In Deutschland halten Beschäftigte ihren Unternehmen im europäischen Vergleich überdurchschnittlich lang die Treue. Der Antrieb, den Arbeitgeber zu wechseln, ist hierzulande vergleichsweise gering: Wie die „Welt am Sonntag“ berichtet (E-Tag: 14. Oktober), beträgt die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit in Deutschland rund elf Jahre. Das geht aus Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor, das zur Bundesagentur für Arbeit gehört.
Zwar wurde der deutsche Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren stark flexibilisiert, seit 1992 hat sich in Deutschland die Zahl der Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverträgen verdoppelt. „Dennoch ist Jobhopping kein Phänomen, das für das Gros der Arbeitnehmer zutrifft“, sagte Thomas Rhein vom IAB der Zeitung. Die Folgen der Flexibilisierung beträfen in erster Linie einzelne Berufsgruppen. Das IAB berechnet seit 1992 die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit von Arbeitnehmern in deutschen Unternehmen. Damals lag sie bei 10,3 Jahren, Lehrlinge und Neueinsteiger, die entsprechend kurz im Betrieb sind, mitgerechnet. Danach sank die Dauer der Betriebszugehörigkeit infolge des wirtschaftlichen Umbruchs in Ostdeutschland, seit dem Jahr 2000 steigt sie kontinuierlich. Im Jahr 2009 betrug die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit 11,2 Jahre. Der Experte Rhein geht davon aus, dass dieser Wert bis heute weitgehend stabil geblieben ist. Bei den großen Konzernen im Land liegt er aber weit über dem deutschen Durchschnitt: Mitarbeiter bei Daimler sind im Durchschnitt knapp 20 Jahre im Unternehmen beschäftigt, beim Zulieferer Continental 14,6 Jahre, bei der Commerzbank nach Übernahme der Dresdner Bank rund 17 Jahre. Gute Gehälter und außertarifliche Leistungen sind ein Grund für die Loyalität der Mitarbeiter, aber offenbar nicht der einzige. „Ständig den Job zu wechseln und so rasch die Karriereleiter zu erklimmen, ist kein Lebensentwurf für die Mehrheit der Beschäftigten hierzulande. Das gilt vielleicht für fünf bis zehn Prozent der Topleute“, sagte Walter Jochmann, Geschäftsführer von Kienbaum Consultants International, der Zeitung. „Die meisten wollen doch vor allem eins: eine überschaubare Lebensplanung.“ In vielen anderen europäischen Ländern kommen die Mitarbeiter zum Teil auf eine deutlich kürzere durchschnittliche Betriebszugehörigkeit, die Bereitschaft, das Unternehmen zu wechseln, ist deutlich größer. Experten erklären die Loyalität deutscher Mitarbeiter mit den Entwicklungschancen in den Firmen hierzulande und etwas, das man eine spezielle Karrierementalität nennen könnte: „In deutschen Konzernen bestehen vergleichsweise gute Möglichkeiten zum Aufstieg innerhalb des Unternehmens“, sagte Thomas Rhein. „In Großbritannien beispielsweise ist das anders. Dort vollzieht man eine berufliche Verbesserung eher durch einen Betriebswechsel.“ Darüber hinaus gebe es eine „spezifisch deutsche Unternehmenskultur“, so Rhein. „Hierzulande ist die Bindung von Mitarbeitern und Unternehmen besonders ausgeprägt und größer als in anderen Ländern.“ Das liege neben anderen Faktoren auch an den weitgehenden Mitbestimmungsrechten deutscher Belegschaften und der starken Stellung der Betriebsräte, sagte Rhein. „Das schweißt zusammen.“