Ex-Fraunhofer-Präsident kritisiert deutsche Forschung

Der langjährige Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Hans-Jörg Bullinger, wirft der deutschen Forschung mangelnde Qualität, Selbstgerechtigkeit und fehlende Dynamik vor. „Wenn deutsche Unis und Forschungseinrichtungen wirklich so gut sind, wie wir uns dauernd gegenseitig bescheinigen, müssen sie sich fragen, warum niemand weltweit bei ihnen forschen lässt“, sagte Bullinger dem „Handelsblatt“ (Montagausgabe). Sie müssten sich dem internationalen Leistungsdruck stellen.

„Wir müssen natürlich raus und dort forschen, wo deutsche Firmen produzieren. Wenn wir vor Ort mit Einheimischen zu örtlichen Preisen deutsche Forschungsqualität liefern, sind wir unschlagbar.“ Bullinger war viele Jahre einer der wichtigsten Wissenschaftsmanager Deutschlands, er beriet die Kanzler Gerhard Schröder und Angela Merkel, pochte auf mehr Geld für die Forschung und die Exzellenzinitiative. Die Fraunhofer-Gesellschaft ist nach dem Massachusetts Institute of Technology die weltweit zweitgrößte Einrichtung der angewandten Forschung und in Deutschland der wichtigste Partner der Wirtschaft. Aktuell arbeiten an 80 Instituten mehr als 20.000 Mitarbeiter, die jährlich für rund 1,8 Milliarden Euro forschen. Besorgt zeigt sich der Forschungsmanager über die mangelnde Dynamik: Zwar stehe Deutschland bei den meisten Innovationsindizes auf Platz fünf oder sechs in Europa, ganz oben rangieren die Skandinavier. „Sorgen macht mir nicht die Ausgangslage sondern der schleppende Zuwachs“, warnt Bullinger, „ein europäischer Innovationsindex hat 70 Regionen untersucht: Beim Innovationsniveau liegen Baden-Württemberg und Bayern auf Platz 1 und 3. Bei der Dynamik aber nur auf Platz 41 und 40.“ Als Gegenmittel fordert Bullinger einen Umbau der zersplitterten Forschungslandschaft, eine bessere Kooperation von Bund und Ländern und den von der Koaliiton versprochenen Steuerbonus für Forschung.