Klassische und moderne Rassehundezucht
(NL/1405822633) Die Aufspaltung der Hunde zur Optimierung für eine bestimmte Arbeitsaufgabe für den Menschen wird wahrscheinlich seit mehr als zehntausend Jahren praktiziert. Hier liegt die eigentliche Geburtsstunde der Rassehundezucht. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob diese Zuchtauswahl durch den Menschen bewusst geschah oder sozusagen naturwüchsig, einfach dadurch, dass man immer wieder für die Arbeit gut geeignete Hunde untereinander verpaarte.
In Teil III haben wir gesehen, wie eng der Hund mit dem Menschen bei der Entwicklung der Produktionsweise verwoben war. Dieser Einsatz als in vielen Bereichen wichtiger, ja unverzichtbarer Helfer – denken wir an das Wach- und Schutzwesen, die Viehhaltung, das Transportwesen, die Jagd – brachte enorme Leistungen hervor. So entstanden Hunde, die Stammvater Wolf in allen ihrer jeweiligen Spezialdisziplinen weit überlegen waren. So entstanden extrem anspruchslose und zugleich robuste Hunderassen. So entstand die auf unserem Planeten einmalige tiefe Kommunikationsfähigkeit zwischen zwei Spezies, zumal zwei Spezies, die nicht nahe miteinander verwandt sind. Zu den Hintergründen finden wir hoch interessante Informationen in dem Interview mit der Forscherin des Max-Planck-Institutes Leipzig Juliane Kaminski und der Besprechnung von „So klug ist mein Hund“.
Klassische Rassehundezucht: Das Championat der Arbeit
Das Championat der Arbeit war ein harter und zudem unbestechlicher Maßstab, das alleine einen guten Hund kürte. Das Championat der Arbeit war und ist ein sehr wirkungsvoller Mechanismus, um die gesundheitliche und charakterliche Qualität der Hundezucht abzusichern. Und hier finden wir auch einen entscheidenden Hinweis für die heutige Hundehaltung. Die unterschiedlichen Charaktere der HundeRASSEN. Für die gemeinsame Arbeit brauchte man ganz unterschiedliche Wesensmerkmale der Hunde. Die einen mussten genügsam und ausdauernd sein, wie der Turnspit, der die Treibräder der Pumpen stundenlang gleichmäßig antreiben musste (siehe Teil III). Die anderen mussten mit das eigene Leben missachtender Konsequenz eine Wildsau packen und solange festhalten, bis der Jäger mit der Saufeder ein Ende bereiten konnte. Der Hütehund musste extrem auf den Schäfer fixiert sein, was zu den heute mit recht so bewunderten Leistungen der Border Collies in der Kommunikation mit dem Menschen mündete. Der andere Hund des Schäfers, der Herdenschutzhund, musste ganz andere Eigenschaften vorweisen. Insbesonders musste er über viele Tage eigenständig, aber zuverlässig seine Aufgaben erfüllen. Daher ist es schon aus historischer Sicht haltlos, zu behaupten, die unterschiedlichen Wesensmerkmale von Hunden seien lediglich Ausdruck einer individuellen Entwicklung. Der Mensch brauchte über zig Tausende Jahre hinweg Arbeitshunde mit speziellen Fähigkeiten und Optimierungen im körperlichen, besonders aber im mentalen Bereich. Nach solchen Kriterien formte er in der klassischen Hundezucht die verschiedenen Hunderassen tiefgreifend und nachhaltig.
200 Arbeitshunderassen
Tatsache ist, dass auf diesem Hintergrund dutzende Hunderassen geschaffen wurden. Die klassische Rassehundezucht hatte im 19. Jahrhundert schließlich um die 200 Hunderassen hervorgebracht. Von einigen wenigen Schoßhündchen abgesehen, waren alles Arbeitshunderassen.
Mit der industriellen Revolution, dem Aufkommen der Dampfmaschinen, Elektromotoren und großen Fabriken und der damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderung verloren die Hunde massenhaft ihre angestammte Arbeit. Ihre Arbeitsleistung war schlicht obsolet geworden. Die Rinderherden wurden mit industriell hergestellten Zäunen befriedet und mit Eisenbahnen zum Schlafthof transportiert. Dazu brauchte man keine Bullenbeißer mehr, um nur ein Beispiel zu nennen. Und selbst in der Jagd wurden viele Hunderassen arbeitslos. Die großen Parforce-Jagden konnte sich der Hochadel nicht mehr leisten und die Landschaft wurden nach und nach schlicht zu sehr zersiedelt und zerschnitten, als dass man solche Großjagden mitten in Europa noch durchführen konnte. So starben etliche Meutehunderassen aus.
