Kinderrechtsorganisationen schlagen Alarm

Die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen avanciert bundesweit zum Problemthema schlechthin

Köln, 16.08.2022

„Ich habe starke Depressionen, schon seit langem, und ich finde keine Hilfe, da mir niemand zuhört und es keinen interessiert, dass ich nicht mehr leben will. (…) Ich nehme jede kleine Hilfe von Ihnen an.“* Solche Nachrichten sind in der Ombudsstelle des KRF (KinderRechteForums) an der Tagesordnung. Im letzten Jahr verzeichnet sie einen deutlichen Anstieg an Anfragen von Kindern und Jugendlichen zu mentaler Gesundheit – besonders zu gravierenden Problemen wie Suizidgedanken und selbstverletzendem Verhalten. Auch die Online-Beratung JugendNotmail stellt eine Zunahme von Anfragen beim Thema Suizidalität fest.

Über 430 Kinderrechtsverletzungen und Beschwerden wurden 2022 bis Anfang August bei der Ombudsstelle des KRF gemeldet. Die Ombudsstelle kümmert sich um die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und hilft Kindern, Jugendlichen, Familien und Bezugspersonen bei Fragen, Beschwerden und auch in Notlagen. Das sorgte für großen Gesprächsbedarf: Die Hilfesuchenden führten rund 7.500 Gespräche mit den Mitarbeiter*innen der Ombudsstelle – die ganze 100 Stunden am Telefon berieten. Hinzu kamen tausende Chatnachrichten über WhatsApp oder Instagram und zahlreiche Anfragen über die Website. Über diese digitalen Kanäle fanden über 200 Kinder und Jugendliche teilweise über Wochen oder sogar Monate hinweg konkrete Unterstützung.

Üwen Ergün, Gründer und Vorsitzender der Geschäftsführung des KRF, appelliert: „Die Anfragen von Kindern und Jugendlichen in der Ombudsstelle für Kinderrechte haben sich im Vergleich zum Vorjahr bereits zum jetzigen Zeitpunkt verdoppelt! Ziel und Leitlinie der Politik und Einrichtungen muss sein, dass die Hilfen für Kinder und Jugendliche nicht nur in Notsituationen unterstützen, sondern in vielfältigen Lebensbereichen junger Menschen präsent sind. Diese Rolle übernimmt die Ombudsstelle des KRF seit 2014 bundesweit. Doch benötigt sie die Unterstützung politischer und zivilgesellschaftlicher Akteure, die bisher noch zu wenig Beachtung und Mittel zur Verfügung stellen.“

Die Welt von Kindern und Jugendlichen ist digital – auch bei Hilfsangeboten

Klar wird: Kinder und Jugendliche suchen Hilfsangebote auf digitalen Plattformen. 40 Prozent aller Anfragen gingen über den Chat der Hilfeplattform helpando ein – besonders beliebt war die Kommunikation über WhatsApp. Mit helpando hat das KRF die erste digitale, bundesweite Ombudsstelle für Kinderrechte geschaffen. Der erste Kontakt findet dabei auf Social Media statt: Über die Kanäle Instagram, TikTok und Facebook erreichen und informieren das KRF und helpando monatlich im Schnitt über 700.000 Nutzer*innen – zuletzt mit der aufmerksamkeitsstarken Kampagne „Such richtig“, die Kinder und Jugendliche zusätzlich auf digitalen Werbeflächen an S- und U-Bahnhöfen auf ihrem Schulweg begleitete.
Das zeigte Wirkung und sorgte dafür, dass sich Kinder und Jugendliche auch ihre größten Sorgen teilen: Besonders viele Kinder und Jugendliche meldeten sich bei helpando wegen Suizidgedanken (oft verbunden mit Panikattacken) oder selbstverletzendem Verhalten – eine alarmierende Botschaft. „Ich zerstöre mich selbst mit dem Überdenken von allem, hab“ keine Gefühle, verletze jeden um mich herum, finde keinen, der mich versteht und stehe kurz vor dem Suizid“*, schreibt ein*e Hilfesuchende*r.

