Heute hängt der Geschäftserfolg von Herstellern wesentlich davon ab, wie schnell sie Aufträge abwickeln können. Besonders betroffen sind jene Unternehmen, die auf differenzierte Kundenwünsche reagieren müssen. Folgt die Produktion überdies dem Gebot Just in time beim Kunden, so gilt es, Fertigungspläne unverzüglich umstellen und auch kleine Losgrössen produzieren zu können. Aber das gelingt nur, wenn das Umrüsten der Maschinen nicht zu viel Zeit und Mühe kostet. Doch in vielen Fertigungsbetrieben glaubt man, kürzere Rüstzeiten brächten nur begrenzte Vorteile. Ein Irrtum. Gerade mit der Methode der kontinuierlichen Verbesserung (Kaizen) kann die Organisation derart optimiert werden,
dass die Rüstzeiten bald drastisch sinken – mit der Folge: weniger Stillstandszeiten, geringere Bestände, stärkere Ertragseffekte.
Jeder Unternehmensprozess – vor allem aber der hier im Blickpunkt stehende Fertigungsprozess – umfasst wertschöpfende und nicht wertschöpfende Tätigkeiten; zu letzteren gehört Verschwendung oder auf Japanisch Muda. Zur Verschwendung zählen neben Überproduktion, Nacharbeit, Warte-, Transport- und Prüfzeiten recht entscheidend die Rüstzeiten.
In der Vergangenheit wurde große Mühe darauf verwandt, die Produktivität von Maschinen und deren Betriebssicherheit zu erhöhen. Aber es geschah allzu wenig, um die Rüstzeiten zu verringern. Doch sind diese zu lang, so schadet gerade das dem betrieblichen Produktionsfluss. Die Folge sind nämlich zu hohe Losgrössen und Umlaufbestände; der Produktionsprozess wird unflexibel und eine optimale Maschinenauslastung verhindert.
Unter „Rüstzeiten“ werden hier im engeren Sinn Maschinenstillstands-zeiten verstanden – auch „interne Rüstzeiten“ genannt. Noch anschau-licher ist es, wird der Begriff interne Rüstzeit auf den Zeitverbrauch bezogen, der eintritt, wenn eine Maschine von der Herstellung des letzten einwandfreien Produkts „A“ auf die Herstellung des ersten einwandfreien Produkts „B“ umzurüsten ist.
Im weiteren Sinn zählen zur Rüstzeit auch „externe Rüstzeiten“. Damit sind jene Zeiten gemeint, die vor und nach dem eigentlichen Maschinenstillstand erforderlich werden, um etwa Zeichnungen und Werkzeuge verfügbar zu machen oder Arbeitspläne vorzubereiten. Ziel bei der Realisierung einer Just-in-time-Fertigung (JIT) muss es sein, die Rüstzeiten gegen null zu fahren.
Präziser definiert wird „Rüstzeiten gegen Null“ durch Fachbegriffe wie SMED („Single Minute Exchange of Die“) oder OTED („One Touch Exchange of Die“); gemeint ist damit eine Einziffer-Rüstzeit bis zu zehn Minuten (minutenschneller Werkzeug-wechsel) beziehungsweise ein einminütiger Werkzeugwechsel (Rüst-zeit von einer Minute per Knopfdruck, in einem Schritt oder mit einem Handgriff).
Natürlich muss die Verkürzung der Rüstzeiten konzeptionell vorbereitet werden. Nur selten gelingt es, die internen Rüstzeiten schon im Ergebnis eines ersten Workshops von drei Stunden auf drei Minuten zu verringern. Doch erfahrungsgemäß können sie bei fast jedem Workshop zumindest um 50 Prozent reduziert werden.
Bis heute erweisen sich bestimmte Auffassungen als Hauptgründe, wenn sich Unternehmen schwer damit tun, ihre Rüstzeiten zu senken:
• Hartnäckig hält sich etwa eine Vorstellung wie diese: „Rüstzeiten sind technisch bedingt und nur durch aufwändige Maßnahmen zu verändern.“
• Oft fehlt es an der Einsicht, dass lange Rüstzeiten negative Folgen haben – zum Beispiel hohe Kosten durch große Läger, eine niedrigere Maschinenauslastung und einen hohen Verwaltungsaufwand.
