StartUp Stories: Dr. Brigitte Zrenner und Dr. Christoph Zrenner, Gründer der sync2brain GmbH
(Stuttgart/Tübingen) – Die Psychiaterin Dr. Brigitte Zrenner und der Neurologe Dr. Christoph Zrenner haben einen Weg gefunden, die transkranielle Magnetstimulation für Patienten zu personalisieren und effektiver zu machen. Bei dieser seit Jahrzehnten angewendeten Technologie werden mithilfe starker Magnetfelder bestimmte Bereiche des Gehirns stimuliert. Das Forscherpaar hat mit „bossdevice“ ein Gerät erfunden, mit dem diese Stimulation exakt zum richtigen Zeitpunkt ausgelöst wird. Um es zur Marktfähigkeit zu entwickeln haben sie die sync2brain GmbH gegründet. Wie CEO Dr. Ramona Samba hoffen sie, dass schon in naher Zukunft sowohl Schlaganfallpatienten als auch Menschen mit Depressionen und Zwangsstörungen davon profitieren werden. Die Geschichte von sync2brain: eine von zahlreichen erfolgreichen StartUp Stories in der BioRegion STERN.
Es ist schon einige Jahre her, aber es war genau der richtige Zeitpunkt in einem Labor an der Universität Tübingen, um sich zu begegnen und damit die Möglichkeiten der Hirnstimulation nachhaltig zu verändern: Beide studierten Medizin, beide beschäftigten sich intensiv mit Echtzeit-Elektroenzephalogrammen (EEG) und mit der transkraniellen Magnetstimulation (TMS). Heute sind Dr. Brigitte Zrenner und Dr. Christoph Zrenner nicht nur miteinander verheiratet und Eltern von vier Kindern, die beiden Wissenschaftler haben ein weiteres großes Projekt auf den Weg gebracht: die sync2brain GmbH.
Die Idee – Wie kam es zu Produkt und Gründung?
Die Idee beschäftigte die Zrenners bereits seit Jahren: Dr. Brigitte Zrenner, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, erforscht die Mechanismen der Pathophysiologie bei schweren depressiven Störungen und Zwangsstörungen (OCD) sowie die translationale Entwicklung individualisierter Hirnstimulationsprotokolle. Der Neurologe Dr. Christoph Zrenner forscht zur hirnzustandsabhängigen Hirnstimulation und verwendet Echtzeit-Elektroenzephalogramme (EEG) zur Untersuchung oszillierender Hirnzustände mit dem Ziel, „zeitliche Ziele“ für neuromodulatorische Interventionen zu identifizieren. Ziel ist, in Bezug auf die Stimulation des Gehirns den perfekten Zeitpunkt zu finden, der darüber entscheidet, wie wirksam die geplante Therapie ist. So ist die gemeinsame Idee entstanden, spezielle Hard- und Software zu entwickeln und diese als Produkt auf den Markt zu bringen: sync2brain war geboren.
Tatsächlich knüpften die Zrenners an eine familiäre Tradition an. Der Medical Innovations Incubator, eine Einrichtung, die als Teil der Tübinger Stiftung für Medizininnovationen Start-ups im Medizintechnikbereich auf ihrem Weg zum Erfolg begleitet, wurde von Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Eberhart Zrenner gegründet. Prof. Zrenner, ehemaliges Mitglied des deutschen Wissenschaftsrat der Bundesregierung, Chefarzt der Ophthalmologie an der Universität Tübingen ist selbst als Firmengründer hervorgetreten und hat seinem Sohn Christoph das „Gründer-Gen“ offensichtlich in die „Wiege gelegt“. Nicht nur Grundlagenforschung zu betreiben, sondern die Ergebnisse auch zu Produkten zu entwickeln, lag für den Vater wie für den Sohn auf der Hand. Private Beziehungen sehen Brigitte und Christoph Zrenner ganz und gar nicht als Hindernis. Im Gegenteil: Dass sie beruflich und privat ein Team sind und dieselben Ziele verfolgen, bedeutet für die Familie mit vier kleinen Kindern, dass sich die Eltern gegenseitig den Rücken freihalten können.
