Die Volkswirtschaftslehre hat nach Ansicht des Star-Ökonomen Kenneth Rogoff in der Krise schwere Defizite offenbart. Die sehr eleganten ökonomischen Modelle, die die akademische Welt seit Jahrzehnten dominierten, seien in der Praxis „sehr, sehr erfolglos“ gewesen. „Sie schienen anständig zu funktionieren, solange die Welt ziemlich ruhig war“, sagte der Harvard-Professor und ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds im Gespräch mit dem „Handelsblatt“ (Montagsausgabe).
„Doch als der große Schock kam, erwiesen sie sich als wertlos.“ Das liegt nach Auffassung Rogoffs an den falschen Annahmen. „Die Grundüberzeugung hinter diesen Modellen, dass Märkte perfekt funktionieren und staatliche Eingriffe nur zu schlechteren Ergebnissen führen können, ist widerlegt“, sagte er. Den USA empfiehlt er zum Beispiel, die extreme Konzentration auf den privaten Konsum zurückzufahren und den Staat wieder mehr investieren zu lassen, etwa in Bildung und Gesundheit. Rogoff fordert in dem Interview zudem eine Neuorientierung der Wirtschaftswissenschaften. „Nun ist die Zeit für mehr Experimente gekommen, für die Erforschung der Unvollkommenheit von Märkten“, so Rogoff. Doch der Ökonom, der mit dem Buch „Dieses Mal ist alles anders“ einen Bestseller gelandet hat, dämpft die Erwartungen. „Es wird viel leichter sein, das bestehende System zu attackieren, als ein solides, neues System aufzubauen“, sagte er voraus. Nach der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre sei der Keynesianismus als neue Idee entstanden, doch er habe bis heute kein solides wissenschaftliches Fundament.