Höhere Temperaturbeständigkeit vereinfacht Standardisierung
Von Florian Türck, Dr. Volker Peterseim und Dr. Ernst Osen, Freudenberg Sealing Technologies
Optimierte Bauraumnutzung, effizientere Motoren und verstärkte Kapselung zur Schalldämmung führen zu höheren Abstrahltemperaturen und Stauwärme, die etablierte Dichtungswerkstoffe an ihre Leistungsgrenze bringen. Dabei sind unterschiedlichste Anwendungen in Motor und Getriebe, der Lenkung wie auch der pneumatischen Bremse gleichermaßen betroffen. Mit innovativen Modifikationen von Nitrilkautschuk (NBR) und Acrylatkautschuk (ACM) ist es Freudenberg Sealing Technologies gelungen, diese weitverbreiteten und anerkannten Werkstoffe auch für höhere Temperaturanforderungen zu qualifizieren. Mit diesen neuen sogenannten HT(Hochtemperatur)-Werkstoffreihen lassen sich ohne einen kompletten Materialwechsel zukunftsweisende Lösungen erarbeiten. Die verbesserte Hitzebeständigkeit wird dabei über eine gezielte Optimierung der Werkstoffformulierung erreicht, wobei der Fokus dieser Entwicklungen auf das verwendete Vernetzungssystem gelegt wurde.
Dichtungen aus NBR haben sich wegen der sehr guten Beständigkeit gegen Mineralöle, Fette, Kraftstoffe und Lösemittel in vielen Bereichen der Technik als Standard durchgesetzt. Die Anwendungsbreite für NBR-Dichtungen und NBR-Formteile ist äußerst umfangreich. Diese war bisher jedoch durch die Temperaturbeständigkeit auf 100 °C (kurzzeitig 110 °C) begrenzt. Höhere Energiedichten, optimierte Bauraumnutzung, hocheffiziente Motoren und Kapselungen erfordern zunehmend eine höhere Hitzebeständigkeit für Dichtungen, die bisher nur durch einen Wechsel in eine besser hitzebeständige Elastomerklasse beherrscht werden konnte. Dies zieht aber in der Regel höhere Materialkosten nach sich. Mit der Entwicklung des ersten Hochtemperatur(HT)-NBR-Werkstoffs ist es Freudenberg gelungen, zukunftsweisende Lösungen auf der Basis des etablierten NBR-Werkstoffs zu ermöglichen. Die auf jetzt +120 °C (kurzzeitig+130°C) wesentlich verbesserte Hitzebeständigkeit des HT-NBR wird ausschließlich über neuartige Formulierungen dieses Werkstoffes erreicht. Mit dem HT-NBR lassen sich beispielsweise für die unterschiedlichen Hochtemperaturbereiche in Motor, Getriebe, Lenkung und auch pneumatischer Bremse einheitliche Lösungen auf NBR-Basis entwickeln. Mit diesem neuen HT-NBRDichtungswerkstoff erweitert Freudenberg die Möglichkeit zur Standardisierung
mit signifikanten Vorteilen:
> breiteres Einsatzspektrum,
> reduzierte Variantenvielfalt,
> höhere Wirtschaftlichkeit,
> einheitliche blaue Farbe und damit
> Verwechslungsfreiheit und
> sicherere Montage.