Auf der Basis einer ausgezeichneten Idee ein Unternehmen zu gründen, war also – im Jahr 2019 – der erste Schritt. Nun galt es, die neue Firma erfolgreich zu entwickeln und ein Produkt am Markt zu platzieren. Glücklicherweise stieß zum richtigen Zeitpunkt Dr. Ramona Samba zum sync2brain-Team. Die promovierte Chemikerin hatte an Mikroelektrodenarrays geforscht, die verwendet werden, um Nervenzellen abzuleiten, zu stimulieren und Neurotransmitter zu messen. Zusätzlich zu ihrem wissenschaftlichen Werdegang bildete sie sich im Management an der Steinbeis School of Management and Technology sowie an der St. Galler Business School weiter und leitete einen Geschäftsbereich der NMI Technologietransfer GmbH in Reutlingen. Damit brachte sie genau das Fachwissen und die wirtschaftliche Expertise in das junge Unternehmen ein, die für die nächsten Schritte gebraucht wurden. 2020 unterstützte sie den Antrag für das EXIST-Förderprogramm, dessen Bewilligung dazu führte, dass ihre neue Stelle als CEO finanziert werden konnte.
Dass Dr. Samba die Geschäftsleitung übernehmen konnte, war für das Gründerpaar ein absoluter Glücksfall, denn inzwischen ist sie am Standort Tübingen mit dem wachsenden Team „allein“. Brigitte und Christoph Zrenner sind nämlich kurz nach der Gründung einem Ruf an das Centre for Addiction and Mental Health (CAMH) in Toronto, Kanada, gefolgt. An einem der größten Forschungszentren für klinische Studien in der Psychiatrie vertiefen die Zrenners nun ihre Studien zu Hirninterventionen mittels TMS. Für die weitere Entwicklung ihres Unternehmens in der Heimat, spielt die Entfernung zwischen Tübingen und Toronto jedoch keine Rolle – schließlich muss man nicht mehr im selben Gebäude sitzen, um gemeinsam eine Firma zu leiten. Und gemeinsam widersprechen sie auch allen Klischees über die Arbeit in Start-ups: nie zu Hause sein, immer im Labor, keine Familie, keine Beziehungen, nur Aufopferung für „die Sache“. Dr. Samba, die inzwischen selbst drei Kinder hat, schafft die Balance und sieht nur Vorteile darin, Chefin zu sein: Sie entscheidet selbst, ob Elterntermine wichtig sind, und muss sich bei niemandem abmelden. Und mit Vergnügen räumt sie mit dem Mythos vom brillanten Einzelgänger auf, der in einer Garage an seiner Idee für den Welterfolg werkelt. Die richtige Mischung für eine erfolgreiche Gründung besteht aus Wissenschaftlern mit visionären Ideen und den Machern für die Umsetzung, die Organisation und das Management.
Der „Need“ – Wer profitiert von der Idee?
Weltweit leiden mindestens 350 Millionen Menschen an Depression. Viele Formen dieser Erkrankung sind nicht heilbar und die klassischen Psychopharmaka haben teilweise schwere Nebenwirkungen. Da bei Depressionen das linke Vorderhirn in einem Zustand der Untererregbarkeit „verharrt“, kann ein – zum richtigen Zeitpunkt ausgelöster – Impuls an dieser unterversorgten Stelle die Nervenzellen optimal stimulieren. Dafür ist weder eine Anästhesie noch eine Operation erforderlich. Der Patient, der bei der Behandlung eine EEG-Haube mit Elektroden trägt, spürt davon nichts. Die transkranielle Magnetstimulation kann fast überall, wo es ein Ungleichgewicht im Gehirn gibt, helfen. Wurde es beispielsweise durch einen Schlaganfall geschädigt, muss das Gehirn – in der Regel im Rahmen einer Physiotherapie – durch wiederholtes Üben lernen, sich neu zu organisieren. Durch die TMS kann das Gehirn des Patienten aktiviert und in einen Zustand versetzt werden, der es ihm erleichtert, neue Netzwerke zu bilden, um diese Übungen leichter umzusetzen. Tatsächlich werden Patienten schon seit Jahren mit der TMS behandelt, sie ist unter anderem in den Leitlinien für die Behandlung von psychischen Krankheiten als zugelassene Methode gelistet. Das Team von sync2brain sieht die optimierte Kombination aus Medikamenten, Reha-Maßnahmen, Gesprächstherapien und der TMS als Lösung für viele Patienten.
