Zeitung: Bundesregierung wollte russische Spione austauschen

Erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges hat die Bundesregierung einem Medienbericht zufolge versucht, zwei russischen Agenten auszutauschen. Im Gegenzug sollten zwei Spione russischer Nationalität freikommen, die in Russland im Gefängnis sitzen und für ein mit Deutschland befreundeten Nachrichtendienst tätig waren, meldet die „Welt am Sonntag“ unter Berufung auf hochrangige Quellen aus Regierungskreisen. Die Aktion sei jedoch im September dieses Jahres gescheitert.

In den Austauschplan waren auf deutscher Seite das Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministerium einbezogen. Koordiniert wurde die Aktion im Bundeskanzleramt, das Anfang März 2012 den russischen Botschafter in Berlin kontaktierte. In die streng geheimen Verhandlungen waren höchstwahrscheinlich sowohl Wladimir Putin als auch Angela Merkel eingeweiht, heißt es in dem Bericht. Die beiden Agenten, die Berlin freilassen wollte, lebten unter den Aliasnamen Andreas und Heidrun A., geborene F., mit österreichischen Pässen in Deutschland. Nach Erkenntnissen der deutschen Sicherheitsbehörden hatte noch der KGB die beiden noch vor der Wiedervereinigung in die Bundesrepublik geschleust. Sie wurden im Oktober 2011 in Marburg und Balingen festgenommen und sitzen seitdem in zwei hessischen Justizvollzugsanstalten in Weiterstadt und in Frankfurt am Main in Untersuchungshaft. Während der Verhandlungen über einen Agentenaustausch soll Generalbundesanwalt Harald Range laut Informationen der „Welt am Sonntag“ signalisiert haben, von einer Strafverfolgung abzusehen, wenn es zum Austausch kommt. Das ist nach Paragraph 153d der Strafprozessordnung statthaft, wenn „überwiegende öffentliche Interessen“ einem Prozess entgegenstehen. Ranges Behörde sagte dazu, der Generalbundesanwalt habe Fragen, die in den „Kompetenzbereich der Bundesregierung“ fallen würden, „weder zu kommentieren noch darüber Auskünfte zu erteilen“. Die Verhandlungen seien danach jedoch bald ins Stocken gerieten, weil das Interesse von russischer Seite zum jetzigen Zeitpunkt offenbar gering war. Zuletzt stellte Berlin den Russen, die konsularischen Zugang zu den Häftlingen erhalten hatten, laut Bericht ein Ultimatum. Nach Anklageerhebung könne erst wieder nach dem Urteil über einen möglichen Austausch gesprochen werden. Als die Bundesanwaltschaft dann am 14. September Anklage erhob, war der Agententausch gescheitert. „Die Russen haben sich keinen Millimeter bewegt“, sagte ein Beteiligter der „Welt am Sonntag“. Deutsche Sicherheitskreise vermuten, dass Moskau an einem Gerichtsverfahren gelegen ist. Der Fall wird voraussichtlich ab Januar vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verhandelt. Während eines Prozesses müssen alle Fakten auf den Tisch. Der Auslandsgeheimdienst SWR kann dann bequem erfahren, welche Informationen die deutschen Sicherheitsbehörden über sein mutmaßliches Agentenpärchen zusammengetragen haben und welche ihnen bis heute verborgen geblieben sind. Für künftige Agenteneinsätze sind solche Erkenntnisse wertvoll, heißt es in dem Bericht. Der gravierendste Vorwurf gegen die beiden Agenten: Sie sollen einem niederländischen Diplomaten 72 200 Euro für Beschaffung mehrerer Hundert geheimer EU- und NATO-Dokumente bezahlt haben. Die Berichte befassen sich laut „Welt am Sonntag“ unter anderem mit der Raketenabwehr der NATO, militärischen Kommandostrukturen des Verteidigungsbündnisses sowie der EU-Polizeimission EULEX im Kosovo. Das Material deponierte das Agentenpaar in Toten Briefkästen, Erdlöcher an alleinstehenden Bäumen, Holzkreuzen oder markanten Steinen. Entschlüsselten Funksprüche lässt sich entnehmen, dass sie Mitarbeiter der russischen Vertretungen in Deutschland zur raschen Leerung der Toten Briefkästen drängten, schreibt die Zeitung.