Vom 20. bis 24. März 2013 deckten die Usedomer Literaturtage auf literarischen Spurensuchen weitgehend unbekannte oder noch unentdeckte Facetten der vielfältigen Geschichten, die sich um Flucht und Vertreibung in der zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn im 20. Jahrhundert ranken, auf. In Lesungen, Gesprächen und Diskussionen bereisten namhafte Schriftsteller und Publizisten literarisch in vielgestaltigen Geschichten über Familien- und Einzelschicksale die Regionen der Masuren, Schlesiens, Galliziens, Ostpreußens, aber auch das Berlin der Vorkriegszeit und die europäische Gegenwart. Zum ersten kleinen Jubiläum, der fünften Auflage, bekräftigte die Veranstaltungsreihe durch das thematisch dichte, literarisch vielfältige und inhaltlich wertvolle Programm auf der deutsch-polnischen Insel ihren Anspruch den Dialog zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn zu befördern. Dazu versammeln sich jedes Jahr, die für das jeweilige Thema prägenden Literaten und Kenner auf Usedom. Um auch die neuesten Entwicklungen in der europäischen Literaturszene abbilden zu können, bieten die Usedomer Literaturtage vor allem auch Nachwuchsschriftstellern ein Podium auf der Ostseeinsel. Auch die 6.
Usedomer Literaturtage werden sich 2014 thematisch erneut den östlichen Nachbarn in Europa zuwenden.
Wie in den vergangenen Jahren fand das Programm der Literaturtage, zusammengestellt von Thomas Schulz (Referent des Deutschen Kulturforums östliches Europa), reges Interesse und versammelte über 800 Literaturinteressierte und Enthusiasten in sehr gut besuchten Sälen.
Eröffnet wurden die Usedomer Literaturtage am Mittwochabend in Heringsdorf mit einer Lesung über das Ostpreußen des ausgehenden zweiten Weltkriegs. Im vollen Saal des Hotels Esplanade gaben Angehörige zweier Generationen eindrücklich Einblick in ihre unterschiedliche literarische Verarbeitung des Themas. Der Schriftsteller Arno Surminski gehört der Kriegsgeneration an und berichtete als ausgewiesener Kenner in beeindruckenden Schilderungen vom Leben in Ostpreußen in jener Zeit und seinen Erfahrungen. Sein Roman begleitet u. a. vier junge jüdische Frauen auf ihrem Todesmarsch in Richtung Ostseeküste, wo sie im Massaker von Palmnicken durch SS-Schergen ihr tragisches Ende fanden. Die Schriftstellerin und Journalistin Tatjana Gräfin Dönhoff schilderte die Ereignisse jener Jahre als Angehörige einer Generation, die weder das Ende des Krieges persönlich erlebte, noch in Ostpreußen aufgewachsen war. Ihr Roman widmet sich der eigenen Familiengeschichte im Ostpreußen jener Zeit. Moderiert wurde die Lesung kenntnisreich von Dr. Andreas Kossert.
Einer der gefragtesten polnischen Gegenwartsautoren, Tomasz Różycki, berichtete in einer Nachtlesung in Swinemünde mit viel Selbstironie von einer verlorenen Generation der Vertriebenen aus den polnischen Ostgebieten in der heutigen Ukraine und der sehr persönlichen Beziehung zu seiner oberschlesischen Heimatstadt Opole. Filmausschnitte zweier Theateraufführungen seines Poems vervollständigten den Abend auf dem polnischen Teil der Insel Usedom.
Am Donnerstagabend erzählte der polnische Autor Jacek Cygan in Anwesenheit der Übersetzerin seines neuen Buches – Paulina Schulz – von seiner Freundschaft zu Leopold Kozłowski und aus dem bewegenden Leben des Klezmermusikers, der vor den Nationalsozialisten fliehen musste und als Einziger in seiner Familie den Holocaust überlebte.
Nach der beliebten literarischen Inselrundfahrt trafen sich am Freitagabend in Heringsdorf erstmalig Laura und Hellmuth Karasek zu einer gemeinsamen Lesung. Mit Anekdoten aus dem eigenen Leben knüpften sie gewitzt und
charmant an das Thema Flucht an. Es moderierte Dr. Martin Haufe von NDR Kultur.
Die deutsche Autorin Daniela Dröscher berichtete am Samstagvormittag aus dem Leben der in Polen kultisch verehrten Stummfilmschauspielerin Pola Negri. Die Biografie der Diva zwischen Polen, Hollwood und Nazi-Deutschland zählt zu den eher glamourösen Geschichten von Flucht und Vertreibung. Daniela Dröscher gelang es am Beispiel dieses Einzelschicksals in der Lesung zugleich ein eindrückliches Bild der ideologisch geprägten Zeit im Deutschland der 30er Jahre zu zeichnen.
Einer der geistreichsten Köpfe des Klaviers und der Poesie, der aus Mähren stammende Alfred Brendel, war am Samstag im Steigenberger Grandhotel und Spa, Heringsdorf, gemeinsam mit dem Moderator Manfred Osten zu erleben. Alfred Brendel sprach vom musikalisch Komischen in den Werken von Haydn, Mozart und Beethoven und schlug damit auch eine Brücke zum Usedomer Musikfestival. Dabei spürte er wortgewandt mit seinen humorvollen Gedichten das Komische in der Welt der klassischen Musik auf.
Von der entbehrungsreichen Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte wussten am Samstagabend in ebenso familiärer Atmosphäre in Schloß Stolpe Anna Kaleri und Kolja Mensing zu berichten. Sie gehören zu den Enkeln der Generation, die den Krieg noch hautnah miterlebte, und sie wollen mehr über das Leben ihrer aus Masuren und Schlesien stammenden Großeltern erfahren. Die Auseinandersetzung mit den Mythen der eigenen Familie geriet auch zu einer schmerzhaften Identitätsarbeit, wie Kolja Mensing zu berichten wusste.
Ergänzt wurde das Programm durch die Literarische Inselrundfahrt und einer Schülerlesung mit Daniela Dröscher und Paulina Schulz. Noch bis zum 17. April ist die Ausstellung „Struktur und Architektur. Das postindustrielle Kulturerbe Oberschlesiens“ von Thomas Voßbeck in der Villa Irmgard in Heringsdorf zu sehen. Zu entdecken sind Bilder von beeindruckenden Industrieanlagen der Montanregion Oberschlesien, die der Fotograf aufgenommen hat.
Die Usedomer Literaturtage sind eine gemeinsame Veranstaltungsreihe des Usedomer Musikfestivals in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa sowie der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf. Wie in den letzten vier Jahren übernahm der Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern Erwin Sellering die Schirmherrschaft. Kulturpartner ist NDR Kultur. Weitere Informationen unter 038378.34647 www.usedomer-literaturtage.de