Renate Münzer: „Meeres Stimme“

Eine Komposition von Liebe und Verlust

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Renate Münzer

„Der letzte Ton schwingt noch in der Luft.
Ein paar Augenblicke lang ist Stille. Leichter Schwindel hat sich über mich gelegt, noch im Taumel der Töne sehe ich den Raum wie durch einen Schleier. Die Luft knistert von unsichtbaren Funken. Zu hören nur mein Atem.
Ich hatte vorgesungen, Seele ausgekippt. Als hätte der Sänger kein eigenes Herz. Als gehörte es allen.
In dem Moment, als sich der Schleier vor meinen Augen lichtet und ich in ihre Gesichter blicke, ist es mir klar.
‚Von Ihnen hätte ich, ehrlich gesagt, mehr erwartet.'“

„Ich kann nicht mehr singen.“
Was macht eine Opernsängerin ohne ihre Stimme? Für S bestand das Leben aus Musik. Menschen und Natur in Tönen wahrzunehmen war ihre große Gabe. Sie beherrschte die Bühnen dieser Welt, liebt den Regen, das Wasser, sein Blau. Blau 47. Und G, von ihrer Stimme verzaubert. Aber plötzlich bleibt alles still in ihr. S hat keine Töne mehr.

„Begonnen hat alles vor fünf Jahren.
Fünf Jahre ist es her, seit sich der Schatten auf meine Seele gelegt hat, auf mein Herz. Schattenherz.
Fahr nach Hause und bring es zu Ende, denkt sie. Absage um Absage. Doch ein Lebenstraum bleibt.
‚Mami.‘
‚Mein Herz.‘
‚Versprich mir, dass du singen wirst.'“

Die Situation bildet den Ausgangspunkt für Renate Münzers Komposition „Meeres Stimme“. Wie die Welt der Protagonistin zur Musik wurde, so wird es auch der Roman, dessen Mittelpunkt S bildet.
Der Autorin gelingt es, mit Worten und Sätzen eine Symphonie zu erschaffen, die den Leser in seinen Bann zieht, die ihm in den Ohren klingt und ihn sich verlieren lässt in den Strömungen aus Sehnsucht, Trauer, Besessenheit, Nicht-Verstehen-Wollen und Melancholie. Liebe und Verlust sind ihre Noten, die mal in Moll, mal in Dur die Stimme des Meeres nachempfinden. „Meeres Stimme“ erzählt crescendierend und descrescendierend, dann wieder akzentuiert und vor allem intuitiv von einem unerwarteten (Wieder-)Beginn.

„Begonnen hat alles vor fünf Jahren. X ist nicht mehr bei mir. Die Tage haben ihre Kontur verloren.“

Der Weg zurück zu sich selbst beginnt in der Abgeschiedenheit der Bretagne, verheißt einen Neubeginn. S ist mit den Wellen allein, sitzt an den Felsen, lauscht der Gischt. Sie begegnet einem alten Bretonen, mit dem eine zögerliche Freundschaft entsteht. Auch er versteht die Lyrik der Natur. Nachdem er ihr ein Bündel Briefe hinterlässt, stirbt er unter mysteriösen Umständen. Die Briefe aus dem Jahr 1837, die sie endlich zu lesen wagt, konfrontieren sie mit einer Tragödie in ihrem Leben, die sie viel zu lange unter Verschluss gehalten hat.

„Aufrecht gehen, ich kann nicht mehr aufrecht gehen. Die Mauern, die mich stützten, haben sich gegen mich gewandt und drücken mich auf die samtbezogenen Teppiche.“

Parallelismen zu ihrem eigenen Leben, Atemlosigkeit. Gegenwart und Vergangenheit fließen wie im steten Wechsel der Gezeiten ineinander, während S mit der Erinnerung ringt und um ihren Verstand …

Eine Künstlerrunde in der Bretagne führt S zu einer Ausstellung in das 7 Steps. Ein Bild aus Blautönen. Wasser in Querstreifen, Blau 47. Die Verdrängung wird aufgebrochen, und die Wahrheit lässt sich nicht mehr zurückhalten.

Wie die Kraft des Ozeans zieht „Meeres Stimme“ den Leser in seinen Strudel. Er verliert sich zwischen Vergangenheit, Gegenwart, Erinnerung und Erleben wie in der tosenden Brandung des Ozeans – hineingeworfen, mitgerissen, chancenlos. Und allmählich wird ihm bewusst, dass die Bretagne keineswegs einen Neubeginn darstellt; sie ist Rückbesinnung auf eine fast vergessene Tragödie.
Das Meer? G kennt mehr als zweihundert Blautöne. Wassertöne – einer ist blutrot.

Renate Münzer hat in München und Taipeh studiert, bevor sie als Dozentin am Goethe-Institut und als Studienreiseleiterin in China tätig war. Heute arbeitet sie als Journalistin in München. Ihrem ersten veröffentlichten Roman gingen 47 Tagebücher voraus.

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