Göttinger Autonome und ihre Gegner

von der OPTIMUS Redaktion
Politische Ausschreitungen mit der Polizei in Göttingen und ihre Wirklichkeit Demonstrationen, Traditionen und die Wahrnehmung des Falls „Conny“
Lange gab es keine Vergleichbaren Ereignisse in Göttingen. Man sei in einer „anderen Liga“ angekommen, erklärte Polizeisprecher Thomas Rath. Am 22. Januar 2010 wurde in der Teeküche der Ausländerabteilung des Landkreises ein gezielter Brandanschlag verübt. Ein Mitarbeiter wurde verletzt. Eine politisch motivierte Tat wurde nicht ausgeschlossen – Flugzettel gegen Abschiebungen von Roma, die in der unmittelbaren Nähe des Tatortes gefunden worden, galten als Indiz. Unüblicherweise fehlte ein Bekennerschreiben. Am 04. Dezember 2011 wurde ein weiterer Anschlag auf eine staatliche Institution in Göttingen verübt – das Amtsgericht. Erneut gab es kein Bekennerschreiben, jedoch einen Zusammenhang zum geforderten Abschiebestopp. Im Januar 2012 tauchte plötzlich ein Bekennerschreiben einer linksextremistischen Gruppierung (Revolutionäre Aktionszelle) im Internet auf. Das Bekennerschreiben ist innerhalb der linken Szene umstritten. Viele bezweifeln die Echtheit und Authentizität. Unbestritten hingegen ist, dass der Linksextremismus in Göttingen Tradition hat. Enorme Popularität erlangte die Antifa mit der Errichtung des schwarzen Blocks in den 80er und 90er Jahren. Der mediale Höhepunkt gipfelte in einem Bericht der New York Times. Im November 1989 gab es einen aufsehenerregenden Vorfall der bis heute kontrovers diskutiert wird – der Fall „Conny“. Polizisten und Autonome waren beteiligt. Als sich am 17. November 1989 eine Gruppe Autonomer einer polizeilichen Ausweiskontrolle entziehen wollte, ergriffen sie die Flucht. Die dem linksextremistischen Spektrum zugeordnete Kornelia Wessmann (Conny, 24) rannte über die stark befahrene Weender Landstraße, wurde von einem Auto erfasst und kam ums Leben. Für die Autonomen stand kurz darauf fest, „Conny“ sei von der Polizei ermordet oder zumindest in den Tod getrieben wurden. Andere meinten, dass ihr Tod selbst verschuldet gewesen sei, da sie sich nicht einer polizeilichen Kontrolle hätte widersetzen sollen. Jährlich finden an ihrem Todestag Demonstrationen seitens der Linken statt. Der Autor Lukasz Nieradzik untersucht noch einmal den umstrittenen Todesfall „Conny“. Im Fokus seiner Ermittlung steht jedoch nicht die Schuldzuweisung, sondern die verschiedenen Wahrheitswahrnehmungen der unterschiedlichen Gruppierungen. Es sind die verschiedenen Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, die die Wirklichkeit formen und konstruieren. Jene Deutungsmuster lassen die Wahrheit für die eine Gruppe anders darstellen als für die andere. Das Beispiel des Todesfalls „Conny“ veranschaulicht deutlich die unterschiedlichen Sichtweisen der konträren Lager. Weiterhin hinterfragt der Autor Lukasz Nieradzik, ob die Göttinger Autonomen-Szene eine einheitliche Identität hatte. Für die Beantwortung werden soziologische und kulturwissenschaftliche Theorien hinzugezogen und dezidiert die Göttinger Autonomen-Szene untersucht. Lukasz Nieradzik Buch „Göttinger Autonome und ihre Gegner“ richtet sich nicht ausschließlich an Soziologen oder Kulturwissenschaftler. Leser, die Interesse an der Geschichte der Göttinger Autonomen-Szene haben, erhalten einen umfassenden Einblick.