Bundesverwaltungsgericht – Der Einsatz von sozialen Medien mit Kommentarfunktion kann mitbestimmungspflichtig sein

Betreibt eine Stelle der öffentlichen Verwaltung in sozialen Medien eigene Seiten oder Kanäle, kann wegen der für alle Nutzer bestehenden Möglichkeit, dort eingestellte Beiträge zu kommentieren, eine technische Einrichtung zur Überwachung des Verhaltens und der Leistung von Beschäftigten vorliegen, deren Einrichtung oder Anwendung der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt.

(Beschluss des BVerwG vom 04.05.2023 – 5 P 16.21; Leitsatz des Verfassers)

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRB) unterhält bei Facebook, Instagram und Twitter eigene Seiten und Kanäle. Die dortigen Beiträge der DRB können von allen Besuchern auch im Hinblick auf Leistung und Verhalten der Beschäftigten kommentiert werden; eigene Beiträge können die Besucher nicht einstellen. Die Beiträge der DRB und die Kommentare zu diesen werden in den sozialen Medien gespeichert, eine Auswertung der Kommentare für die Dienststelle erfolgt nicht, ist aber möglich.
Der Personalrat berief sich gegenüber der DRB auf sein Mitbestimmungsrecht (§ 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG in der bis zum 14. Juni 2021 und inhaltsgleich nunmehr § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG in der seither geltenden Fassung) und forderte zur entsprechenden Beachtung auf. Begründet hat er seine Auffassung damit, dass die Kommentare geeignet seien, in das Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht der Beschäftigten einzugreifen. Nachdem die DRB das Bestehen eines Mitbestimmungsrechtes verneinte, leitete der Personalrat ein Beschlussverfahren mit dem Ziel der Feststellung seines Mitbestimmungsrechts ein. Das Verwaltungsgericht Berlin hat ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats bejaht, da Nutzerkommentare dazu geeignet sein können, zur Überwachung von Leistung bzw. Verhalten der Beschäftigten beizutragen. Ob eine solche erfolgt, sei für die Frage des Bestehens eines Mitbestimmungsrechts unerheblich, da aufgrund der Speicherung der Kommentare die Möglichkeit hierzu bestehe. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verneinte das Bestehen eines Mitbestimmungsrechtes. Bei der jeweiligen Kommentarfunktion handele es sich lediglich um ein technisches Hilfsmittel, das objektiv nicht zur Überwachung geeignet sei, da weder die Datenerhebung noch die Datenauswertung ganz oder teilweise automatisch erfolgt. Damit seien sie im Ergebnis auch nicht dazu bestimmt, zu einer Überwachung von Leistung bzw. Verhalten der Beschäftigten beizutragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auf die Revision des Personalrats hiergegen aufgehoben. Hierbei hat es zunächst festgestellt, dass das Mitbestimmungsrecht des § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG dem Schutz der Persönlichkeit der Beschäftigten am Arbeitsplatz dient und gewährleisten soll, dass Beschäftigte nicht durch eine technische Einrichtung eine ständige Überwachung befürchten müssen und hierdurch unter Überwachungsdruck geraten können. Dieser Schutzzweck verlange, bereits das Speichern von Nutzerkommentaren mit verhaltens- oder leistungsbezogenen Angaben als selbstständige Überwachungsleistung einer technischen Einrichtung anzusehen. Denn hierin läge die Gefahr, dass im Nachgang eine Auswertung stattfinden könne und daher ein Überwachungsdruck bei den Beschäftigten entstehe. Da die Datenspeicherung objektiv zur Überwachung geeignet sei, sei sie auch für eine solche bestimmt. Problematisch sei jedoch, dass nicht von vornherein feststehen könne, ob es zu Kommentaren mit verhaltens- oder leistungsbezogenen Angaben komme. Daher müsse im Hinblick auf das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts bei objektiver Betrachtung der Beiträge eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Erwartung entsprechender Kommentare gegeben sein. Werde über konkrete Beschäftigte und ihr Tätigkeitsfeld berichtet und damit der Blick auf diese und ihre Leistung und ihr Verhalten gelenkt, bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. An einer solchen würde es in der Regel fehlen, wenn lediglich sachbezogen in allgemeiner Form über Aufgaben und Tätigkeiten der Dienststelle berichtet werde. Wenn es dann jedoch im weiteren Verlauf wider Erwarten zu einer nennenswerten Zahl entsprechender Nutzerkommentaren komme, könne eine Überwachungseignung entgegen der ersten Einschätzung in einer Gesamtbetrachtung bejaht werden. Hierbei müsse aber beachtet werden, dass ein möglicher Überwachungsdruck deshalb nicht angenommen werden kann, weil derartige Kommentare schnellstmöglich ohne vorherige Auswertung gelöscht würden. Da das Oberverwaltungsgericht sich mit diesen Fragenstellungen nicht befasst hatte, wurde das Verfahren an dieses zurückverwiesen.
Fazit:
Die Entscheidung des BVerwG, die bisher nur als Pressemitteilung vorliegt, ist grundsätzlich zu begrüßen. Jedoch geht die Unterscheidung anhand des Inhalts der Beiträge aber an der Wirklichkeit des Nutzerverhaltens in sozialen Medien vorbei. Diese dürften sich im Hinblick auf ihre Kommentare nicht nur an dem Inhalt der Beiträge orientieren, wenn sie die Leistung und das Verhalten von Beschäftigten kommentieren möchten. Es stellt sich in diesem Zusammenhang auch berechtigterweise die Frage, inwieweit der Personalrat bei der vorzunehmenden objektiven Betrachtung einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit von der Dienststelle einzubinden ist. Das BAG (Beschluss vom 13.12.2016 – 1 ABR 7/15) hat für die Einrichtung einer Facebookseite durch den Arbeitgeber entschieden, dass die Ermöglichung von Besucherbeiträgen auf dieser, der Mitbestimmung des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliegt. Unterstellt hat das AG hierbei, dass diese Ermöglichung und die automatische Speicherung der Besucherbeiträge (bei Facebook) regelmäßig geeignet ist, Informationen über die Beschäftigten zu sammeln und zu speichern und damit letztlich stets eine mitbestimmungspflichtige technische Einrichtung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG darstellt. Das LAG Hamburg hat diese Rechtsprechung zutreffender Weise auf die Antwortfunktion bei Twitter übertragen (Beschluss vom 13.09.2018 – 2 TaBV 5/18). Eine Übertragung auf anderweitige Antwort- oder Kommentarfunktion in sozialen Medien scheint nicht ausgeschlossen, an einer entsprechenden Entscheidung des BAG fehlt es jedoch bisher. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die Einrichtung eines Auftritts in den sozialen Medien sowohl nach dem BAG als auch nach dem BVerwG in der Regel selbst nicht mitbestimmungspflichtig ist. Diese Unterscheidung ist von den Betriebs- und Personalräten bei der Geltendmachung etwaiger Mitbestimmungsrechte unbedingt zu beachten.
Fabian Wilden, Rechtsanwalt
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