Botulinumtoxin und Medikamentenübergebrauch

Die Frage, ob Botulinumtoxin auch bei bestehendem Medikamentenübergebrauchskopfschmerz (MÜK) angewandt werden kann, führt zu Irritierungen. Hintergründe und unsere Schlussfolgerungen aus der Schmerzklinik Kiel für die Praxis sollen daher nachfolgend erläutert werden.

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Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch kann eine chronische Migräne vortäuschen

Nach der gesetzlichen Zulassung ist Botulinumtoxin A (Botox) „zur Linderung der Symptome bei erwachsenen Patienten, die die Kriterien einer chronischen Migräne erfüllen (Kopfschmerzen an mehr als 15 Tagen pro Monat, davon mindestens 8 Tage mit Migräne) und die auf prophylaktische Migränemedikation nur unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben“ zugelassen. Eine Zulassung für andere Kopfschmerzformen besteht nicht.

Insbesondere ist die Anwendung bei Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch eine off-label-Anwendung außerhalb der Zulassung. Der „Off-Label-Use“ bezeichnet einen zulassungsüberschreitenden Einsatz des Arzneimittels außerhalb des von den nationalen oder europäischen Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiets (Indikation).

Die Information, welche und in welcher Form Erkrankungen mit einem Arzneimittel entsprechend der Zulassung therapiert werden dürfen, wird in der Gebrauchsinformation (engl. Label) beschrieben. Grundsätzlich darf ein Arzneimittel nur dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen rezeptiert werden, wenn es zur Therapie von Erkrankungen verwendet wird für die der Hersteller die arzneimittelrechtliche Zulassung bei der zuständigen Behörde erhalten hat.

Eine episodische Migräne kann durch Medikamentenübergebrauch von einem zusätzlichen sekundären Kopfschmerz, dem Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch, überlagert werden und so kann das vorgetäuschte Bild einer primären chronischen Migräne entstehen. Ein ähnliches Bild kann entstehen, wenn zusätzlich ein chronischer Kopfschmerz vom Spannungstyp besteht. Die Gebrauchsinformation stellt dazu explizit fest: „Die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit zur Kopfschmerzprophylaxe bei Patienten mit episodischer Migräne (Kopfschmerzen an weniger als 15 Tagen pro Monat) oder chronischen Spannungskopfschmerzen sind nicht nachgewiesen. Die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Botox bei Patienten mit medikamenteninduzierten Kopfschmerzen (sekundäre Kopfschmerzen) wurde nicht untersucht“.

Für eine zulassungskonforme Anwendung muss daher ein Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch entweder ausgeschlossen, oder aber dieser vor Anwendung von Botulinumtoxin behandelt worden sein. Die Behandlung von Medikamentenübergebrauchskopfschmerzen durch eine Medikamentenpause ist eine sehr effiziente Therapieform. Sie kann in der Regel innerhalb von 10 bis 14 Tagen sehr erfolgreich durchgeführt werden. Betroffene Patienten haben dadurch die Chance, dass ein Dauerkopfschmerz mit bis zu 30 Kopfschmerztagen pro Monat komplett behoben wird und lediglich die primäre Kopfschmerzform, z.B. in Form einer episodischen Migräne mit 5 bis 7 Migränetagen pro Monat weiter besteht. Diese kann dann effizient und einfach mit Verhaltensmaßnahmen, Akutmedikamenten und ggf. mit einem Standard-Prophylaktikum behandelt werden. Würde man diese Patientengruppe ohne Medikamentenpause direkt mit Botulinumtoxin behandeln, würde dies bestenfalls ein paar Tage weniger Kopfschmerzen im Monat erzielen, man würde diesen Patienten jedoch die Chance nehmen, aus dem Übergebrauch herauszukommen und eine grundsätzliche Stabilisierung ihrer Kopfschmerzerkrankung zu erreichen. Unabhängig von diesen eindeutigen medizinischen Vorteilen für den Patienten, würde der anwendende Arzt aufgrund der Off-lable-Anwendung sich dem Risiko eines Regresses durch die Krankenkasse unterziehen, wenn er nicht belegen kann, dass ein Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch nicht vorliegt oder ausgeschlossen wurde.

Eine Anwendung von Botulinumtoxin A (Botox) bei bestehendem oder nicht behandeltem Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch ist ein zulassungsüberschreitender Einsatz des Arzneimittels. Aufgrund sehr wirksamer Therapieoptionen besteht dazu keine Notwendigkeit. Zudem ist durch die Nichtbehandlung des Medikamentenübergebrauches eine weitere Chronifizierung der Kopfschmerzerkrankung möglich. Wenn ein Patient durch einen zulassungsüberschreitenden Einsatz des Arzneimittels zu Schaden kommt, kann der Arzt für die Folgen haftbar gemacht werden.