Die Magie der Nacht: Eine Reise ins Ungewisse und die Kraft der Literatur

Wenn du dich nachts in die Literatur vertiefst – wer wärst du?

Höre in das Buch “Wandertage” von Julio Calvo hinein und entdecke inspirierende und bewegende Literatur!

https://youtu.be/b-BINcKIU4Q

Traum oder Wirklichkeit?

In einer Winternacht wache ich erschrocken auf. Im Traum sind mir Hexen begegnet, bläulich schimmernde Kreaturen mit riesigen, schwarzen Augen. Ich springe auf und suche nach meiner Mutter. Sehe im Dämmerlicht der Flurlampe das leere Bett in ihrem Schlafzimmer, laufe die Holztreppe hinunter, klettere durch ein kleines Fenster im Parterre auf die verschneite Straße, in die windstille Nacht hinaus. Barfuß stehe ich im Schnee. Draußen vor dem Haus meines Großvaters, wo ich geboren wurde und das später meiner Mutter gehören sollte, mir aber niemals gehören würde. Wunderschön scheint der Mond auf die kleinen, schneebedeckten Häuser im kastilischen Dorf.

Am Ende der Straße funkelt eine Laterne vor einem Haus, aus dem ein grünlicher Lichtstrahl durch das Fensterglas nach draußen fällt. Bei meiner Nachtwanderung, als ich im Pyjama durch den Schnee laufe, mit der Ruhe und der Sicherheit eines Kindes, das um die Liebe seiner Eltern weiß und weder Seelenangst noch Eiseskälte spürt, muss ich die Aufmerksamkeit eines Schutzengels geweckt haben. Vielleicht kann man die Menschen bei Nacht genauer beobachten, sie ins Licht führen. Denn bald stehe ich im grünen Lichtkegel, und eine junge Frau kommt hinaus und bringt mich schnell hinein in die warme Küche ihres Hauses, wo ein offener Kamin brennt und es nach trockenem Pinienholz duftet.

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Literatur, die bewegt

Die gute Seele heißt Marita. Sie ist die Tochter von Celestino, dem zornigen Obsthändler. Der Jahre später am hellichten Tag beim Feigenpflücken im Garten von der Leiter in den Brunnen fallen und darin ertrinken sollte. Ihn würde keine Frau der Welt retten. Auch die Frösche im Brunnen nicht und auch kein Wolf, weil Wölfe nur Neugeborene vor dem Erfrieren und Verhungern retten. So steht es geschrieben in alten Märchen und auch in manchem Geschichtsbuch. Die Ereignisse der Dezembernacht jedoch sind nur in meinem Gedächtnis eingeschrieben. Und ich erinnere mich gut daran, wie ich vor dem Kamin sitze und über das Leben und Sterben der grauen Hausmäuse nachdenke.

Marita hat inzwischen ihren roten Mantel angezogen. Sich einen weißen Schal umgelegt und ist losgezogen. Auf die Suche nach meinen Eltern aus dem Haus gegangen, vermutlich eilenden Schrittes zum Marktplatz gelaufen. Da liegen die besseren Weinlokale. In denen sich um diese Jahreszeit die Männergesellschaft mit ihren stilvoll gekleideten Frauen nach dem heimischen Abendessen zu einem fein gereiften Brandy versammelt. Wobei die Frauen, die Schwulen und die Künstler eher einen klassischen Anis La Castellana bevorzugen. Weil sie wissen, dass schon nach wenigen Tropfen der Atem für den Gesprächspartner spürbar angenehm wird. In diesem Nebel aus menschlicher Anmut, Stimmengewirr, Tabakqualm und den Weindüften, die aus den Eichenfässern des Rivera del Duero den Raum erfüllen, sollte Marita bald meine Eltern finden.

Flucht in die Literatur

Während ich im tiefen Ohrensessel mit einem antiken Bilderbuch vor dem Kamin sitze, läuft eine Maus durch den Raum. Sie bleibt vor dem Kamin stehen, erhebt sich und schaut in die Flammen, so dass sie einen langen Schatten wirft. Ich erinnere mich daran, dass mich dieses Tier eine ganze Weile beschäftigt hat. Andererseits ist es durchaus möglich, dass ich damals darüber nachsann, wie es wohl sein mochte, wenn ich den Rest meines Lebens in dieser Küche auf dem alten Ledersessel mit jeder Menge Büchern verbringen würde.

Wie Don Quijote würde ich die Sprache der Literatur lernen. Im Lichte unzähliger Kerzen reich illustrierte Handschriften studieren. Mich in die faszinierende Welt der Rittersagen stürzen. In denen die Helden durch ihre eingebildete Liebe zu imaginären Frauen die Welt in ein Schlachtfeld verwandeln. Denn der Mensch will starke Gefühle erleben, und er will geliebt werden. In den stürmischen Regennächten reite ich mit Macbeth zu den buckligen Hexen, um ihnen beim Hurlyburly beizuwohnen. Um die Schlacht zu gewinnen und die Sinne zu verlieren. In den stillen, geheimnisvollen Sternennächten sitze ich mit dem Einsiedler Thoreau am vereisten Walden-See. Und lausche den Geräuschen der Tiere in der Wildnis. Gemeinsam rauchen wir eine gute Pfeife und wärmen uns gelegentlich mit einem ordentlichen Schluck Bourbon auf.

Oder ich würde als Büchervampir alle Nächte dieser Welt vor dem knisternden Kamin in Maritas himmlischer Küche verbringen. Den Menschen, die mich lieben, würden Kummer und Schmerz erspart bleiben. Und er würde uns nicht finden, der große, schwarze @Schmetterling. Der im Sommer mühelos durch das offene Fenster in die Wohnungen flattert. Und die Kinder tötet, auch die Ungeborenen im Mutterleib.