„Das ESUG ist nicht mehr als ein gut gemeinter Anfang“

Rund 200 Teilnehmer des 1. Deutschen Gläubigerkongresses unterzogen das neue „Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG) einer ersten Zwischenbilanz. Zum ersten Mal kamen an diesem 20. September alle am Insolvenzrecht beteiligten Berufsgruppen zu einer gemeinsamen Tagung in Köln zusammen. Gläubiger, Investoren, Schuldner, Insolvenzverwalter, Richter und Berater diskutierten, was das ESUG bislang gebracht hat, wo noch gesetzlicher Handlungsbedarf besteht und wie alle zusammen von der neuen Sanierungskultur profitieren können. Wichtige Punkte mündeten in eine Entschließung: Sie fordert verbesserte Prozesse, mehr Transparenz für die Gläubiger und eine höhere Professionalisierung der Beteiligten. Diesen Katalog wird nun ein Arbeitskreis (Gläubigerforum) bis zur Bundestagswahl konkretisieren. Das Ziel: Reform der Reform.

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1. Deutscher Gläubigerkongress im Maritim Köln

Köln. Deutschlands bewunderte Sonderkonjunktur in Zeiten der Eurokrise wäre noch stabiler ausgefallen, wenn die Schäden durch Insolvenzen nicht negativ nachwirkten. Allein in den vergangenen drei Jahren summierten sich die Forderungen der Gläubiger auf 119 Milliarden Euro. Seit 1. März 2012 aber weckt ein neues Regelwerk Hoffnungen. Das „Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG) läutete eine neue Ära für Unternehmen, Gläubiger, Richter, Insolvenzverwalter und Berater ein – und brachte ihnen zugleich mehr Veränderungen als jedes andere Gesetz in den vergangenen zwanzig Jahren.

Vor diesem Hintergrund konnten die Veranstalter erstmals alle am Insolvenzprozess beteiligten Gruppen auf dem 1. Deutschen Gläubigerkongress begrüßen, der überschrieben war mit der Frage: „ESUG in der Praxis – Eine Erfolgsgeschichte der Sanierung unter dem Schutzschirm des Insolvenzrechts?“

Prof. Dr. Hans Haarmeyer, Direktor des Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht e.V. (DIAI) und Vorsitzender der Gläubigerschutzvereinigung e.V. (GSV) führte vor Augen, dass die Gläubiger allein in den letzten drei Jahren Forderungen von 119 Milliarden Euro anmeldeten, aber in mehr als zwei Drittel der Fälle leer ausgingen. Deshalb sei es so drängend, das ESUG richtig auszugestalten und zukünftig in abgestimmten Schritten zu einem gläubigerautonomen Insolvenzverfahren fortzuentwickeln.

Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) berichtete, wie wichtig es für KMU sei, beim Insolvenzrecht auf den Rat und die Tat von Fachverbänden zurückgreifen zu können, gerade auch in der europarechtlichen Dimension. Er dankte zugleich allen organisierten Juristen und Gläubigergruppen, die die Interessen des Mittelstands an die Politik weiterkommunizieren.

Als einen Impulsgeber für den Mittelstand sieht sich auch das BVMW nahe Institut für Betriebsberatung, Wirtschaftsförderung und -forschung (IBWF). Dessen Präsident, RA Karl-Heinz Thor, würdigte das ESUG als neues Betätigungsfeld für Berater. BVMW und IBWF wollen über die Geschäftsstellen, vorhandene Medien und eine Hotline über die neuen insolvenzrechtlichen Möglichkeiten und Qualifizierungsangebote informieren.

// Engagiertes Ringen um Positionen //

Der in der Praxis konkret anwendbare Mehrwert stand von Anfang an im Brennpunkt des Kongressprogramms. Dabei trafen gleich zu Beginn RA Michael Pluta (Ulm), RA Bernd Depping (Essen) und RA Robert Buchalik (Düsseldorf) unterschiedliche Einschätzungen zu den praktischen Auswirkungen des ESUG. Die drei Vorträge zeigten sehr plakativ das gesamte Spannungsfeld der bisherigen, sechsmonatigen ESUG-Erfahrungen auf.

Michael Pluta verwahrte sich zwar dagegen, ein „ESUG-Gegner“ zu sein, berichtete aber – illustriert durch humorvolle Karikaturen – über teilweise kontraproduktive Auswirkungen. Insbesondere das Schutzschirmverfahren bezeichnete er als Marketing-Gag: „Klingt toll, aber keiner weiß genau, was es sein soll. Der Sachwalter kann nie tief genug eindringen, um wirklich helfen zu können.“

Als „Anhänger“ des ESUG entgegnete Bernd Depping: „Auch wenn das Gesetz noch völlig unterschiedlich gehandhabt wird und die Gerichte einen unterschiedlichen Know-how-Level haben, so zeigen die bisherigen Verfahren, dass das ESUG der Einstieg in eine Rechtsordnung ist, die der frühzeitigen Sanierung insolvenzbedrohter Unternehmen deutlich weniger Hindernisse in den Weg legt.“

Robert Buchalik („ESUG ist eine tolle Sache“) stellte dem Schutzschirmverfahren die vorläufige Eigenverwaltung gegenüber. Diese sei bei gleicher Zielerreichung oftmals geeigneter, außerdem läge die Vergütung des Sachwalters nur etwa bei 60 Prozent des Honorars, das für einen Insolvenzverwalter angefallen wäre. An zentraler Stelle ermunterte er die Verwalter, die Gerichte möglichst früh einzubinden. „Die Richter selbst haben ein großes Interesse daran. Selbst bei einem engen Zeitfenster lässt sich dann beispielsweise pünktlich ein Gläubigerausschuss einrichten.“

Eine ähnliche Einschätzung traf später RiBGH Dr. Gerhard Pape (Karlsruhe): „Das Schutzschirmverfahren hat nur einen sehr, sehr begrenzten Anwendungsbereich.“ An der Stelle von zwei komplexen und komplizierten Verfahren hätte der Gesetzgeber besser nur ein Verfahren installieren sollen, das den Gläubigern bestmöglich dient.