>> Universelles Hochtemperatur-ACM
Durch seine ausgezeichnete Wärmeund Ölbeständigkeit wird ACM (Polyacrylatkautschuk) meist für Dichtungselemente im Kontakt mit Getriebeölen verwendet. Höhere Einsatztemperaturen bringen standardmäßig Schwefelseifen vernetzte ACM-Werkstoffe allerdings an ihre thermische Belastungsgrenze. Erst die Verwendung der neuen HT-ACM Werkstof fe erlaubt den Dauereinsatz unter diesen gestiegenen Temperaturbedingungen. Auch für die neuen HTACM Werkstoffe ist eine MedienbestaÅNndigkeitsprüfung unerlässlich, da die Formulierungen moderner Getriebe- und Motorenöle sehr unterschiedlich und meist auch sehr aggressiv für Elastomerwerkstoffe sein können. Für umfassende Untersuchungen wurden folgende Öle ausgewählt: Shell Helix 10W40 simuliert ein moderat additiviertes Motorenöl. Castrol SAF XO simuliert ein hoch additiviertes Hinterachsgetriebeöl. Um die Medienbeständigkeit qualitativ bewerten zu können, wurde die Änderung der Bruchdehnung nach 168, 500 und 1.000 h Lagerungszeiten im Kontakt mit den genannten Ölen bei 175 °C als Maß gewählt. Eine Änderung von >50 Prozent wird hierbei nach allgemeinem Verständnis als kritisch bewertet.
Die Werte für die Bruchdehnung im Kontakt mit Motoröl machen deutlich, dass selbst FKM bei unzureichender Formulierung der Rezeptur Schwächen zeigt. Der bisphenolisch vernetzte FKM-Werkstoff zeigt bereits nach 500 h eine Veränderung um >50 Prozent, während der peroxidisch vernetzte FKM-Werkstoff noch unter 50 Prozent liegt. Dies ist auf die unterschiedlichen Vernetzungssysteme zurückzuführen. Im Vergleich dazu weisen die zwei Polyacrylat-Werkstoffe HT-ACM und AEM eine Beständigkeit auf, die mit peroxidisch vernetztem FKM vergleichbar ist. Die Werte für die Bruchdehnung im Kontakt mit dem deutlich aggressiveren Getriebeöl zeigen, dass hier die Polyacrylat- Werkstoffe den FKM-Werkstoffen deutlich überlegen sind. HT-ACM und AEM zeigen auch in einem aggressiven Getriebeöl die beste Beständigkeit. Um die Lebensdauer von HT-ACM und AEM Werkstoffen besser einschätzen zu können, wurden weitere Einlagerungsversuche bei 175 °C durchgeführt und die Änderung der mechanischen Werte analysiert. Die Alterung von 70 HT-ACM 233277 kann mit der Arrhenius-Gleichung bis 175 °C gut beschrieben werden. Ein Kurzzeitversuch über 168 h bei 175 °C entspricht ungefähr einer Versuchszeit von 1.000 h bei 150 °C in Anlehnung an Arrhenius, wonach eine Erhöhung der Temperatur um 10 °C die Lebensdauer halbiert. Es ergeben sich sehr ähnliche Werte nach 1.000 h bei 150 °C wie nach 168 h bei 175 °C. Dies ist für AEM nicht der Fall, dieser Werkstoff wird bei höheren Temperaturen chemisch stark angegriffen. Der AEM-Werkstoff weist eine starke Nachvernetzung auf, die in der Zunahme von Modul 100, Abnahme der Bruchdehnung und für einen schlechten DVR-Wert verantwortlich ist. Diese Nachvernetzung lässt sich ebenfalls in transparenter Weise mit Druckspannungsrelaxationsversuchen (DSR) zeigen. Bei den DSR in ATF Getriebeöl bei 190 °C zeigt AEM bereits nach 40 bis 50 h eine Zunahme der Spannungswerte. Das HT-ACM hingegen zeigt bis ca. 100 h eine moderate Abnahme der Spannungswerte, erst danach setzt die Nachvernetzung ein. Das neue HT-ACM bietet also eine deutlich bessere Hochtemperaturbeständigkeit als AEM. Die Lebensdauer von 70 HT-ACM 233277 ist bei 190 °C mindestens viermal länger als von AEM. Diese Vorteile machen 70 HT-ACM 233277 zum universellen Dichtungswerkstoff für den Kontakt mit Motor- und Getriebeölen: Z udem zeigt das HT-ACM in aggressiven Getriebeölen eine bessere Medienbeständigkeit als FKM. Der neue Freudenberg HT-ACM-Werkstoff 70 ACM 233277 ist zudem toxikologisch völlig unbedenklich, das heißt DOTGfrei.