• Noch immer verbreitet ist der Glaube an den „Vorteil“ großer Losgrössen in der Fertigung beziehungsweise die Scheu vor kleinen Losen.
• Es mangelt an Kenntnissen über die Rüstprozesse; welche Führungskraft hat beispielsweise schon eine Nachtschicht lang über acht Stunden einen Rüstprozess beobachtet und anschließend analysiert?
• Vielerorts herrscht die Meinung, Verbesserungsmaßnahmen zwecks Verringerung der Rüstzeiten brächten nur geringe Erfolge.
• Viele Manager können sich nicht vorstellen, dass sich bereits auf Grund des ersten Workshops die internen Rüstzeiten um mindestens 50 Prozent verkürzen lassen – und das ohne allzu große Kosten.
• Besonders Maschinenhersteller und Maschineneinkäufer gehen von der Annahme aus, es käme bei einer Maschine ausschließlich auf das Verhältnis zwischen Output und Zeiteinsatz an.
• Maschinenkonstrukteure wiederum sind vielfach überzeugt, der Möglichkeit zum schnellen Umrüsten müsse keine große Bedeutung beigemessen werden; von selbst achten sie dann auch nicht darauf, wenn entsprechende Anforderungen in den Pflichtenheften der Maschinen-käufer fehlen.
• Die Unternehmensleitungen haben einen eingeschränkten Blickwinkel, der sie oft allein auf möglichst geringe Fertigungsstückkosten und ein seltenes Umrüsten fixiert sein lässt.
Lange Rüstzeiten – hohe Lagerbestände
Die meisten Fertigungsplaner denken bei Rüstvorgängen an den großen Zeitaufwand. Sie versuchen daher, Rüstzeiten möglichst ganz zu vermeiden. Das Resultat dieses Bemühens sind oft große Fertigungslose, die wiederum zu hohen Umlauf- und Fertigwaren-beständen führen, deren Verwaltung aufwändig ist.
Der Aufwand hängt sowohl mit erhöhtem Raum- und Flächenbedarf zusammen als auch mit den Notwendigkeiten bei der Handhabung und dem Transport, den Ver-wechslungsgefahren und der Minderung der Produktqualität infolge längerer Liegezeiten.
Läger wollen gesteuert, First-in/First-out-Regeln müssen beachtet und kontrolliert werden; Überproduk-tionen belasten den Markt und beeinflussen die Einführung neuer Modelle negativ. Überdies binden Läger Kapital, das besser produktiv investiert werden sollte, etwa in Neuentwicklungen, neue Maschinen oder mehr Wissen. Und zu alledem erhöhen sich durch umfangreiche Läger auch noch die Durchlaufzeiten von Kundenaufträgen.
Besonders in der japanischen Automobil- und Zulieferindustrie konnten Betriebe, die nach der JIT-Methode produzierten, schon in den 70er Jahren erhebliche Verkürzungen der Rüstzeiten erzielen; so wurden etwa die Maschinenstillstandszeiten von Kraftfahrzeug-Karosserie-Pressen in halbjähriger Teamarbeit von 24 Stunden auf 10 Minuten verringert. Dies war nur möglich dank der Erkenntnis, dass eine JIT-Fertigung kurze Rüstzeiten erfordert und SMED wie OTED machbar sind. Die immer wieder beobachteten niedrigen Bestände mancher japanischen Firmen sind nicht zu denken ohne deren konsequentes Vorgehen gegen unnötig lange Rüstzeiten.
Rüstzeiten reduzieren, aber wie?
