Der Berliner Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber hat mit scharfer Kritik auf Überlegungen des Linde-Chefs Wolfgang Reitzle zu einem möglichen Austritt Deutschlands aus dem Euro-Raum reagiert. „Deutschland muss entgegen der politisch defizitären Analyse von Reitzle zusammen mit den Handelsüberschussländern einen Plan B ausarbeiten. Einseitige Schritte führen nur in die politische Isolation“, sagte der Professor an der Technischen Universität zu Berlin „Handelsblatt-Online“.
„Wer aber einen solchen Plan befürwortet, muss sich dafür unbedingt einsetzen, dass (Bundeskanzlerin Angela) Merkel und (Finanzminister Wolfgang) Schäuble abtreten, bevor es zu spät“, fügte Kerber hinzu. „Ich bin gespannt, ob Herr Reitzle diese politische Einsicht bereit ist auszusprechen.“ Mit Blick auf Reitzle sprach Kerber von einem „dynamischen Sinneswandel“ bei dem Dax-Konzernchef. „Noch im Sommer des vergangenen Jahres gehörte Reitzle zu jenen Vertretern des deutschen Vorstandskapitalismus, die mit den Geldern ihrer Aktionäre in Anzeigenkampagnen die unbedingte Rettung des Euro ausgerufen hatten. Heute erwägt Reitzle sogar den einseitigen Austritt Deutschlands“, sagte der Ökomom. Richtig an den Äußerungen von Reitzle sei hingegen die Feststellung, dass „alle Rettungsversuche bislang gescheitert sind und statt dies einzusehen, nunmehr der massive Einsatz der EZB – mit Herrn (Benoit) Coeuré an der Schaltstelle für Anleihenkäufe – droht und damit über kurz oder lang ein Kollaps zu befürchten ist“. Reitzle hatte als erster Chef eines Dax-Konzerns einen möglichen Austritt Deutschlands aus dem Euro-Raum ins Gespräch gebracht. Er glaube zwar, dass die Rettung des Euro gelingen könne, aber er sei „nicht der Meinung, dass der Euro um jeden Preis gerettet werden muss“, sagt Reitzle in einem Interview. Der Linde-Chef fürchtet, dass der Reformwille in den Krisenländern nachlasse, wenn die EZB eingreife. Und „wenn es nicht gelingt, die Krisenländer zu disziplinieren, muss Deutschland austreten“.