Autismus: Neues zur Rolle von Mutationen im Nervensystem

Forschende an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften zeigen den Einfluss von Mutationen der α2δ Proteine auf die Entwicklung des Nervensystems.

 

Krems, Österreich, 29. Januar 2025 – In einer aktuellen Studie über Mutationen in Proteinen des Nervensystems, die mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) assoziiert sind (α2δ-1 und α2δ-3), konnte gezeigt werden, wie diese die Funktion des Nervensystems beeinflussen. Die Mutationen reduzieren sowohl die Expression der Proteine in den Zellmembranen als auch deren Lokalisation in Synapsen. Auf die Aktivität von Kalziumkanälen oder die transsynaptischen Signalwege haben sie hingegen keinen Einfluss. Die im Rahmen des Forschungsschwerpunkts „Mental Health and Neuroscience“ an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL Krems) durchgeführte Studie zeigt, dass kleine Veränderungen von Proteinfunktionen die Bildung von Synapsen und das Nervensystem beeinflussen könnten. Die Ergebnisse unterstreichen auch den Bedarf an neuen experimentellen Werkzeugen und könnten neue Ansatzpunkte für die gezielte Behandlung von ASS liefern.

Eine Autismus-Spektrum-Störung ist eine komplexe neurologische Entwicklungsstörung, die weltweit Millionen von Menschen betrifft. Sie beeinträchtigt die Kommunikationsfähigkeit und das Sozialverhalten und ist häufig durch sich wiederholende Verhaltensweisen gekennzeichnet. Ein erheblicher Anteil der Ursachen für ASS wird mit genetischen Faktoren in Verbindung gebracht, wobei sich Mutationen in den Genen CACNA2D1 und CACNA2D3 – die für die Proteine α2δ-1 und α2δ-3 kodieren – als wichtig erwiesen haben. Diese Proteine regulieren Kalziumkanäle, die Synapsenbildung und damit die Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Ihre genaue Rolle bei ASS blieb bislang jedoch ungeklärt. Genau dieser Herausforderung hat sich das Team des Fachbereichs Physiologie der KL Krems gestellt und eine Studie durchgeführt, in der die zellulären pathophysiologischen Mechanismen von Mutationen in diesen Genen analysiert wurden.

 

Kleine Änderung. Große Wirkung.

„Unsere Ergebnisse erweitern das Verständnis der Bedeutung von α2δ-Proteinen für die Gehirnentwicklung”, erklärt Prof. Dr. Gerald Obermair, Leiter des Fachbereichs Physiologie an der KL Krems. Gemeinsam mit seinem Team konnte er zeigen, dass die Mutationen — p.R351T in α2δ-1 und p.A275T in α2δ-3 — den Einbau der Proteine in Membranen der Nervenzellen reduzieren, und damit ihre Lokalisierung an den Synapsen verhindern. „Diese Entdeckung ist deshalb so wichtig, weil sie zeigt wie Mutationen, die zwar keinen Einfluss auf die klassischen Funktionen der Kalziumkanäle haben, durch kleine Veränderungen dennoch die Funktion von Synapsen stören können”, führt Sabrin Haddad, M.Sc., Erstautorin der Studienpublikation und Doktorandin im Team von Prof. Obermair weiter aus.

Für die Analyse der neuronalen Prozesse setzte das Team neben Nervenzellkulturen aus dem Hippocampus auch modernste Methoden der Elektrophysiologie ein. Die Ergebnisse zeigen, dass beide Mutationen zu einer deutlich verminderten Expression der α2δ-Proteine in den Zellmembranen führten, insbesondere in Dendriten und Axonen (Nervenfortsätzen), also den kritischen Orten der Vernetzung von Nervenzellen.

Bemerkenswert war auch, dass die p.A275T-Mutation des α2δ-3-Proteins dessen Glykosylierung verändert – einen wichtigen Prozess, der die Stabilität von Proteinen bewahrt und damit ihre Funktion sicherstellt. Doch trotz dieser strukturellen Änderung blieben Aktivität der Kalziumkanäle und die Signalleitung über die Synapsen unbeeinträchtigt. Dies deutet darauf hin, dass die Mutationen zwar den Aufbau von Synapsen beeinflussen, nicht aber ihre Fähigkeit Signale zu übertragen.

Neue Perspektive

Die Studie bestätigte, dass die Menge des α2δ-Proteins insgesamt stabil blieb – ein Hinweis darauf, dass die Mutationen somit wohl ausschließlich die Struktur und Membranlokalisierung der Proteine betreffen. Diese Ergebnisse verlagern den Schwerpunkt von der traditionellen Sichtweise der Fehlfunktion von Kalziumkanälen hin zu der Frage, wie sich die Fehllokalisierung von Proteinen auf neuronale Netzwerke auswirken könnte. „Unsere Arbeit zeigt die subtilen Effekte der untersuchten Mutationen. Wie sich diese auf die Entwicklung des Nervensystems und in Folge auf die Entstehung von ASS auswirken, müssen wir also noch wesentlich intensiver als bisher untersuchen”, betont Prof. Obermair.

Insgesamt hat diese Arbeit ein wichtiges Teil zum komplexen Puzzle der genetischen Grundlagen von ASS hinzugefügt. Die Entdeckung alternativer Wege, auf denen Mutationen die Gehirnentwicklung stören können, bildet somit die Grundlage für die Entwicklung innovativer Analysemethoden und therapeutischer Ansätze.

Bild auf Anfrage verfügbar

Originalpublikation: Autism-Linked Mutations in α2δ-1 and α2δ-3 Reduce Protein Membrane Expression but Affect Neither Calcium Channels nor Trans-Synaptic Signaling. S. Haddad, M. Campiglio, M. Hessenberger, C. Ablinger, C. Eibl & G. J. Obermair. pharmaceuticals 2024, 17, 1608. DOI: 10.3390/ph17121608. https://kris.kl.ac.at/de/publications/autism-linked-mutations-in-%CE%B12%CE%B4-1-and-%CE%B12%CE%B4-3-reduce-protein-membran.

Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (Stand 01/2025)

Die Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL Krems) ist eine europaweit anerkannte Bildungs- und Forschungseinrichtung am Campus Krems. Die KL Krems bietet eine moderne, bedarfsorientierte Aus- und Weiterbildung in der Medizin und Psychologie sowie ein PhD-Programm im Bereich Mental Health and Neuroscience an. Das flexible Bildungsangebot ist auf die Bedürfnisse der Studierenden, die Anforderungen des Arbeitsmarkts sowie auf die Herausforderungen der Wissenschaft abgestimmt. Die drei Universitätskliniken in Krems, St. Pölten und Tulln sowie das Ionentherapie- und Forschungszentrum MedAustron in Wiener Neustadt gewährleisten eine klinische Lehre und Forschung auf höchstem Qualitätsniveau. In der Forschung konzentriert sich die KL auf interdisziplinäre Felder mit hoher gesundheitspolitischer Relevanz – u.a. der Biomechanik, der molekularen Onkologie, der mentalen Gesundheit und den Neurowissenschaften sowie dem Thema Wasserqualität und den damit verbundenen gesundheitlichen Aspekten. Die KL wurde 2013 gegründet und von der Österreichischen Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung (AQ Austria) akkreditiert. https://www.kl.ac.at/

 

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