Japanische Produktionsfachleute, allen voran Shigeo Shingo, schlagen Führungskräften, die die Rüstzeiten in ihren Unternehmen verringern wollen, sieben Schritte vor:
1. Bildung eines Teams, das sich der Aufgabe annimmt.
Dieses Team muss sichtbar Unterstützung durch die Geschäftsleitung erfahren, um die Bedeutung des Vorhabens zu unterstreichen. Zu dem Team müssen neben Mitarbeitern aus den Abteilungen Instandhaltung, Engineering und Konstruktion auch Meister und Maschinenbediener gehören. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Verbesserungs-maßnahmen zwecks Senkung der Rüstzeiten nach ihrer Bekanntgabe nicht nur akzeptiert werden, sondern von den Betroffenen auch ohne Schwierigkeiten selbst umgesetzt werden können.
An dem Team sollten zudem Mitarbeiter beteiligt sein, die in den Prozessen vor und hinter der Maschine tätig sind, die im gegebenen Fall umzurüsten ist; das hilft merklich, Schnittstellenprobleme zu überwinden.
2. Zeitliche Erfassung aller Teilschritte des Rüstvorgangs durch das Team.
Zu diesem Zweck sollte sich das Team eines Formblatts bedienen. Für einen bestimmten Rüstvorgang reicht es üblicherweise aus, wenn etwa 50 bis 100 Einzelschritte angegeben werden; für den Fall, dass der Vorgang insgesamt fünf Stunden beansprucht, wird jeder Einzelschritt also durchschnittlich circa drei bis fünf Minuten betragen.
3. Feststellung, bei welchen einzelnen Arbeitsschritten Verschwendung stattfindet und welche dieser Schritte extern oder intern durchgeführt werden sollten.
Typische externe Arbeitsschritte sind Arbeiten, die sich vor oder nach dem Maschinenstillstand durchführen lassen und damit also nicht die Zeit des Stillstands (interne Rüstzeit) erhöhen. Dazu gehören zum Beispiel das Vorbereiten von Werkzeugen, der Transport von Werkzeugen zur Maschine, der Zusammenbau von Werkzeugen, die Bereitstellung von Hebezeugen oder das Vorwärmen von Formen. Typische interne Arbeitsschritte sind der Aus- oder Einbau eines Werkzeugs, das Justieren und der Probelauf.
Um alle Dinge und Tätigkeiten ermitteln zu können, die Verschwendung (Muda) darstellen, wird das Team zweckmäßigerweise die so genannte 5 S-Methode anwenden. Diese japanische Methode kreist um die Vorstellungen Seiri (Ordnung schaffen), Seiton (Ordnung aufrechterhalten), Seiso (Sauberkeit) Seiketsu (persönlicher Ordnungssinn) Shitsuke (Disziplin üben). Für den Arbeitsplatz und den einzelnen bedeutet das:
• Alle für die jeweils vorgesehene Tätigkeit erforderlichen Dinge müssen sich am Arbeitsplatz befinden.
• Alle Tätigkeiten und Dinge müssen standardisiert und geordnet sein.
• Werkzeuge, Arbeitsplätze und Maschinen müssen sauber gehalten werden.
• Alle notwendigen Informationen müssen am Arbeitsplatz zugänglich sein; es darf keine zeitraubende Suche nach irgend etwas geben.
• Die im Rahmen des Arbeits-prozesses gültigen Standards und Regeln sind unbedingt einzuhalten.
Alle Dinge und Tätigkeiten, die nicht benötigt werden, stellen Verschwendung dar und müssen aus dem Arbeitsbereich entfernt werden, Als Verschwendung hat in aller Regel auch zu gelten, wenn Einrichter oder Maschinenführer während des Rüstvorgangs lange Wege zurücklegen müssen.
4. Untersuchung der Mittel nach Wege, die internen Rüstzeiten zu senken.
Das Team hat hier alle Möglichkeiten zu prüfen, die sich erfahrungsgemäß als besonders wirksam erwiesen haben:
Interne in externe Arbeitsschritte umwandeln. Um Einziffer-Rüstzeiten (von 1 bis 9 Minuten) zu erreichen, sind umfassende Maßnahmen nötig. Hierzu gehört die Umwandlung von Tätigkeiten, die vorher intern ausgeführt wurden, zu deren Ausführung die Maschine also abgestellt werden musste. Derlei Verrichtungen sollten möglichst in solche umgewandelt werden, die sich künftig extern ohne Maschinen-stillstand durchführen lassen.