BAKInsO-Vorstand Frank Frind machte aus der Warte des Richters am Amtsgericht Hamburg auf diverse Fallstricke des ESUG aufmerksam. Das Gesetz sei „ungeheuer schlecht formuliert“, was manchen Verwalter dazu bringen könnte, in unerlaubte Abhängigkeiten zu geraten. „Schon beim ersten Kontakt mit dem Krisen-Unternehmen muss das Verwalterbüro einen internen Konflikt-Check durchführen.“ Außerdem sei stets das Hauptziel des ESUG im Auge zu behalten, „die höchstmögliche Quote für die Gläubiger“. Frinds Apell: „Offen und ehrlich vorwärts zu den Zielen des ESUG!“

Dipl.-Kfm. Christoph Hillebrand (Köln) erkannte im ESUG eine „2. Chance“ für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Wegen ihrer „hervorragenden Eignung“ seien sie ideale Partner der Verwalter. Allerdings dürfe ihre Rolle als Bescheiniger nicht geringgeschätzt, sondern müsse gewürdigt werden.

Anne Koark (München), die als Autorin seit Jahren freiherzig über ihrer eigenen Insolvenzerfahrungen berichtet, vermisste nach wie vor die passenden Strukturen, „damit die Gläubiger möglichst schnell möglichst viele Geld erhalten“. Hinter 55.000 von 160.000 Insolvenzen im Jahr 2011 hätten Selbstständige gestanden, deren Gläubiger wiederum hauptsächlich andere Selbstständige gewesen wären. „Denen hilft kein ESUG – es passt einfach nicht auf das Kleingewerbe.“

RA Dr. Ralf Kemper berichtete aus der Sicht eines Kreditinstituts (Sparkasse Westmünsterland, Ahaus und Dülmen), das Sanierungsarbeit, Abwicklung und Sicherheitenverwertung im eigenen Haus regelt. Einer seiner wichtigen Tipps: „Verfahren sehr gut planen, sofort die Gläubiger einbinden und stark auf die Qualität des Gläubigerausschusses Wert legen.“

Den lebhaften Kongress-Mix aus Fachbeiträgen und setzte Karl-Heinrich Thiele mit einem beeindruckenden Praxisbeispiel fort. Der Inhaber der Eisengießerei Karlshütte hatte mit professioneller externer Hilfe erst vor kurzem eine eigenverwaltete Planinsolvenz erfolgreich in die Wege geleitet. Dabei lobte er auch die Zusammenarbeit mit den Gläubigern (Quote 10 Prozent, nur ein Kunde und kein Lieferant sprang ab), die anfangs allerdings skeptisch waren, weil ihnen das Verfahren völlig unbekannt gewesen sei.

Als Fazit des 1. Deutschen Gläubigerkongresses wertete Prof. Dr. Hans Haarmeyer, das ESUG als einen „ersten Schritt“ zur Gestaltung eines gläubigerautonomen Insolvenzverfahrens: „Die Unternehmen erhalten in einer Krise mehr Planungssicherheit und die Gläubiger mehr Einfluss. Zusätzlich ist das öffentliche Bewusstsein dafür geschaffen worden, dass eine Sanierung im Insolvenzverfahren eine strategische Option zur Krisenbewältigung sein kann.“ Gleichwohl bestehe weiterhin dringender Bedarf an gesetzgeberischen Maßnahmen zur nachhaltigen Unterstützung und Stärkung der Gläubigerrechte.

Bevor der Kongress in einem Jahr wieder zusammentritt, lud Haarmeyer öffentlich zu einem Arbeitskreis ein. Dieses „Gläubigerforum“ wird gemeinsame rechtspolitische Positionen ausarbeiten, die die nächste Bundesregierung auf drei Feldern zu Neuregelungen anregen soll:

Prozesse verbessern:

– Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren werden eigenständig; keine Veröffentlichung des Firmennamens
– Eröffnung von Insolvenzverfahren auch ohne Liquidität
– Abschaffung des vollen Stimmrechts von gesicherten Gläubigern
– Deckelung der Verwalter-Vergütung (max. 40 Prozent)

Mehr Transparenz in den Verfahren:

– elektronische Information, digitale Einsichtnahme in Akten
– Gläubigerversammlungen auch im Web
– Insolvenzgerichte veröffentlichen Verwalter-Liste und Auswahlkriterien

Höhere Professionalisierung der Beteiligten:

– Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss an Befähigung knüpfen
– Richter betriebswirtschaftlich fortbilden
– Insolvenzgerichte auf Exzellenzstandorte konzentrieren
– Berater hinsichtlich (Beantragung der) Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren schulen

Fazit: Die Ergebnisse des 1. Deutschen Gläubigerkongresses 2012 werden nicht nur die juristische Fachwelt nachhaltig beeinflussen. Denn zum ersten Mal wurde ein rechtspolitischer Diskussionskatalog aufgestellt, in dem sich die unterschiedlichen Anspruchsgruppen gemeinsam wiederfinden. Die in der aktuellen Entschließung formulierten Ideen dienen der pragmatischen Verbesserung des gläubigerfokussierten Insolvenzverfahrens. Sie betreffen seine Abläufe, Transparenz und Professionalisierung. Ihre Umsetzung wird den Sanierungsstandort Deutschland im internationalen Wettstreit weiter nach vorne bringen.

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