher Weg“, sagte der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth „Handelsblatt-Online“. „Urabstimmungen aktivieren zwar die ganze Partei, sie geben aber keine Garantie dafür, dass wirklich der beste Kandidat nominiert wird.“
Man denke daran, dass auf diesem Wege einst Rudolf Scharping Spitzenkandidat der SPD geworden sei. Auch der Potsdamer Parteienforscher Jürgen Dittberner sieht eine Urwahl, wie sie von den nordrhein-westfälischen Grünen angeregt worden war, skeptisch. „Urabstimmungen macht man in einer Partei immer dann, wenn man anders nicht weiterkommt“, sagte Dittberner „Handelsblatt-Online“. „Also ist der NRW-Vorschlag eher eine Verlegenheitslösung.“ Kritisch sehen Langguth und Dittberner auch, dass sich die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, unter Hinweis auf die Frauenquote bereits selbst zur Spitzenkandidatin ausgerufen hat. „Es ist ein Zeichen dafür, wie einsam es um Frau Roth steht, wenn sie nicht einmal Kombattantinnen bei den Grünen findet, die in ihrem Namen diese Forderung erheben“, sagte Langguth. Dittberner sprach von einem Machtspiel, bei dem sich Roth der Sitten und Gebräuche ihrer Partei bediene. „In Wahrheit geht es um Macht und Positionen“, sagte er. Dessen ungeachtet müssten die Grünen die Frage beantworten, welche Wahlchancen mit welchen Personen verbunden seien, sagte Dittberner weiter. „Das müssen die Grünen selber entscheiden und das Risiko tragen.“ Langguth meinte dazu: „Die Frage ist mehr, ob sich die Grünen einen Gefallen damit tun, wenn Sie Herrn Trittin als einzigen Kandidaten aufstellen.“ Zum Schluss gehe es dem Grünen-Fraktionschef im Bundestag wie Renate Künast bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin, das er für eine „krachende Niederlage“ verantwortlich gemacht werden könne. „Bei mehreren Kandidaten gleicht sich es aus, wenn die Ergebnisse nicht so hervorragend sind“, sagte der Bonner Experte. „Außerdem kann ein Kandidaten-Team eine höhere Integrationsleistung bei den Wählern erzielen.“