So kann zum Beispiel durch das externe Vorheizen von Werkzeugen bei Spritzgussmaschinen der größte Teil der Zeit eingespart werden die bisher nötig war, um die Form im Fortlauf der internen Rüstzeit für das neu zu fertigende Teil aufzuheizen. Es ist wichtig, jeden Teilschritt des Rüstvorgangs daraufhin zu analysieren, ob er nicht externalisiert werden oder ganz wegfallen kann.
Bessere Hilfsmittel zum Befestigen und Lösen. Allein durch Ver-besserungen oder den Austausch von Hilfsmitteln, mit denen Elemente an den Maschinen befestigt oder wieder getrennt werden, lassen sich Maschinenstillstandszeiten um bis zu 30 Prozent reduzieren: beispielsweise durch Schrauben anstelle von Klemmhebeln und Klemmnocken; Senkung der Zahl an erforderlichen Schrauben; Normierung der Schraubköpfe; Verzicht auf freie Gewindegänge; Farbkennzeichnung von Schlauchverbindungen; Einsatz von Schnellverschlüssen und –kupp-lungen; U-förmige Unterlagscheiben; Durchstecklöcher oder T- und U-Nieten.
Parallellisieren von Arbeitsvor-gängen. Eine weitere Möglichkeit, interne Rüstzeiten zu verkürzen, besteht darin, Arbeitsvorgänge parallel zu schalten. Häufig müssen Mitarbeiter während des Rüstvorgangs sehr lange Wege zurücklegen, um mehrere Tätigkeiten zu verrichten, zum Beispiel das Herbeiholen von Gabelstaplern, Kränen, Formen oder Sonstigem; sie müssen Inspektionen durchführen oder sich Informationen von bestimmten betrieblichen Stellen besorgen. Solche Tätigkeiten können von mehreren Mitarbeitern zeitgleich durchgeführt werden, was die Maschinenstillstands-zeit erheblich verkürzt.
Vermeiden von Justierungen.
Das Justieren zum Beispiel von Form-höhen, Zentrierhilfen, Grund-platten oder Kassettenhalterungen wird durch Standardisierung überflüssig
– eine weitere Möglichkeit interne Rüstvorgänge um bis zu 40 Prozent zu reduzieren.
Verwenden von Rüstzeit-Matrizen.
An jeder Maschine können fortlaufende, formale Aufzeichnungen der Maschinenführer befestigt werden, in denen die Betreffenden die internen Rüstzeiten bei allen Formwechseln, Besonderheiten, die beim Umrüsten auftraten, sowie vorgenommene Verbesserungen festhalten. Daraus ergibt sich eine visuelle Rückmeldung der erreichten Leistungsstandards an Vorgesetzte wie Kollegen. Dadurch lassen sich Fehler vermeiden, und es kommt zu einem Wettbewerb darum, wie das Umrüsten weiter vereinfacht und beschleunigt werden kann.
Allerdings lassen sich Vorgabe-zeiten zum Beispiel auch an einer großen, auf der Maschine plazierten Uhr einstellen. Von ihr wird der Ein-richter angereizt, die Rüstzeiten zu unterschreiten.
5. Festlegung von Maßnahmen, um die externen Rüstzeiten zu senken.
Die externen Rüstzeiten lassen sich vor allem durch folgende Maßnahmen verkürzen:
Verbesserung der Situation am Arbeitsplatz. Alle für den Rüstvorgang benötigten Hilfsmittel wie Werkzeuge, Gesenke, Kräne und so weiter müssen direkt an der umzurüstenden Maschine greifbar sein.
Vermeiden jeglicher Suche nach Formen, Werkzeugen, Haltevor-richtungen et cetera. Werkzeuge jeglicher Art müssen übersichtlich, der Größe nach sortiert, abgestimmt und farblich unterschieden bereitliegen.
Verfügbarkeit von Transportwagen mit Rollengängen (flurgleich), die Kräne und Gabelstapler ersetzen. Durch diese Maßnahme wird der Rüstvorgang von anderen Vorgängen getrennt, und die oft lange Wartezeiten werden vermieden.
