EHFG 2012: Globale Gesundheitsprobleme brauchen globale Lösungen

Die Globalisierung beeinflusst massiv auch Gesundheitsprobleme und
-systeme: Früher regional begrenzte Krankheitsausbrüche können heute in nur
wenigen Flugstunden erhebliche Auswirkungen auf weit entfernte Regionen am
anderen Ende der Welt haben. Darüber hinaus nehmen – vor allem auch in armen
Ländern – die „Zivilisationserkrankungen“ wie Diabetes oder Bluthochdruck durch
die Veränderung der Lebensstile zu. Globale Gesundheit müsse daher auch in der
EU-Außenpolitik eine zentrale Rolle spielen, betonten Experten/-innen beim
European Health Forum Gastein. Die Zusammenarbeit mit Akteuren wie Indien oder
China gewinne dabei zunehmend an Bedeutung.

Bad Hofgastein, 3. Oktober 2012 – „Die Globalisierung
verändert Gesundheit und Gesundheitssysteme schnell und nachhaltig, die
Unterscheidung zwischen nationalen und internationalen Gesundheitsproblemen
verliert zunehmend an Bedeutung“, so Prof. Dr. Thomas Krafft (Department for
International Health, Universität Maastricht). Die Verbreitung von
Infektionskrankheiten rund um den Globus ist ein Beispiel dafür, wie stark sich
die Globalisierung auf Gesundheitssysteme auswirkt. Aber auch nichtübertragbare
sogenannte Zivilisationskrankheiten werden mit dem Export des Lebensstils der
wohlhabenden Länder in ärmere bzw. sich rasch entwickelnde Regionen dort zu
einem zunehmenden Gesundheitsproblem. „Diese Globalisierung von Gesundheit und
Krankheiten erfordert völlig neue gesundheitspolitische Strategien“,
diagnostiziert Prof. Krafft auf einer von der Plattform Global Health Europe und
der Universität Maastricht gemeinsam organisierten Veranstaltung auf dem
European Health Forum Gastein (EHFG).

„Darüber hinaus sind der Klimawandel und die grundlegenden Veränderungen
unserer natürlichen Umwelt, ebenso wie die Überwachung, Erkennung und Abwendung
von Gesundheitsgefahren durch neu entstehende oder wiederkehrende
Infektionskrankheiten Probleme, die nur gemeinsam gelöst werden können“, so
Prof. Krafft. „Hier besteht ein unmittelbares und vorrangiges europäisches
Interesse zur Zusammenarbeit und ein besonders relevantes Aufgabenfeld für eine
gemeinsame europäische Außen- und Gesundheitspolitik.“
Aufgrund der hohen
Bevölkerungskonzentration, der hohen Dynamik beim Warenaustausch und bei
Wanderungs- und Reisebewegungen, und durch die immer engere und intensivere
Vernetzung mit der übrigen Welt stehen Asien, insbesondere die rasch wachsenden
Wirtschaftsmächte China und Indien,  häufig im Mittelpunkt des Interesses. Prof.
Krafft: „Der Ausbruch von SARS oder der Vogelgrippe sind nur zwei prominente
Beispiele dafür, wie wichtig eine enge und umfassende Zusammenarbeit
europäischer Institutionen mit den asiatischen Partnern ist. Diese
Partnerschaften müssen systematisch ausgebaut und unterhalten werden, damit sie
in Krisenphasen belastbar sind und reibungsarm funktionieren können.“

Export von gesundheitsschädlichem Verhalten in andere Länder und
Regionen

Nicht nur übertragbare Erkrankungen (Infektionskrankheiten) globalisieren
sich zunehmend, auch nichtübertragbare Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck
oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen und deren Risikofaktoren wie Übergewicht oder
Tabakkonsum nehmen schon lange nicht mehr nur in entwickelten Ländern
epidemische Dimensionen an: Sie sind längst auch in Ländern mit niedrigen oder
mittleren Einkommen im großen Maßstab angekommen. „Gerade in solchen Ländern
ändert sich der Lebensstil rapide, mit negativen Auswirkungen auf die
Gesundheit“, so Prof. Dr. Ilona Kickbusch, Direktorin des Global Health
Programms am renommierten Graduate Institute of International and Development
Studies in Genf. „Globale Unternehmen etwa aus der Tabak- und
Lebensmittelindustrie tragen auch über globale Marketingstrategien dazu bei,
gesundheitsschädliches Verhalten aus unserem Teil der Welt in andere Länder und
Regionen zu exportieren.“

Auch das macht die Steuerung gesundheitspolitischer Themen im internationalen
Maßstab so komplex und bringt neue, früher ungekannte Herausforderungen mit
sich: Gesundheit ist auf globaler Ebene längst nicht mehr die Domäne von
Regierungen allein, viele grenzüberschreitend arbeitende Akteure wie
Industrieunternehmen oder NGOs gewinnen an Einfluss und Bedeutung, so Prof.
Kickbusch.

