Die fünf Wirtschaftsweisen halten es nach SZ-Informationen für illusorisch, eine europäische Kontrollinstanz für die Haushalte der Euroländer zu schaffen. Ein solcher Plan würde glaubwürdige Durchgriffsrechte erfordern. „Diese stehen nicht zur Verfügung. Es sei zudem politisch höchst unwahrscheinlich, solche Durchgriffsrechte verankern zu können“, heißt es in ihrem Jahresgutachten, das an diesem Mittwoch in Berlin veröffentlicht werden soll.
Ungewohnt heftig widersprechen sie damit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Dieser hatte zuletzt für einen Währungskommissar geworben, der mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet sein soll. Die Wirtschaftsweisen halten das für aussichtslos. „Dies stellt sich schon auf nationaler Ebene als höchst schwieriges, wenn nicht sogar aussichtsloses Unterfangen dar“, schreiben sie in dem Gutachten mit dem Titel „Stabile Architektur für Europa – Handlungsbedarf im Inland“. Die 390 Seiten starke Expertise liegt der „Süddeutschen Zeitung“ vor. Als Alternative zu Schäubles Plan schlagen die Ökonomen eine Reform des Maastrichter Vertragswerks vor – ein Maastricht 2.0. Dieses Konzept besteht aus drei Säulen. Auf nationaler Ebene sollen die Eurostaaten weiterhin die Verantwortung für ihre Haushalte tragen. Für bessere Kontrolle sorgen auch weiterhin die nationale Haftung und die disziplinierende Kontrolle der Finanzmärkte. Der private Bankensektor könnte nach der Meinung der Sachverständigen mittels einer Bankenunion stabilisiert werden und schließlich müsse man sich auf eine Insolvenzordnung für Staaten verständigen. Letzteres war vor etwa zehn Jahren schon einmal von Internationalen Währungsfonds vorgeschlagen worden, scheiterte aber an massivem internationalen Widerstand. Insgesamt sehen die Sachverständigen die Bemühungen zur Eindämmung der europäischen Finanz- und Schuldenkrise auf einem gutem Weg. „Trotz dieser Lichtblicke darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es aktuell die Europäische Zentralbank (EZB) ist, die mit ihren unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen das europäische Finanzsystem stabilisiert und einen bedeutenden Beitrag zur Stützung der Banken leistet.“ Dabei handele es sich aber bestenfalls eine Notlösung. „Auf keinen Fall darf dies zu einem dauerhaften Stabilisierungsmechanismus werden.“ Weil der Handlungsdruck zur Eindämmung der Krise die politischen Kräfte gefesselt habe, bestehe nun auch national verschärfter Reformbedarf. Dies gelte vor allen in den Bereichen Energie, Gesundheit und Steuern. Zugleich warnten die Wissenschaftler davor, bereits umgesetzte Reformen am Arbeitsmarkt und in der Alterssicherung wieder zurückzunehmen. Konkret schlagen sie vor, die Förderung von alternativen Energien komplett umzubauen und marktwirtschaftlicher zu gestalten. Dies soll nach Vorstellung der Ökonomen mit einem Quotenmodell geschehen. Scharf kritisieren die Wissenschaftler die erst am vergangenen Sonntag von der Koalition beschlossene Abschaffung der Praxisgebühr im Gesundheitssystem. Auch in der Rentenpolitik warnten sie davor, die Rente mit 67 zurückzunehmen oder Leistungsausweitungen zu beschließen, wie sie eine Zuschussrente beinhalten würden. Hohen Handlungsbedarf sehen sie im Bereich der Steuerpolitik und bei der Konsolidierung der Haushalte rufen sie zu mehr Ehrgeiz auf. In der Beurteilung der konjunkturellen Entwicklung sind sie vorsichtiger als die Bundesregierung. So rechnen sie im nächsten Jahr mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,8 Prozent. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) ging hingegen in seiner Herbstprognose von einem Plus von 1,0 Prozent aus. Für das Jahr 2012 gibt es bei der Prognose keinen Unterschied: Sowohl die Regierung wie auch der Sachverständigenrat kalkulieren mit einem BIP-Zuwachs von 0.8 Prozent. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt schätzen die Wirtschaftsweisen als weiterhin sehr günstig ein: So wird sich die Arbeitslosenquote 2012 nach ihren Erwartungen auf im Jahresdurchschnitt 6,8 Prozent einpendeln. Das ist der niedrigster Wert seit der Wiedervereinigung. 2013 rechnet der Rat mit einem leichten Anstieg der Quote auf 6,9 Prozent. Konjunkturexperten begründen die etwas trüberen Aussichten vor allem mit den Auftragsrückgänge für die deutsche Export-Industrie. Deutschland könne sich nicht vom außenwirtschaftlichen Umfeld abkoppeln, schreiben die Ökonomen. Der Tiefpunkt der wirtschaftlichen Dynamik werde voraussichtlich im vierten Quartal 2012 erreicht. Danach stiegen die Wachstumsraten wieder langsam an. Weiterhin zunehmen würden auch die Steuereinnahmen.