Streamlining“ externer Aktivitäten.
Befindet sich der wohl geordnete Werkzeugwagen näher an der Maschine, sinkt der Zeitaufwand für das Holen der Werkzeuge erheblich. Sind alle für den Rüstvorgang erforderlichen Teile vorab geprüft, werden eventuelle Reparaturen und damit unnötige Zeitverschwendung während des Umrüstens vermieden, Derart dient das Ordnen und „In-die-richtige-Reihenfolge-bringen“ aller externen Teilschritte dazu, die Rüstzeiten zu minimieren – der Gesamtablauf ist sinnvoll, vereinfacht und geht reibungslos vonstatten.
6. Standardisierung aller externen und internen Teilschritte des Rüstvorgangs.
Alle Teilschritte werden vom Team für jeden am Rüstvorgang beteiligten Mitarbeiter schriftlich festgelegt – in Form von Checklisten und Drehbüchern. Ein mit der internen Umrüstung beauftragter Mitarbeiter erhält sein Drehbuch, das genaue Vorgabezeiten enthält; er hat dann alle Prozessschritte in der angegebenen Reihenfolge abzuarbeiten. Zum Einüben der neuen Standardarbeitsschritte sollte das Drehbuch, für den/die Mitarbeiter
–leicht ablesbar in Großbuchstaben geschrieben- direkt an/neben der Maschine angebracht werden.
Dagegen finden die Arbeitsschritte für das externe Rüsten ihren Niederschlag in Checklisten; sie sollten möglichst ebenfalls Vorgabezeiten enthalten. Allerdings können die Arbeitsschritte hier auch in anderer Reihenfolge ausgeführt werden.
7. Wiederholung dieses Vorgehens in sechs Schritten beim folgenden Workshop.
Mit dem ersten Workshop zur Verminderung von Rüstzeiten wird meist eine Verkürzung der Maschinen-stillstandszeit erreicht, ohne größere Investitionen vornehmen zu müssen. Es wird einfach die Organisation verbessert.
In weiteren Workshops werden jedoch in der Regel zusätzliche Investitionen und technische Ver-änderungen als unumgänglich erkannt. Dazu ist es sinnvoll, einmal pro Monat alle Rüstvorgänge zu einem festen Termin genau zu beobachten und die jeweils benötigte Zeit für einen Rüstvorgang sowie den Effekt von Kaizen-Verbesserungen zu ermitteln.
Die Ergebnisse sind dann in einer Tabelle festzuhalten und an der jeweiligen Maschine auszuhängen. Bis zum nächsten Termin werden dann alle nicht erledigten Kaizen-Vorschläge aufgegriffen um die Ergebnisse weiter verbessern zu können.
Beispiel: Umrüsten einer Formpresse
Welche Bedeutung kürzere Rüstzeiten haben und wie sehr diese die Höhe der Bestände und deren Steuerung durch Kanban (Teilenachschub nach dem Holprinzip) beeinflussen, soll am Beispiel einer Formpresse bei einem Automobilzulieferer erläutert werden. Bei dieser Presse erforderte die Umrüstung ursprünglich circa acht Stunden.
Wie der Tabelle 2 zu entnehmen ist, produziert das Unternehmen 16 Teile (Halbzeuge) in verschiedenen Varianten (Größe, Farbe) für europäische Automobilhersteller. Die jeweiligen Losgrössen (sieh Spalte 5) werden durch die aufgezeigten Abrufmengen (Spalte 2) sowie die langen Rüstzeiten bestimmt. Das Umrüsten für die Produktion eines anderen Teils erfolgt, sobald der Bestand dieses Teils unter eine festgelegte Mindestmenge sinkt. In der Regel beträgt die Zeitspanne zwischen zwei und drei Wochen, entsprechend hoch sind im Durchschnitt auch die Lagerbestände (Spalte7).