Diese Entwicklung bestätigt die Online-Beratung JugendNotmail: „Die Sorgen um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen müssen von Politik und Verbänden ernst genommen werden. Allein bei der kostenlosen und vertraulichen Online-Beratung JugendNotmail fanden 2021 im Vergleich zum Vorjahr über 40 Prozent mehr Beratungen statt. Besonders besorgniserregend ist die deutliche Zunahme des Themas Suizidalität (Fokus bei rund 17 Prozent aller Chat-Beratungen 2022). Dies zeigt deutlich, dass sich viele junge Menschen allein gelassen und nicht verstanden fühlen. Es zeigt aber auch, dass es noch mehr niedrigschwellige Beratungsangebote braucht, die den jungen Menschen in Krisen Entlastung bieten und Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen.“

Andere Themen, wegen denen Kinder und Jugendliche das KRF kontaktierten, waren Depression, Trauma, Angststörungen, Essstörungen und Mobbing. Das zeigt: Besonders häufig fühlten sich die Hilfesuchenden in ihrem Recht auf Gesundheit verletzt. Ganze 30 Prozent der Anfragen entfallen auf diesen Bereich – der Großteil davon sind Probleme mit mentaler Gesundheit (siehe Anhang 2). Hinzu kommen Fälle aus dem zweithäufigsten Themenbereich „Recht auf gute Lebensbedingungen“, die auch oft die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen betreffen.

Mentale Gesundheit von Kindern: Dialog und Angebote dringend notwendig

Fest steht: Die aktuellen Angebote für Kinder und Jugendliche decken nicht ansatzweise den steigenden Bedarf an Unterstützung. Eine aktuelle Studie zeigt: Viele Kinderpsycholog*innen haben lange Wartelisten. Mentale Gesundheit wird bei Kindern oftmals nicht ernst genommen, Hilfesignale nicht beachtet und die Themen Gesundheit und Schutz von Kindern rücken aufgrund neuer Katastrophen in den Hintergrund.
„Die aktuellen Krisenlagen – Coronapandemie, Ukrainekrieg, Energieknappheit, Klimawandel – erfordern, nochmal ganz besonders auf die Verwirklichung der Kinderrechte zu achten. Das ist jedoch nicht trivial: Es gilt, die Rechte jedes Kindes auf Teilhabe, Förderung und Schutz klug auszutarieren. In der Pandemie galt und gilt es, Kinder vor Krankheit und Tod zu schützen, sie gleichzeitig nicht für Wochen zurückzuwerfen auf das häusliche Umfeld und von der Bildung auszuschließen. Angesichts der massiven Bedrohungen durch Krieg und Gewalt müssen wir uns der Frage stellen, wie wir Kindern einerseits Information und Mitsprache ermöglichen, sie aber in ihrer Verunsicherung und mit ihren Sorgen und Ängsten nicht allein lassen. Dafür müssen Regelstrukturen (Kita, Schule), aber auch Fachdienste (z. B. Kinder- und Jugendtherapeut*innen) qualifiziert und gestärkt werden“, schließt Dr. Bernhard Kalicki vom Deutschen Jugendinstitut.

Aus diesem Grund möchte das KRF den Dialog eröffnen: Bei der KRF Night am 27. August überlegen Vertreter*innen des Deutschen Instituts für Menschenrechte, von UNICEF, des AWO Jugendwerks, des Deutschen Jugendinstituts, der JugendNotmail sowie des KRF im Rahmen einer Panel-Diskussion, was es bedarf, um den Herausforderungen im Zusammenhang mit mentaler Gesundheit von Kindern und Jugendlichen entgegenzukommen und wagen einen Blick in die Zukunft. Eingeleitet wird der Abend durch die Begrüßung von Dr. Ralf Heinen, den Bürgermeister der Stadt Köln, sowie die Keynote von Dr. Bernhard Kalicki vom Deutschen Jugendinstitut.

*Anmerkung: Die Zitate sind zur anonymen Veröffentlichung freigegeben und nicht auf die Personen zurückzuführen.

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