Der USP – Was ist die Innovation?
Bei der TMS werden die entscheidenden Areale des Gehirns durch eine Magnetspule von außen für Sekundenbruchteile mit Strom stimuliert. Weil das Gehirn jedoch hochdynamisch ist und sich ständig ändert, war es bisher nicht möglich, in Echtzeit auf die Aktivitäten und Verbindungen in den verschiedenen Hirnarealen zu reagieren. Das EEG misst zwar die Erregungszustände des Gehirns und hält diese in oszillierenden Kurven fest, doch da die Schwingungen in Millisekunden geschehen, fehlten die Rechenleistung und die entsprechenden Algorithmen, um den richtigen Zeitpunkt zu ermitteln. Die Stimulation erfolgte bisher in einem vorgegebenen Takt, der aber nicht unbedingt den richtigen Schwingungspunkt „erwischte“. Studien haben jedoch belegt, dass es einen Zeitpunkt gibt, zu dem die Stimulation besonders effektiv ist. Es ist wie bei einer Schaukel: Nur wenn sie am höchsten Punkt angestoßen wird, erreicht sie die stärkste Schwingung. Die sync2brain GmbH hat das Werkzeug „bossdevice“ entwickelt, um diesen Zeitpunkt exakt anzusteuern. Die schweizerische Speedgoat GmbH stellt den Realtime-Computer her, der diese Rechenleistung bringt. Das US-amerikanische Unternehmen MathWorks liefert die dazu notwendige Software-Plattform. So analysiert das „bossdevice“ in weniger als drei tausendstel Sekunden während der Behandlung den Echtzeit-Rohdatenstrom vom EEG und erkennt das spezifische Muster des Patienten. Er synchronisiert die Stimulation mit dem individuellen Zustand des Gehirns und macht die TMS um ein Vielfaches effektiver. Für die Hirnstromtherapie stellt die Entwicklung von sync2brain daher eine echte Revolution dar.
„Milestones“ – Wie geht es weiter?
Das bossdevice RESEARCH ist bereits am Markt verfügbar, das Gerät darf jedoch nur in der Forschung eingesetzt werden. Das bossdevice MEDICAL wird in den kommenden Monaten als Medizinprodukt zertifiziert, damit es in Kliniken und Praxen eingesetzt werden darf. Das Zertifizierungsverfahren gilt, wie bei vielen anderen Medizinprodukten auch, als „Bottleneck“. Sync2brain hat für den Prozess bereits die passende „Benannte Stelle“ gefunden, die die Prüfung nach den Vorgaben der Medical Device Regulation (MDR), der EU-Verordnung, die Hersteller einhalten müssen, die Medizinprodukte in der EU in den Verkehr bringen wollen, durchführen soll.
Aktuell startete außerdem eine große multizentrische Schlaganfall-Studie unter der Leitung der Neurologischen Abteilung des Universitätsklinikums Tübingen mit 130 Patienten. Am CAMH findet eine große kanadische Studie zur psychiatrischen Anwendung von TMS bei OCD (Obsessive Compulsive Disorder) statt. Die MDR- Zulassung für bossdevice ist also wohl ebenso wie die FDA-Zulassung in den USA nur noch eine Frage der Zeit. Allerdings ist die Zulassung nicht die einzige Hürde, die sync2brain zu überwinden hat: Ärzte und Krankenkassen müssen überzeugt werden, dass es sich lohnt, etwas Neues auszuprobieren. Die ersten positiven Ergebnisse der Studien erwartet CEO Dr. Samba noch in diesem Jahr; das langfristige Ziel ist es, die bossTMS-Therapie als Standardverfahren für die Behandlung von Schlaganfall, Depression und anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen zu etablieren. Ein Geistesblitz also, von dem am Ende viele profitieren werden.
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