Die Organisation der Maschinen, Bestände und Montagelinien ist in Abbildung 1 dargestellt. Vor der Neuorganisation durch Kaizen-Maßnahmen wurden die gepressten und gestanzten Teile (Halbzeuge) hinter der Presse oder Stanze zwischen 12 und 60 Arbeits-tage lang in einem Zwischenlager aufbewahrt (siehe Tabelle 2, Spalte 5).
Von dort wurden die Teile gemäß der täglich von den Kunden abgerufenen Menge zur Weiterverarbeitung in die Montage überführt und nach ihrer noch am selben Tag erfolgten Fertigstellung den Kunden direkt ans Band geliefert.
Das Unternehmen strebte nun an, zwar die derzeitige absolute Produktionszeit beizubehalten, aber durch Reduzieren der Presse/Stanze-Rüstzeit auch in kleineren Losgrössen produzieren und dadurch die Lagerbestände drastisch senken zu können. Also wurde ein Kaizen-Prozess eingeleitet, der die Rüstzeit kräftig verringern sollte. Tatsächlich gelang es mit der Unterstützung eines Zehn-Mann-Teams, innerhalb von zwei Tagen die interne Rüstzeit von zuvor acht Stunden auf jetzt drei Stunden zu verkürzen –allein durch organisa-torische und einige kleinere technische Maßnahmen.
Bei unveränderter Gesamtrüstzeit wurde auf diese Weise ein um das 2.7fache (8 zu 3 Stunden) häufigeres Umrüsten möglich und damit die entsprechende Senkung der Losgrössen und Lagerbestände. Dennoch wollte man bei den am meisten nachgefragten Produkten (Maß: circa 500 Stück täglich) nicht häufiger als einmal pro Woche umrüsten müssen, denn das hätte bei der immer noch recht langen Rüstzeit von drei Stunden insgesamt zu erheblichen Stillstandszeiten der Presse geführt. Also wurde entschieden, ein einmaliges Umrüsten pro Woche sei bei den Schnell-Läufern durchaus angemessen. Für die übrigen, weniger häufig nachgefragten Produkte wurden entsprechende Häufigkeiten für das Umrüsten fest-gelegt (vergleiche Tabelle 2, Spalte 9). Insgesamt liegt die Häufigkeit, mit der die Presse wöchentlich umgerüstet wird, bei 8,4, de facto also bei 8- oder 9-mal. Der durchschnittliche Lagerbestand bei den neuen Losgrössen nach Kaizen liegt mit 9840 Stück um den Faktor 4.5 niedriger als der Bestand vor Kaizen mit 44 945 Stück (vergleiche Tabelle 2, Spalten 7 und 8).
Um die täglich von den Kunden abgerufenen Mengen Just in time produzieren zu können, müsste die interne Rüstzeit so weit reduziert werden, dass im Extremfall jedes der 16 angebotenen Produkte in einer 24-Stunden-Schicht hergestellt werden könnte –das gilt abgesehen von einem Mindestlagerbestand, der wegen des erforderlichen Trocknungsprozesses notwendig ist und der mit der Summe der maximalen täglichen Abrufmenge identisch sein muss –alles in allem 4043 Stück (siehe Tabelle 2, Spalte3).
Zu diesem Ziel müssten 16 Rüstvorgänge je Tag durchführbar sein, statt der heute 8,4 Rüstvorgänge in fünf Tagen, sofern sich an der Produktionszeit nichts ändert. Bei 8,4 Rüstvorgängen á 180 Minuten in fünf Tagen entfallen interne Rüstzeiten im Umfang von rund 5 Stunden.