Das Verdienst der modernen Rassehundezucht: Die Rettung der Hunderassen
Es ist das Verdienst der modernen Rassehundezucht, die in unmittelbarer Folge der industriellen Revolution in England begann, dass sie die meisten Hunderassen gerettet hat. Ohne die elementaren Grundlagen, die damals geschaffen wurden, einer Zucht nach Standard, Zuchtbuch, sowie einer unabhängigen Bewertung durch Richter, wären alle die vielen Hunderassen verloren gegangen, die in der Arbeitswelt nicht mehr gebraucht wurden. In Europa wäre neben einigen Jagdhunderassen kaum eine Hunderasse erhalten geblieben. Die alten Hunderassen der Arbeitswelt wären innerhalb weniger Dekaden verloren gegangen. Daher gründeten sich viele Rassehundeclubs jener Zeit ausdrücklich auch in Sorge um den Erhalt der alten Arbeitshunderassen. Die damals richtigen, ja in Teilen notwendigen Maßnahmen, etwa der weitgehenden Trennung des Genpools der einzelnen Hunderassen oder einer Bewertung auf Ausstellungen, haben sich gut 100 Jahre später in ihr Gegenteil verkehrt. Sie haben sich vielmehr zu einer Geißel entwickelt, die die moderne Rassehundezucht heute in eine Sackgasse geführt hat. Der modernen Rassehundezucht ist es nicht gelungen, das Championat der Arbeit nachzubilden. Gerade in den letzten 30, 40 Jahren hat sich die Bewertung bei vielen Hunderassen geradezu in ihr Gegenteil verkehrt. Das äußere Erscheinungsbild spielt die fast alles entscheidende Rolle. Das Wesen der Hunde ja selbst Basics der Gesundheit werden missachtet. Bei nicht wenigen Rassen werden auftoupierte Haare (Grooming), der elegante Gang auf dem Catwalk, der richtige Farbtupfer an der „richtigen“ Stelle höher bewertet als ein gesundes Herz. Ja in nicht wenigen Rassen werden elementare Funktionen zumindest in Teilen zerstört. Nach Pedigree Dogs Exposed hat der britische Kennel Club einem „breed health plan“ verabschiedet. Dieser sieht ausdrücklich vor, dass in Zukunft keine Merkmale mehr gezüchtet werden dürfen, die die Hunde beim Sehen, Laufen oder freiem Atmen behindern können. Damit wird wenigstens eingestanden, dass eine solche Missachtung elementarer Lebensfunktionen stattgefunden hat. Und wenn man sich auf den Hunde-Shows ein wenig umschaut, so muss man leider befürchten, dass es heute in weiten Teilen immer noch so ist.
Geschichte auf 6 Beinen am Ende – oder Wende in der Rassehundezucht?
Der „Dortmunder Appell“, den inzwischen knapp 5.000 Menschen unterzeichnet haben, fordert daher eine „Wende in der Zucht zum Wohle der Hunde“. Wir müssen uns heute besinnen auf die Trümpfe der klassischen Rassehundezucht, insbesondere den Erhalt des Austauschs innerhalb des Genpools der Hunde und der Vermeidung von Inzucht und inbesondere auch in Sachen Championat der Arbeit. Klar, wir werden die Arbeitswelt vor 200 Jahren nicht nachbilden können und wollen. Zudem stehen die heutigen Hunde vor ganz anderen Herausforderungen einer sich veränderten menschlichen Gesellschaft. Aber wir müssen die Hunde nach Wesen, Fitness, Gesundheit, Langlebigkeit beurteilen und so quasi das Championat der Arbeit weiterentwickeln. Schafft die Rassehundezucht diese Wende nicht, so sehe ich keine Perspektive für den Rassehund. Ich bin auch überzeugt, dass es nur auf Basis des Erhalts der Hunderassen eine gemeinsame Zukunft auf 6 Beinen geben kann. Dabei meine ich den Rassehund als charakterstarken, im Wesen rassetypischen Vertreter und eben nicht ein auf Äußerlichkeiten und Moden getrimmtes Designerstück.
Hund in Produktion und Reproduktion
Die klassische Rassehundezucht brachte die Hunde für die Arbeit im Dienste des Menschen hervor. Die Hunde waren vierbeinige Arbeiter in der Produktion. Die moderne Rassehundezucht bringt in ihrer Breite die Hunde als Begleiter des Menschen hervor. Die heutigen Hunde sind – von Jagdhunden, Schäferhunden, Assistenz – oder Diensthunden abgesehen – nicht mehr in die Produktion des Menschen eingebunden. Sie dienen dem Menschen vornehmlich in deren Freizeit, in der Phase der Reproduktion der Arbeitskraft des Menschen. Aber wird damit der Hund weniger wichtig, wird er so gar überflüssig, ein Parasit wie es manche Stimmen heute artikulieren? Ganz im Gegenteil. Die Phase des kulturellen Lebens, der Freizeit, der Regenerierung der geistigen und körperlichen Kräfte des Menschen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Musik ist ein wesentliches Instrument dieser Lebensphase. Braucht man Musik zu Überleben? Und so brauchen wir Hunde nicht mehr unbedingt zum nackten Überleben, aber wir brauchen ihre Partnerschaft zum Leben.
Christoph Jung ist Psychologe, studierte Biologie, Initiator des Dortmunder Apell für eine Wende in der Hundezucht und Autor des Schwarzbuch Hund, Die Menschen und Ihr bester Freund!
Siehe auch: Die Geschichte auf 6 Beinen Teil 3 http://www.houndsandpeople.com/de/magazin/wissen/unsere-geschichte-auf-6-beinen-iii/
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