Neue Medikamente gegen Schmerz und alte Bekannte im Zwielicht

Für Schmerzpatienten gibt es eine Reihe neuer Medikamente, deren Vor- und Nachteile Spezialisten beim Deutschen Schmerzkongress 2011 (5.-8.10.2011, Congress Centrum Rosengarten, Mannheim) diskutieren. So lassen Nasensprays auf eine verträgliche An-wendung von Cannabis ohne Suchtgefahr hoffen. Pflaster mit dem Wirkstoff der Chili-schote können Nervenschmerzen bis zu drei Monate lang lindern. Ultrakurz wirksame Opiode als Spray oder Tablette helfen gegen Durchbruchsschmerzen bei Tumorpatien-ten. Ins Zwielicht geraten ist hingegen die Langzeitanwendung von Opioden bei chroni-schen Schmerzen, die nicht durch Krebs ausgelöst werden. Hier scheinen Nebenwirkun-gen und Gefahren den Nutzen zu überwiegen. „Da sind alte Dogmen ins Wanken gera-ten – Ärzte müssen Verschreibungen kritischer prüfen“, so Prof. Dr. Christoph Maier vom Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum.

Neue Medikamente mit altbekannten Wirkstoffen
Eine Ergänzung der verfügbaren Medikamente ist ein Cannabinoid-Spray. Cannabinoide sind schmerzhemmende körpereigene Stoffe. Ihre Anwendung war bisher durch die psychotropen und abhängigkeitsfördernden Effekte limitiert. Das neue Spray, das zurzeit für Patienten mit Spastik zugelassen ist, verspricht deutliche Fortschritte, weil die verwendeten Zusammenset-zungen kaum noch die Gefahr von Halluzinationen oder Abhängigkeit mit sich bringen. Eben-falls schon lange bekannte ist der Wirkstoff der Chilischote Capsaicin. Er wirkt speziell auf die für die Schmerzweiterleitung wichtigen C-Fasern. Patienten mit Gürtelrosenschmerzen und anderen isolierteren Schmerzen können von einem neuen Pflaster mit Capsaicin nach einmaliger Anwendung bis zu drei Monate profitieren. Der Effekt beruht darauf, dass Capsai-cin in der sehr hohen Dosierung dazu führt, dass die Schmerzfasern sich aus der Haut zurück-ziehen. Es treten kaum Nebenwirkungen auf.

Neue Impulse gegen starke Schmerzen
Neue Impulse versprechen sich die Schmerzmediziner auch von einem seit einem Jahr auf dem Markt befindlichen starken Opioid (Tapentadol), das erstmals zwei Wirkmechanismen in einem Präparat verbindet. Es könnte eine Ergänzung gerade beim schwer zu behandelnden Nervenschmerz sein. Neu sind auch ultra-kurz wirksame Opiate, die sowohl als Nasenspray erhältlich sind wie als Tabletten, die über die Mundschleimhaut aufgenommen werden. Sie haben den seit Jahren zugelassenen „Fentanyl-Lutscher“ weitgehend verdrängt. Diese Medi-kamente sind nur zugelassen für sterbenskranke Patienten im Rahmen einer palliativen Be-handlung. Die Verschreibungsdaten in Deutschland sprechen jedoch für einen erheblichen „Off label use“ für Patienten mit anderen Erkrankungen – eine Entwicklung, die viele Schmerzmediziner wegen der hohen Suchtgefahr mit Sorge sehen. „Bei diesen Präparaten muss sich erst erweisen, ob sie wirklich mit einer verbesserten Versorgung der Tumorpatien-ten und kalkulierbaren Risiken insgesamt einhergehen“, so Prof. Maier.

Problematisch: Langzeitanwendung von Opioiden
„In Sachen Opioide waren die letzten zwei Jahre waren für Schmerzmediziner eine Zeit der kritischen Bestandsaufnahme und vorsichtigen Neubesinnung“, fasst Prof. Maier zusammen. Die ernüchternden Ergebnisse verschiedener Leitlinienentwicklungen brachten alte Dogmen ins Wanken. Mit der bisher angenommenen hervorragenden Langzeitverträglichkeit von Opi-oiden bei chronischen Schmerzen ist es doch nicht so weit her: „Die heutigen Zahlen belegen nur im geringen Ausmaß eine anhaltende Wirksamkeit, liefern jedoch immer mehr alarmie-rende Hinweise, dass sich bei unkritischem Gebrauch teils sogar bedrohliche Langzeitneben-wirkungen häufen“, so der Mediziner. Dazu gehören sowohl Abhängigkeit als auch zentrale Störungen z. B. der Atmung und des Schlafs.

Den Einsatz kritischer prüfen
Sollen deshalb Opiate nicht mehr verordnet werden? „Im Gegenteil: Sie haben gegenüber anderen Medikamenten den enormen Vorteil, selbst nicht in klinisch relevantem Maß organ-schädlich zu sein“, unterstreicht Prof. Maier. Dagegen könnten andere, gerne als schwach bezeichnete Schmerzmittel zu lebensgefährlichen Magen- und Darmblutungen führen. Die Konsequenz für Schmerzmediziner müsse aber eine größere Rationalität im Umgang mit Opi-oiden sein. „Der Schlüssel zur Therapieoptimierung ist, dass ausschließlich solche Patienten Opiate erhalten, bei denen diese in relativ niedriger Dosis wirklich schmerzlindernd wirksam sind und bei denen auch eine Verbesserung von funktionellen Parametern wie z. B. der Schlafqualität, der Arbeitsfähigkeit oder der körperlichen Leistungsfähigkeit zu dokumentie-ren ist“, meint der Schmerzspezialist.

Kontakt
Prof. Dr. Christoph Maier, Leiter der Schmerzambulanz, Berufsgenossenschaftliches Univer-sitätsklinikum Bergmannsheil, Bürkle-de-la-Camp-Platz 1, 44789 Bochum, Tel. 0234/302-6366, E-Mail: christoph.maier@rub.de

Die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS) ist die wissenschaftliche Schmerzgesellschaft in Deutschland und mit rund 3.000 Mitgliedern die größte in Europa.Die DGSS wurde am 8.9.1975 während des 1st World Congress on Pain in Florenz als deutsche Sektion der International Association for the Study of Pain (IASP) gegründet. Sie ist als gemeinnützige Organisation anerkannt und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Hauptziele der DGSS sind die Förderung der Schmerzforschung in Deutschland und die Verbesserung der schmerztherapeutischen Versorgung.

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