Formel:
(8,4 x 80 Minuten) / 5 Tage = 320 Minuten pro Tag
Wenn es gelänge, 16 Umrüstvorgänge in 302 Minuten durchzuführen, also einen Umrüstvorgang in circa 19 Minuten zu schaffen, so könnten täglich alle 16 Produkte in den von den Kunden geforderten Mengen produziert werden. 19 Minuten Rüstzeit sind Standard und lassen sich, selbst wenn in unserem Fall heute noch drei Stunden benötigt werden, mit einigem organisatorischen und technischen Aufwand durchaus erreichen. Da nicht zu erwarten ist, dass alle 16 Produkte jeden Tag abgerufen werden, reduziert sich auch die zu erwartende tägliche Gesamtrüstzeit auf eher 3 Stunden (7 Rüstvorgänge) als auf 5 Stunden (16 Rüstvorgänge):
Sollte es zusätzlich noch gelingen, den eintägigen Trocknungsprozess hinter der Presse und vor der Montage durch Kaizen-Maßnahmen zu eliminieren –zum Beispiel durch Ver-wendung eines schnell trocknenden Klebers-, dann könnte das Zwischen-lager hinter der Presse weiter ver-kleinert werden, und zwar auf die Differenz zwischen der maximalen Abrufmenge und der durchschnittlichen täglichen Abrufmenge, also auf insgesamt 1578 Stück (siehe Tabelle 2 Spalten 2 und 3).
Um die Bestände von ver-schiedenen Teilen im Vorratslager hinter der Presse – dem so genannten Supermarkt – zu steuern, wurde beim Umrüsten der Presse ein Triangel-Kanaban (-„Zettel“) verwandt (siehe Abbildung 2. unten); darauf sind die Teilebezeichnung, der Lagerort, der Wiederbestellpunkt und die Losgrösse vermerkt. Bei Erreichen des Wiederbestellpunkts (der etwa der Höhe der maximalen täglichen Abrufmenge entspricht – Tabelle 1, Spalte 4) dient der Triangel-Kanban als Bestellung für die Produktion zur Fertigung einer Losgröss des betreffenden Produkts.
Mit der fertigen Losgrösse geht der Triangel-Kanban wieder zurück in den Supermarkt zu dessen Aufstockung (siehe Abbildung 2). Damit ist sichergestellt, dass dort stets die erforderlichen Minimalbestände vor-handen sind, ohne dies durch gesonderte Überprüfungen verfolgen zu müssen, etwa durch kontinuierliches Nachzählen oder eine EDV-gestützte Kontrolle.
Wenn das Zulieferunternehmen mit den Abnehmern der Teile zusätzlich vereinbaren könnte, dass diese zwar täglich von jedem der 16 Produkte die maximale Menge abrufen können, insgesamt aber nicht mehr als 2465 Stück (vergleiche Tabelle 2, Summe Spalte 2), so würden Zwischenlager völlig überflüssig. Der Betrieb könnte voll Just in time produzieren, denn diese 2465 Stück könnte er noch am Bestelltag produzieren und ausliefern, gleichgültig, um welche der 16 Produkte es sich handelt. Eine Kanaban-Steuerung würde sich dann ebenfalls erübrigen.
Fazit
Die von uns beschriebenen Ergebnisse wurden bei einem Automobilzulieferer innerhalb einer Woche mit einer Gruppe von zehn Mitarbeitern erzielt. Was bei ihrer Arbeit herauskam, mag verblüffend erscheinen. Doch wer
Kaizen-Prozesse des Öfteren begleitet, wird nicht überrascht sein. Der Grund ist einfach: Kaizen beginnt im Vergleich zum traditionellen Beratungsverfahren nicht damit, dass erst einmal ein zahllose Seiten umfassender Generalplan erstellt wird. Vielmehr beginnt der Verbesserungsprozess, in dem bestimmte Probleme am Arbeitsplatz ausgewählt und näher untersucht werden.
Anschließend werden die erarbeiteten Lösungen sogleich und gemeinsam umgesetzt – ganz nach dem Prinzip „Do it“, „Mach es sofort“. Die Kaizen-Philosophie zielt also nicht allein auf die kontinuierliche Verbesserung von organisatorischen, technischen oder sonstigen Sachproblemen. Sie zielt gleichzeitig immer auch darauf, die Verhaltensweisen von Führungskräften und Mitarbeitern zu verändern –hin zu mehr Konsequenz und aktiverem Handeln. Das kann für jedes „typisch deutsche“ beziehungsweise typisch europäische Unternehmen nur befruchtend sein, wo häufig über lauter langwierigen Analysen, Berichten, Meetings und Diskussionen vergessen wird, beizeiten zu handeln