Wichtige Rolle für die EU

„Da wir gemeinsam mit globalen Problemen konfrontiert sind, brauchen wir auch
gemeinsame globale Lösungsansätze“, betonte Prof. Krafft. „Dass Europa beim
Thema globale Gesundheit, wie schon zuvor bei der Entwicklung internationaler
Strategien zum Klimawandel, eine wichtige Rolle einnehmen und globale
Bewältigungsstrategien vorantreiben muss, ist inzwischen in der EU weitgehend
anerkannt. Mit den „Council Conclusions on the EU Role in Global Health“
(„Mitteilung über die globale Gesundheitspolitik des Europäischen Rates“) ist
hier ein wichtiges Signal gesetzt worden.“

Dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten dabei über bloße Absichtserklärungen
hinausgehen, zeigt sich auch in der Schaffung einer eigenen „Division for Global
Issues“ im Europäischen Auswärtigen Dienst. Gerade im Kontext der globalen
Herausforderungen für die Gesundheitspolitik und die europäischen
Gesundheitssysteme ist eine Betrachtungsweise quer durch die Sektoren
entscheidend. Nicht nur die Gesundheitspolitik hat entscheidende Auswirkungen
auf die Gesundheit, das gilt mindestens so sehr auch für die europäische Außen-,
Handels- oder Finanzpolitik.

Sich rasch entwickelnde Ökonomien als wichtige Global Player im
Gesundheitsbereich

Doch nicht nur Europa müsse seine Verantwortung für globale
Gesundheitsprobleme verstärkt wahrnehmen. Eine zunehmende Bedeutung wird hier in
Zukunft bedeutsamen, industrialisierten und sich entwickelnden Volkswirtschaften
(„important industrialized and developing economies“) wie Brasilien, Russland,
Indien oder China zukommen. Prof. Krafft: „Diese Länder spielen in globalen
Gesundheitsfragen schon aufgrund ihrer Größe und Einwohnerzahl eine wichtige
Rolle. Wenn sie die nationale Gesundheit verbessern und international geforderte
Frühwarnsystem einrichten, tragen sie damit maßgeblich zur globalen Gesundheit
bei. Es ist also im Interesse der Staatengemeinschaft, diese Länder bei der
Wahrnehmung ihrer globalen Gesundheitsverantwortung zu unterstützen.“

Insbesondere China und Indien verstehen sich in Teilbereichen von
Gesundheitsfragen selbst längst als Global Player, so Prof. Krafft: „Beide
Länder haben in den vergangenen Jahren ihre Forschungs-Infrastruktur im
Gesundheitsbereich massiv ausgebaut. Damit tragen sie nicht nur immer mehr zum
globalen Wissen bei, sondern haben auch große Zahlen von Patenten angemeldet,
vor allem in den Bereichen Gesundheitstechnologie, Pharmakologie und
Gesundheits-IT.“

So hat China aus dem SARS-Ausbruch, der 2003 das Land weitgehend
unvorbereitet getroffen und für kurze Zeit gelähmt hatte, Konsequenzen gezogen
und seitdem ein beispielhaftes landesweites Meldesystem für Krankheitsausbrüche
aufgebaut. Indien testet die Nutzung neuester Kommunikationstechnologien um den
Rückstand bei der Gesundheitsüberwachung aufzuholen und dabei gleich
Technikgenerationen zu überspringen. Prof. Krafft: „Auch hier bieten sich
wichtige Betätigungsfelder für eine enge fachliche und technologische
Partnerschaft mit Europa.“

„Reverse innovation” oder „trickle-up innovation” ist hier das Konzept, das
auch die Zusammenarbeit in der Forschung mit der EU bestimmt: Beschrieben werden
damit Innovationsprozesse in bedeutsamen industrialisierten und sich
entwickelnden Volkswirtschaften, die zu weniger kapitalintensiven, an lokale
Bedürfnisse angepassten Technologien führen, und sich von dort dann auch in die
höher entwickelte Welt verbreiten. „Wir sind davon überzeugt, dass hier
gemeinsam sehr viel für die globale Gesundheit gestaltet werden kann“, so Prof.
Krafft.

Erfolgreiche Zusammenarbeit der EU mit der UNICEF

Aber auch in anderer Hinsicht kommt der EU eine maßgebliche Rolle in Sachen
„Globale Gesundheit“ zu, denn sie ist der größte internationale Geldgeber in der
Entwicklungspolitik und insbesondere in der
Gesundheits-Entwicklungszusammenarbeit. Prof. Kickbusch: „So hat zum Beispiel
die Zusammenarbeit der EU mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen
(UNICEF) erheblich zur Reduktion der weiblichen Genitalverstümmelung und der
Zahl der Kinderehen beigetragen.“ Die EU stellte in den Jahren 2008 bis 2012
insgesamt fast 4 Millionen Euro für das entsprechende Programm der UNICEF
bereit.

Fachdialog und Erfahrungsaustausch in Gastein

Das diesjährige Global Health Forum Gastein bringt hochrangige
Vertreter/-innen europäischer Institutionen und Forschungseinrichtungen mit
ihren indischen und chinesischen Partnern zu einem Fachdialog zusammen, bei dem
u.a. die Voraussetzungen und Grundlagen einer engeren Kooperation zwischen den
Fachdiensten für die Überwachung und Kontrolle von Infektionskrankheiten sowie
die Rolle der europäischen Außenpolitik auf diesem Feld diskutiert werden. Prof.
Krafft: „Dieser Dialog bietet zugleich die Möglichkeit, von den umfangreichen
Erfahrungen der asiatischen Partnern zu lernen.“

Das EHFG ist der wichtigste gesundheitspolitische Kongress der Europäischen
Union, mehr als 600 Entscheidungsträger aus 45 Ländern diskutieren vom 3. bis 6.
Oktober 2012 bereits zum 15. Mal zentrale Zukunftsthemen der europäischen
Gesundheitssysteme.

Fotos zum diesjährigen European Health Forum Gastein finden Sie unter http://www.ehfg.org/940.html.

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